"Es ist wie im Märchen" England beendet den australischen Traum vom Heim-Titel
England hat in einem dramatischen Halbfinale gegen Gastgeber Australien den Einzug ins Endspiel der Frauen-WM geschafft. Der große Unterschied: Die "Lionesses" hatten die Coolness, die den "Matildas" fehlte.
Sam Kerr konnte es gar nicht fassen. Ungläubig stand sie im Australia Stadium in Sydney auf dem Rasen, umgeben von ihren ebenfalls trauernden Mitspielerinnen und über 75.000 teils weinenden Fans auf den Tribünen. Die 29-Jährige war die große Geschichte des Halbfinals der Frauen-WM zwischen Australien und England – es gab allerdings kein Happy End. England feierte und hat nun gegen Spanien die Chance, nach dem EM-Titel im vergangenen Jahr zum ersten Mal Weltmeister zu werden.
Wiegmans Serie geht weiter, Gustavsson leidet mit
"Ich fühle mit diesen Menschen. Die Spielerinnen haben alles auf dem Feld gegeben und deswegen danken ihnen die Fans auch", sagte Australien-Trainer Tony Gustavsson. "Wir waren in der ersten Halbzeit nicht tapfer genug, haben England in der zweiten Halbzeit dann aber teilweise dominiert. Man braucht dann aber die unglaublichen Momente wie Sams Tor. Sam macht sowas, nachdem sie so lange weg war und fast ohne Training. Das war unglaublich. Ich glaube, wir alle haben die Leute stolz gemacht."
"Wir sind im Finale, das ist unglaublich. Es fühlt sich fast so an, als hätten wir schon gewonnen", sagte England-Trainerin Sarina Wiegman, die zum vierten Mal in Folge bei Welt- und Europameisterschaft im Finale steht. "Man hat die ganze Zeit über den Kampf gesprochen und dieses Team hat gekämpft. Wir haben zusammengehalten, am Plan festgehalten und es hat funktioniert. Australien war unglaublich, sie sind im Turnier gewachsen und es ist schwer, gegen sie zu gewinnen. Aber wir haben es geschafft. Unglaublich. Es ist wie im Märchen."
Kerr erzielt eines der schönsten Tore der WM
England dominierte die Partie von Beginn an, spielte dreimal so viele Pässe wie die Gastgeberinnen und lag nach der ersten Halbzeit verdient durch Ella Toone (36.) in Führung. Der Treffer erinnerte ein wenig an den von Linda Caicedo für Kolumbien gegen Deutschland, die Engländerin schoss den Ball mit ihrem rechten Fuß genau ins lange Toreck in den Winkel. Australien und das Publikum schockte dieser Moment, doch dann kam der ganz große Auftritt von Kerr.
Von der Mittellinie lief der Offensivstar des FC Chelsea los, wurde nicht angegriffen und jagte den Ball aus 22 Metern ins lange Eck zum Ausgleich (63.). Da war sie wieder: Kerr, die Nationalheldin. Ein Land lag ihr zu Füßen, das Stadion bebte.
Eiskalte Hemp und australischer Chancenwucher
Dass Kerr und ihre Fans am Ende trauerten, war dann aber auch ein Ergebnis dessen, was sie danach machte. England zeigte sich unbeeindruckt von der Stimmung der Rückkehrerin, Lauren Hemp nutzte einen Fehler von Ellie Carpenter eiskalt zur 2:1-Führung (71.).
Anders als nach dem ersten Gegentor hatte Australien seine Emotionen aber im Griff und versuchte sich sofort am Comeback. Doch die "Matildas" scheiterten dabei an sich selbst - vor allem Kerr. Die Stürmerin vergab erst völlig frei per Kopf aus fünf Metern (82.), noch größer war aber ihre Gelegenheit nach einer Ecke, als ihr der Ball kurz vor dem gegnerischen Tor auf den rechten Fuß fiel, sie aber am Gehäuse vorbeizielte (85.). Vorher war Cortnee Vine nach Kerr-Vorlage an der starken englischen Torhüterin Mary Earps gescheitert (83.).
Russo sorgt für die Entscheidung
Das nutzten die Engländerinnen. Sie hatten sich im ganzen Turnier immer dann in Topform gezeigt, wenn es drauf ankam - und so war es diesmal auch. Russo, die das erste Tor schon vorbereitet hatte, tauchte unmittelbar nach der vergebenen Großchance Kerrs frei vor Mackenzie Arnold auf und schob den Ball zum 3:1-Endstand ins Tor. Diese Szene zeigte den großen Unterschied zwischen Australien und England an diesem Tag: Die Siegerinnen behielten in den entscheidenden Situationen die Nerven.