Nordische Ski-WM "Einfach geilo" - Das Comeback des Andreas Wellinger
Nach einer jahrelangen Leidenszeit meldet sich Andreas Wellinger mit zwei Podestplätzen in der Weltspitze zurück. Nun soll er die Saison der DSV-Adler retten.
Andreas Wellinger war überglücklich. Der 27-jährige Skispringer vom SC Ruhpolding hatte gerade den Weltcup in Lake Placid gewonnen. Eine kleine Sensation. "Es ist unglaublich, was heute passiert ist", sagte auch Wellinger: "Ich kann es noch gar nicht in Worte fassen, weil ich überglücklich bin. Ich habe brutal gekämpft die letzten Wochen, Monate und Jahre. Ich hab schon länger gewusst, dass ich gut drauf bin. Dass ich heute gewonnen habe, ist einfach so geilo."
Wellinger zurück in der Weltspitze - "schön und verdient"
Und nicht nur Wellinger war überglücklich. Halvor Egner Granerud wandte sich auf Instagram an seinen Kontrahenten. Der Norweger hatte Wellinger am Tag darauf den zweiten Weltcup-Sieg des Wochenendes vor der Nase weggeschnappt, doch die beiden Athleten posierten im Anschluss für Fotos: Arm in Arm und breit grinsend.
"Im Sport geht es darum, gegen sich selbst anzutreten, sich zurückzukämpfen, wenn das Leben einen auf den Boden geworfen hat. Andreas Wellinger endlich nicht nur wieder auf dem Podium, sondern auf der obersten Stufe zu sehen, war wirklich schön und verdient nach einem kontinuierlichen Weg nach oben über die gesamte Saison", schrieb Granerud.
1.539 Tage wartet Wellinger auf den Podestplatz
Es ist kein Wunder, dass Wellinger und Granerud in diesem besonderen Moment an das Kämpfen erinnern, an das Scheitern und an das Wiederaufstehen. Am 25. November 2018 hatte Wellinger zuletzt auf einem Weltcup-Podest gestanden. Mehr als vier Jahre lagen zwischen diesen beiden Podesten, 73 Weltcup-Springen, 1.539 Tage.
Bevor sein langer Weg zurück begann, war Wellinger das Gesicht des deutschen Skisprungs. Bei den Olympischen Spielen 2018 gewann er Gold auf der Normalschanze, Silber auf der Großschanze und im Team. Im Jahr zuvor: Doppel-Silber bei der WM und Gold im Team, Platz vier im Gesamtweltcup, Platz zwei bei der Vierschanzentournee.
Wellingers Verletzungspech: Erst Kreuzbandriss, dann Schlüsselbeinbruch
Dann der Schnitt: Bei einem Trainingssprung im Juni 2019 stürzte Wellinger. Abriss des Kreuzbands, beide Menisken mussten genäht werden. Die darauffolgende Saison verpasste er. Als er ein Jahr später sein Comeback geben wollte, brach er sich kurz vor Saisonbeginn das Schlüsselbein. Danach musste er sich immer wieder neu beweisen und sich im Gran Prix für den Weltcup-Kader empfehlen.
Doch Wellinger nahm die Herausforderung an, kämpfte sich zurück, wirkte bei seinen Auftritten nur selten gefrustet oder als fühle er sich ungerecht behandelt. Zunächst konnte er nur punktuell zeigen, dass noch immer ein Skispringer von Weltformat in ihm steckt. Die Top-Ten-Platzierungen mischten sich anfangs vereinzelt unter Plätze jenseits der 30. Dann wurden sie häufiger, während Wellinger zum Stammgast in den zweiten Durchgängen wurde.
Rückhalt in einer schwierigen Saison
Dass Wellinger kurz vor dem Durchbruch stehe, hörte man vor fast jeder Saison nach seiner schweren Verletzung. Ganz nah dran sei er an der Weltspitze, hieß es immer wieder vom Bundestrainer und auch vom Skispringer selbst. Seit dieser Saison kann man sagen: Wellinger ist zurück. Elf Top-Ten-Platzierungen, eine solide Vierschanzentournee, Platz sieben im Gesamtweltcup. In einer schwierigen Saison für die deutschen Skispringer ist Wellinger der konstanteste Athlet - und ein Hoffnungsschimmer.
Denn weder Karl Geiger kommt an die Form vergangener Jahre heran, noch Markus Eisenbichler. So weit waren die deutschen Skispringer lange nicht mehr von der Weltspitze entfernt wie in dieser Saison. Schon während der Vierschanzentournee legte DSV-Sportdirketor Horst Hüttel den Fokus auf den 21. Februar, den Beginn der Nordischen Ski-WM in Planica: "Entscheidend wird sicher sein: Was passiert nach der Tournee. Wie laufen die Wochen bis zum nächsten Höhepunkt: Das ist die WM in sechs Wochen", sagte er damals bei dem Versuch, Bundestrainer Stefan Horngacher vor zu großer Kritik zu verteidigen.
Wieder das Gesicht des deutschen Skisprungs?
Die Weltmeisterschaft ist für die DSV-Skispringer die letzte Gelegenheit, eine verkorkste Saison versöhnlich zu beenden. Medaillen würden sicher über den trüben Weltcup-Alltag ein wenig hinwegtrösten. Vor der Saison hätte wohl niemand gedacht, dass für dieses Vorhaben die Hoffnungen - mehr als vier Jahre nach seiner ersten WM-Medaille - in erster Linie auf Andreas Wellinger liegen. Wie gut, dass ihn so leicht nichts mehr erschüttern kann.