Nach Streit um DFL-Investor 50+1-Regel unter Druck
Die Rolle von Martin Kind bei Hannover 96 bringt nach dem Scheitern des Investoreneinstiegs bei der DFL ein ganz anderes Thema an die Oberfläche: 50+1 ist in Gefahr.
Das Bundeskartellamt nimmt die 50+1-Regel weiter unter Beobachtung. In Hannover kocht der Streit um die Frage, wer wirklich das Sagen hat und dazwischen steht die DFL unter Druck, weil sie die Regel durchsetzen muss - sonst drohen neue Konflikte mit den Fanszenen.
Was hat das Bundeskartellamt mit der 50+1-Regel zu tun?
Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hatte 2018 unter dem ehemaligen Präsidenten Reinhard Rauball und dem damaligen Geschäftsführer Christian Seifert das Bundeskartellamt um eine Prüfung gebeten, ob die Regel mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar ist.
Das Amt teilte 2021 in einer vorläufigen Einschätzung mit: Die 50+1-Regel ist mit dem Kartellrecht vereinbar, die Ausnahmen von der Regel sind es aber nicht. Diese Ausnahmen gelten derzeit für Bayer 04 Leverkusen und den VfL Wolfsburg, die hundertprozentig im Besitz des Bayer-Konzerns beziehungsweise des Volkswagen-Konzerns sind.
Auch für die TSG Hoffenheim galt mal die Ausnahme. Mäzen Dietmar Hopp gab seine Stimmrechts-Mehrheit aber inzwischen wieder an den eingetragenen Verein (e. V.) zurück.
Eine Art Luxussteuer als Kompromiss
Die DFL schlug dem Bundeskartellamt als Antwort auf die vorläufige Einschätzung einen Kompromiss vor. Dieser besagte, dass die beiden von der Regel ausgenommenen Klubs bei einem zu hohen Verlustausgleich durch ihre Mutterkonzerne eine Art Luxussteuer bezahlen müssen. 7,5 Prozent des Gesamtumsatzes des jeweiligen Klubs gelten dabei jedoch als Freibetrag. Bei einem Umsatz von 200 Millionen Euro wären das immerhin 15 Millionen Euro. Erst wenn die Konzerne über diesen Freibetrag hinaus Ausgleichszahlungen leisten, wird die "Luxussteuer" fällig, deren Höhe dann nach einem bestimmten Zinsschlüssel berechnet wird. Aktuell wären das demnach 50.000 Euro pro einer Million Euro Verlustausgleich. In dem Kompromissvorschlag ist außerdem festgehalten, das ein Gremienposten für Vereinsvertreter geschaffen wird.
Mit dieser Lösung hätten die beiden Klubs Bestandsschutz gehabt und die anderen Vereine zumindest vom Kartellamt Rechtssicherheit. Dieser Kompromiss wurde auch vom Bundeskartellamt befürwortet, aber bislang nicht endgültig beschlossen.
Warum wurde der Kompromiss noch nicht beschlossen?
Zunächst gab es einen Befangenheitsantrag von 1860 München, der das Prüfverfahren in die Länge zog. Dann gab es mehrere Urteile des europäischen Gerichtshofs mit Sportbezug, beispielsweise zur Super League. Diese sollten inhaltlich auch Berücksichtigung finden.
Und dann kam die Abstimmung zum Investoreneinstieg bei der DFL. Dort blieb der Verdacht zurück, dass Martin Kind als Geschäftsführer von Hannover 96 entgegen der Weisung des Muttervereins Hannover 96 e. V. mit "Ja" gestimmt hat. Kind machte bislang nicht öffentlich, wie er abgestimmt hat.
Für das Bundeskartellamt ist das ein Anlass, sich die Situation in Hannover mit Blick auf die 50+1-Regel anzusehen. Die Wettbewerbshüter kündigten in einem Schreiben an die Beteiligten des Prüfverfahrens an, "sich mit den jüngsten Entwicklungen hinsichtlich der Anwendung der 50+1-Regel durch die DFL vertraut zu machen und dann über das weitere Vorgehen zu beraten". Das Schreiben liegt der Sportschau vor. Die Handhabung der Regel könne "Rückschlüsse darauf zulassen, ob die DFL die Ziele der Regel konsequent und konsistent verfolgt", so das Kartellamt weiter.
Die DFL teilte auf Anfrage mit, dass sie es für nachvollziehbar halte, dass das Bundeskartellamt mit Blick auf die Abstimmung zum Investoreneinstieg "die Anwendung der 50+1-Regel betrachtet". Gleichwohl hoffe die DFL, dass das Verfahren auf Grundlage des vom Amt befürworteten Kompromisses noch in dieser Saison zu einem Abschluss komme. Die DFL kommt zu dem Schluss: "Für eine grundlegende Änderung dieser Beurteilung des Bundeskartellamts gibt es keine Anzeichen."
Sport inside: Podcast-Serie zu 50+1
Was ist das Problem mit Hannover 96?
2017 beantragte Martin Kind eine Ausnahme von der 50+1-Regel, wie sie heute für Leverkusen und Wolfsburg gilt. Kriterien, um eine Ausnahme zu erhalten, sind eine seit mehr als 20 Jahren "ununterbrochene" und "erhebliche" Förderung des Klubs. Die DFL lehnte die Ausnahmeregelung ab, weil sie die "erhebliche" Förderung nicht als gegeben ansah.
2019 schloss die von Kind vertretene Kapitalseite des Klubs einen Vertrag mit dem Mutterverein von Hannover 96, den sogenannten "Hannover-96-Vertrag". Eine entscheidende Regelung darin: Der Aufsichtsrat der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) entscheidet über eine mögliche Abberufung von Geschäftsführer Martin Kind.
In dem vierköpfigen Gremium stellt die Kapitalseite aber zwei Mitglieder und kann so stets eine Pattsituation herstellen, wodurch Kind nicht gegen seinen Willen abberufen werden kann - was er schon 2019 bei einer Pressekonferenz zur Vertragsunterzeichnung betonte.
Damit hat der Mutterverein theoretisch zwar das von der DFL geforderte Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung. In der Praxis ist dieses Weisungsrecht aber kaum durchsetzbar, da der Geschäftsführer aufgrund der Verteilung der Stimmanteile nicht vom Mutterverein bei Verstößen gegen das Weisungsrecht abberufen werden kann.
Mutterverein listet zahlreiche Weisungsverstöße von Kind auf
Der Mutterverein wies auf zahlreiche Weisungsverstöße hin und wollte Kind abberufen. Kind klagte dagegen zunächst erfolgreich. Zuletzt ließ allerdings der Bundesgerichtshof zumindest die vom Mutterverein geforderte Revision des Urteils zu.
Martin Kind, Geschäftsführer der Hannover 96 GmbH & Co. KG
Kind betonte wiederholt, dass das Vertragswerk bei Hannover 96 seiner Ansicht nach der 50+1-Regel genüge. Der Mutterverein, der den Vertrag einst unterschrieben hatte, wirft dagegen auch der DFL vor, nicht einzugreifen: "Durch die bewusste Untätigkeit in Bezug auf die Einhaltung der in der eigenen Satzung festgeschriebenen 50+1-Regel (…) gefährdet die DFL selbst den Bestand der 50+1-Regel."
Was sagt die DFL dazu?
Auf Anfrage der Sportschau wies die DFL die Vorwürfe des Muttervereins von Hannover 96 zurück. Der Ligaverband teilte mit, dass der 96-Vertrag die Frage nach dem Umfang des Weisungsrechts "zwischen beiden Parteien offenbar nicht interpretationsfrei regelt".
2022 hatte die DFL geschrieben: "Entscheidend für die Einhaltung der 50+1-Regel unter den spezifischen Umständen in Hannover ist, dass ein Geschäftsführer (…) den Weisungen der Gesellschafterversammlung der Hannover 96 Management GmbH, deren Anteile allein vom Hannover 96 e. V. gehalten werden, unterworfen ist und dass rechtmäßige Weisungen auch beachtet und erfüllt werden." Wenn das nicht der Fall sei, werde die DFL die Vereinbarkeit der Konstruktion in Hannover mit der 50+1-Regel "neu prüfen". Hannover 96 hat seit 2019 stets die Lizenz für die 2. Bundesliga erhalten.
DFL-Spitze wartet auf Entscheidung des Bundeskartellamts
Die Lage in Hannover ist nach Informationen der Sportschau in der DFL-Spitze seit 2019 auch deshalb nicht weiter angegangen worden, weil man zunächst auf einen Abschluss des Verfahrens beim Bundeskartellamt warten wollte. Diese Strategie der Zurückhaltung ging nicht auf - Teile des DFL-Präsidiums fordern intern nun auch ein deutlicheres Vorgehen bezüglich der Situation in Hannover.
Person | Klub | Position |
---|---|---|
Hans-Joachim Watzke | Borussia Dortmund | Sprecher |
Oliver Leki | SC Freiburg | 1. Stellvertreter |
Steffen Schneekloth | Holstein Kiel | 2. Stellvertreter |
Jan-Christian Dreesen | Bayern München | Mitglied |
Oke Göttlich | FC St. Pauli | Mitglied |
Axel Hellmann | Eintracht Frankfurt | Mitglied |
Holger Schwiewagner | SpVgg Gr. Fürth | Mitglied |
Marc Lenz | DFL | Mitglied |
Steffen Merkel | DFL | Mitglied |
Kind sieht derweil offenbar die Möglichkeit, das Regelwerk umzugestalten. "Die DFL muss den Mut haben, neu festzulegen: In welchen Fragen darf der e.V. mitreden und in welchen nicht? In welchen Fragen darf das Kapital mitreden und in welchen nicht?", sagte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Die DFL könnte inhaltlich zukunftsorientiert Lösungen schaffen, ohne 50+1 aufgeben zu müssen."
Welche Konsequenzen drohen nun bei 50+1?
Die Regel ist auf mehreren Ebenen in Gefahr. Kommt das Bundeskartellamt zu der Einschätzung, dass die DFL die Regel abseits der Ausnahmen in Leverkusen und Wolfsburg nicht konsequent durchsetzt, könnten kartellrechtliche Bedenken eine Rolle spielen.
Wehrt sich Kind juristisch gegen ein Eingreifen der DFL, könnte die Regel im Umkehrschluss vor Gericht in Frage stehen. Für die aktiven Fanszenen ist eine Aufweichung oder gar Aufhebung der 50+1-Regel allerdings eine wohl unverrückbare rote Linie.