WM-Touristen wider Willen Hobbits und "Matildas"-Hype - nur kein deutscher Fußball
120 Fans hatten das deutsche Team in einer Reisegruppe nach Australien begleitet - rund ein Viertel davon ist immer noch in Sydney. Sie hatten fest an den Erfolg des DFB-Teams geglaubt und sich frühzeitig mit Eintrittskarten eingedeckt.
Ortstermin am Fährterminal in Sydney. Was machen deutsche Fußball-Fans am anderen Ende der Welt - obwohl das DFB-Team bereits nach der Vorrunde ausgeschieden ist? "Ich habe bis zum Finale Karten gekauft", berichtet Dajana Clemens und zuckt mit den Schultern.
Die 31-Jährige hatte sogar noch schnell die Reise nach Adelaide organisiert, als sie dachte, die deutschen Fußballerinnen würden doch "nur" Zweiter werden. Allerdings gab es dann gar kein Achtelfinale für Deutschland - weder in Melbourne noch in Adelaide. "Die Reisepläne habe ich dann fallen gelassen."
Auch auf Reisen kaum ein Spiel verpasst
Eine Handvoll Frauen kommt gerade vom Whalewatching. Der australische Winter zeigt sich von seiner besten Seite. 19 Grad, strahlender Sonnenschein, in Sichtweite zum weltberühmten Opernhaus. Und auch die Wale genossen offenbar das gute Wetter und boten der Reisegruppe, die mit dem Boot rausgefahren war, einiges für ihr Geld. Andere Fans nutzten die Zeit zum Sightseeing in der Stadt.
Das deutsche Ausscheiden sei "eine große Enttäuschung" gewesen, berichtet Clemens. Aber es musste ja irgendwie weitergehen. Und auch ohne deutschen Fußball verfolgten sie die WM ganz genau. "Wir haben fast alle Spiele gesehen", erzählt Jörg Riehemann. Im Hotel in Melbourne, wo sie statt des deutschen Spiels Kolumbien gegen Jamaika gesehen haben, schloss ihnen ein Mitarbeiter den Laptop im Besprechungsraum an den großen Fernseher an, damit sie die übrigen Spiele verfolgen konnten. Ansonsten ging es in Pubs und auf die Fanfeste.
DFB begleitete die Fans auch medial
Ursprünglich umfasste die Reisegruppe 120 Personen. Die Tour organisierte ein Mitglied des Nationalmannschaftsfanclubs, Sektion Mitteldeutschland. Der Deutsche Fußball-Bund schickte Mitarbeiter, um die Fans rund um die Spiele zu betreuen. Außerdem wurden für die Social-Media-Abteilung des Verbandes Inhalte produziert.
Als das Aus des deutschen Teams feststand, zog der DFB sein Personal ab. Und auch drei Viertel der Fans sind mittlerweile abgereist. Clemens, Riehemann und Co. haben knallhart durchgezogen.
Fest mit dem deutschen Halbfinale gerechnet
Irene Jäschke hatte sich einen besonderen Plan zurechtgelegt. Die 44-Jährige wollte sich die drei deutschen Gruppenspiele anschauen, danach ein bisschen in Australien herumreisen und dann rechtzeitig zum (deutschen) Halbfinale zurück in Sydney sein. Die drei Gruppenspiele sah sie, reiste unter anderem zum Mount Uluru weit ins Landesinnere und kehrte dann zur Vorschlussrunde zurück.
Es wäre so schön gewesen, wenn Deutschland das Halbfinale gegen Australien oder England gespielt hätte.
"Es wäre so schön gewesen, wenn Deutschland das Halbfinale gegen Australien oder England gespielt hätte", sagt die Schwäbin und lächelt in die Sonne. So aber sah sie das mitreißende Duell der Gastgeberinnen mit England und erlebte hautnah mit, wie auch der Titel-Traum der "Matildas" platzte.
"Wer wäre die Alternative zu MVT gewesen?"
Warum der deutsche Traum platzte? Genauso wie die deutschen Fußball-Funktionäre offiziell ihre Analysen noch immer nicht abgeschlossen haben, rätseln auch die Fans weiterhin. "Die Abwehr war auf jeden Fall schlechter als bei der EM", sagt Jäschke. "Und ich verstehe nicht, warum Svenja Huth hinten spielen musste. Vorne hätten wir sie mehr gebraucht." Clemens ärgert sich: "Vorne hat sich alles auf Poppi konzentriert. In England haben auch noch Lattwein oder Magull mal draufgeschossen."
Dass schon vor der Analyse beim DFB beschlossen worden ist, mit Bundestrainerin Voss-Tecklenburg weiterzumachen, finden die Fans falsch. "Wahrscheinlich dauert die Analyse solange, bis keiner mehr fragt", witzelt Riehemann. "Es wird sich nichts ändern. Und einfach so weiterzumachen, ist der verkehrte Weg."
Wahrscheinlich dauert die Analyse solange, bis keiner mehr fragt. Es wird sich nichts ändern. Und einfach so weiterzumachen, ist der verkehrte Weg.
Dass MVT auch nach der WM weitermacht, begrüßen die Fans allerdings trotzdem. "Was hätte es denn für eine Alternative gegeben?", fragt Jäschke. "Ich glaube auch, dass es zwischen dem Trainerteam und der Mannschaft passt." Und Clemens fügt hinzu: "Die EM war so erfolgreich. Da hat jeder eine Chance verdient, die Fehler gutzumachen."
Frauenfußball wird immer beliebter
Clemens ist begeisterter Fan des VfL Wolfsburg und war im Frühjahr auch beim Finale der Champions League in Eindhoven dabei, das die "Wölfinnen" mit 2:3 gegen Barcelona verloren. Jäschke hadert, dass ihr Wohnort Leinfelden-Echterdingen gleichsam weit von den Bundesliga-Standorten Hoffenheim und München entfernt ist. Riehemann geht normalerweise zu den Männern von Preußen Münster - schaut der Frauen-Nationalmannschaft aber gern zu.
Aber alle haben gemein, dass ihnen die erfolgreiche EM im vergangenen Jahr, als die Spielerinnen von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg erst in der Verlängerung des Finales England unterlagen, Lust auf mehr gemacht hat. Außerdem lockte natürlich das besondere Reiseziel. Warum als nicht das Schöne mit dem Schönen verbinden?
Und so hält sich das Hadern auch in engen Grenzen. Sie machen das Beste draus. "Ich wollte unbedingt mal nach Neuseeland", freut sich Riehemann. "Ich war in Auckland und habe mir Schweden gegen Japan angeguckt." Außerdem erfüllte er sich den Traum, in "Hobbiton" die Filmkulissen der Herr-der-Ringe-Saga anzuschauen.
Deutsche lassen sich vom "Matildas"-Hype anstecken
Das Spiel um Platz drei, das in Brisbane stattfindet, wollen sich die Deutschen beim Fanfest in Sydney anschauen. Und sie drücken noch einmal Australien die Daumen. "Der Hype war ansteckend. Mit jedem Spiel hat man in der Stadt mehr Trikots gesehen, ist die Stimmung immer besser geworden", erzählt Clemens, die sich selbst auch ein Jersey gekauft hat.
"Die Australier sind auch einfach extrem freundlich - und das kommt so ehrlich rüber", betont Jäschke. Nur ein Problem ließ sich bis zum Ende der Reise nicht lösen, sagt Riehemann: "Einige sprechen schon einen besonderen Dialekt ..."
Beim Endspiel Spanien gegen England am Sonntag (12 Uhr, im Liveticker und im Audiolivestream bei sportschau.de) gibt es keine wirklichen Präferenzen. "Bei einem WM-Finale dabei zu sein, ist aber einfach toll", sagt Clemens. Und bis zum Abflug nach Deutschland Anfang der kommenden Woche bleibt ja auch noch ein bisschen Zeit für Entdeckungstouren. Ihre Reise nach Australien werden diese deutschen Fans trotz des sportlichen Misserfolgs der deutschen Mannschaft jedenfalls in guter Erinnerung behalten.