"Sweet Lauren Hemp"? England könnte WM-Geschichte schreiben - und einen Songtext
England hat sich nach dem Titel bei der Heim-EM im vergangenen Jahr und zahlreichen personellen Ausfällen auf dem Weg ins WM-Finale gegen Spanien neu erfunden. In eine der Hauptrollen hineingewachsen ist die erst 23-jährige Lauren Hemp.
Und da war es wieder - die Stadionregie von Sydney spielte "Sweet Caroline", und die englischen Fans grölten begeistert mit. Bei dem Song, der bei so manchen Frauenfußball-Anhängern in Deutschland nach dem verlorenen EM-Finale in London im vergangenen Jahr sicher immer noch die Haare zu Berge stehen lässt, fielen sich die "Lionesses" auf dem Platz in die Arme. 2022 waren sie die Heimmannschaft gewesen - nun hatten sie mit dem 3:1-Erfolg Gastgeber Australien aus dem Turnier gekickt. England feierte, die "Matildas" und ihre Fans vergossen zu "Sweet Caroline" bittere Tränen.
"Es tut mir leid", sagte Englands Trainerin Sarina Wiegman. Aber das Mitgefühl hielt sich naturgemäß in Grenzen. "Wir haben Unglaubliches erreicht. Wir stehen im WM-Finale, und das wollen wir natürlich gewinnen", sagte Lauren Hemp, die offizielle Spielerin des Spiels. Im Finale am Sonntag (12 Uhr, im Liveticker und im Audiolivestream bei sportschau.de) wartet Spanien, das wie England noch nie Weltmeister bei den Frauen gewesen ist.
Wiegman hat ihr Team neu erfunden
Es klingt, als würden die Engländerinnen einfach ihre Geschichte aus dem vergangenen Jahr weiterschreiben, als sie sich den Europameistertitel holten. Aber auch wenn einige Gesichter dieselben sind, so ist doch vieles ganz anders: Kapitänin Leah Williamson und Torschützenkönigin Beth Mead fehlen beide wegen eines Kreuzbandrisses. Spielmacherin Fran Kirby (Knieprobleme) ist genauso nicht dabei wie Rekordtorschützin Ellen White (Karriereende). Kurz gesagt: Wiegman ist nicht weniger gelungen, als das Team neu zu erfinden. Mit einem neuen System (3-5-2 statt 4-5-1) und mit neuen Protagonistinnen.
Hemp bei der WM in der Hauptrolle
Europameisterin Hemp spielt bei der WM, erst recht nach der Roten Karte für Lauren James im Achtelfinale gegen Nigeria, eine der Hauptrollen. 23 Jahre alt und gerade einmal 1,63 Meter groß - man könnte die Stürmerin von Manchester City auf den ersten Blick durchaus unterschätzen. Ihr schüchtern wirkendes Auftreten bei der Pressekonferenz nach dem Halbfinale, die das FIFA-Protokoll für die ausgezeichneten Spielerinnen vorsieht, passte da ins Bild.
Das Team hat mir dabei geholfen, das Beste aus mir herauszuholen. Ich spiele gerade wohl den besten Fußball meiner bisherigen Karriere.
Aber schon ihr Blick in die Runde der versammelten Presseschar, nachdem sie sich gesetzt hatte, mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen ließ diesen Eindruck bröckeln. Wie ein alter Hase beantwortete Hemp, die bei der EM neben White, Mead und Co. noch als Lehrling daherkam, die gestellten Fragen: "Ich spiele gerade wohl den besten Fußball meiner bisherigen Karriere", sagte die junge Frau aus Norfolk im Osten von England. "Wir wollten keine Angst vor der Kulisse haben. Und das Team hat mir dabei geholfen, das Beste aus mir herauszuholen."
England trotzt den vielen Rückschlägen
Wiegman hat die Entwicklung ihrer Spielerinnen genau verfolgt. Mit dem EM-Titel im vergangenen Jahr hätte sich für diese sehr viel verändert. "Die Erwartungen in England waren schon immer hoch. Jetzt war die Aufmerksamkeit aber noch größer geworden - und die Mädels mussten trotzdem weiter Leistung bringen", erklärte die Niederländerin, die nach den Europameisterschaften 2017 und 2022, als sie ihre Teams jeweils siegten, sowie der WM 2019 in ihrem vierten Turnierfinale steht.
"Ich kann nur schwer beschreiben, wie stolz ich bin. Wir hatten so viele Rückschläge zu verkraften. Aber das Team ist sehr gut darin, sich gegenseitig zu unterstützen. Und ich bin mir sicher, dass meine Spielerinnen mit den neuen Erfahrungen auch noch weiter wachsen werden."
Hemp sorgt für Australiens "Game over"
Hemps große Stunde im Halbfinale gegen Australien schlug, als sie am meisten gebraucht wurde. Beim 1:0 von Ella Toone hatte Hemp noch über den Ball getreten. Acht Minuten nach dem Ausgleich von Australiens Sam Kerr, als das Spiel zu kippen drohte, nutzte sie eine Unaufmerksamkeit von Ellie Carpenter und brachte England wieder in Führung.
In der Schlussphase waren eigentlich die "Matildas" wieder nah am Ausgleich. Doch dann nahm sich Hemp ein Herz - und sprintete los. Steph Catley kam nicht in den Zweikampf, Katrina Gorrys Versuch, die Engländerin zu foulen, war vergebens. Hemp jagte über den halben Platz und steckte in Weltklasse-Manier auf ihre Sturmpartnerin Alessia Russo durch. "Das war so ein toller Pass", staunte die Trainerin.
"Game over" befand Australiens Tony Gustavsson hernach. Und Wiegmann beschrieb: "Nach dem 3:1 habe ich gedacht, dass wir uns das nicht mehr nehmen lassen."
"Sweet Laura Hemp" statt "Sweet Caroline"?
Nun wartet im Finale also Spanien, gegen das sich die "Lionesses" bei der Heim-EM im Viertelfinale mit 2:1 nach Verlängerung durchgesetzt haben. Und wie damals in Brighton and Hove soll auch am Sonntag beim Finale in Sydney wieder "Sweet Caroline" erklingen.
Und vielleicht taugt ja sogar Songwriter Neil Diamond als Vorbild für das Team. Der US-Amerikaner hat sich nämlich Ende der 1960-Jahre auch nicht von seinem Weg abbringen lassen. Eigentlich - so heißt es - wollte Diamond nämlich einen Song für seine Frau Marcia schreiben. Ihr Name passte aber textlich nicht. Er widmete den Titel kurzerhand um und landete damit seinen ersten Nummer-eins-Hit und wurde zum Star. Es kann nur ein Zufall sein, dass Fußball-England seit dem Wembley-Tor gegen Deutschland und damit auch seit den 1960er Jahren auf einen WM-Titel wartet.
Wahrscheinlich hoffen nun deutsche und australische Fans gleichermaßen, dass sie "Sweet Caroline" nicht mehr allzu oft werden hören müssen. Oder ein Vorschlag zur Güte: Vielleicht ließen sich die drei Silben Ca-ro-line auch durch die drei von Lau-ren Hemp ersetzen.