Erzielte den zwischenzeitlichen Ausgleichtreffer für Spanien: Lamine Yamal
analyse

"Das Werk eines Genies" Lamine Yamal zwischen Weltstar und Arbeitsschutz

Stand: 10.07.2024 07:35 Uhr

Mit einem Traumtor ebnete der 16-jährige Lamine Yamal Spanien den Weg ins Finale der EM 2024. Sein Trainer lobt ihn als Genie - und mahnt sich und die Fußballwelt, auf dieses Wunderkind achtzugeben.

Von Raphael Weiss, München

Es lief die 21. Minute des EM-Halbfinals, als Lamine Yamal den Ball gut 30 Meter vor dem französischen Tor bekam. Seine Mannschaft war früh in Rückstand geraten und brauchte dringend einen Treffer, um wieder in die Partie zu kommen - gegen dieses französische Bollwerk, das im ganzen Turnier kein Tor aus dem Spiel kassiert hatte. Vor Yamal stand Adrien Rabiot, seine Mitspieler waren eng gedeckt, Mittelstürmer Álvaro Morata nicht im Strafraum. Und so nahm es Yamal selbst in die Hand. Eine Körpertäuschung nach rechts, ein Schlenker nach links - und schon flog der Ball in Richtung Winkel, schlug an den Pfosten und von dort ins Tor.

Yamals Traumtor zum 1:1: "Das Werk eines Genies"

Als Yamal anschließend auf den Knien rutschte und seinen Jubel herausschrie, blitzte seine Zahnspange im Scheinwerferlicht der Münchner Arena. Yamal hatte gerade nicht nur der spanischen Nationalmannschaft mit seinem 1:1 den Weg in Richtung Finale geebnet, mit dem vielleicht schönsten Tor des Turniers, er hatte auch Geschichte geschrieben. Mit 16 Jahren und 361 Tagen wurde er zum jüngsten Torschützen der EM-Geschichte. "Das Tor war das Werk eines Genies", sagte Trainer Luis de La Fuente nach der Partie.

De la Fuente: "Balance-Akt" zwischen Begeisterung und Vorsicht

Yamal ist erst 16 Jahre alt. Das muss man immer wieder betonen bei diesem Jungen, der gerade die Fußballwelt verzückt. Erst 16 Jahre alt. So jung, dass er zu Turnierbeginn nebenbei noch Online-Schulunterricht besuchen musste und Debatten lostrat, ob der deutsche Arbeitsschutz einen Einsatz so spät noch zulässt.

So jung, dass Reporter aus Barcelona - wo Yamal normalerweise Fußball spielt - besorgt fragten, ob solche Partien nicht zu groß für ihn seien und man ihn nicht ein wenig schützen solle. Schließlich hat der FC Barcelona mit dem verletzten Pedri (21 Jahre) und Gavi (19), der das Turnier mit einem Kreuzbandriss verpasst, aktuell zwei Wunderkinder, die für ihre Körper womöglich etwas zu früh in das Haifischbecken Profifußball geschmissen wurden.

"Das ist immer ein ziemlich schwieriger Balance-Akt", hatte Coach de la Fuente vor dem Halbfinale auf diese Frage geantwortet. "Ich muss mich darauf verlassen, dass die Schiedsrichter ihren Job machen und ihn schützen", erklärte er und fügte dann an. "Ob das Spiel zu groß ist? Das werden wir sehen. Wenn er Fehler macht, dann macht er sie und lernt daraus. So etwas nennt man Erfahrung."

Fehler machen die anderen

Fouls, die die Gesundheit des Spielers gefährdeten, begingen die Franzosen an Yamal nicht. Und Fehler, aus denen er lernen könnte, machte dieser 16-Jährige eigentlich auch nicht. Viel mehr spielte er so aufregend und gleichzeitig unaufgeregt, dass man sich nicht vorstellen kann, dass er Hausaufgaben hat und eigentlich nur bis 23 Uhr arbeiten dürfte.

Daran, dass diese Sperrzeit im EM-Halbfinale mit einer Verlängerung überschritten würde, arbeitete Frankreich in der zweiten Halbzeit. Und Spanien tat sich schwer. Nach vorne ging nicht mehr viel und im Aufbauspiel passierten den erfahrenen Spaniern haarsträubende Fehler. Yamal, der mit der Auswechslung von Jesus Navas einiges an Unterstützung verloren hatte, wurde lediglich etwas blasser.

Yamal weckt die Fans auf

Doch als der Druck der Franzosen in der Schlussphase zu viel zu werden drohte und das Spiel zu kippen begann, nahm Yamal es in der 81. Minute aus 30 Metern wieder selbst in die Hand. Ein Schlenker nach rechts, ein Schritt nach links. Diesmal segelte der scharfe Schuss über die Latte und anstatt zu jubeln lief Yamal in die Kurve und weckte die spanischen Fans wieder auf, die unter dem Druck der Franzosen ebenfalls stiller geworden waren.

Fortan trugen "Viva España"-Gesänge "La Roja" wieder in Richtung Schlusspfiff. Und als Theo Hernadez sich in der Nachspielzeit nach einem Fehler des so erfahrenen Fabian Ruiz noch einmal in Richtung spanisches Tor aufmachte, war es Yamal, der ihn mit einem Ringergriff zu Boden zog und den letzten Angriff stoppte.

De la Fuente: "Wir müssen auf ihn aufpassen"

Als dieser 16-Jährige nach dem bislang größten Spiel seiner Karriere um 00:15 Uhr, also sehr weit nach seiner erlaubten Arbeitszeit, mit der Auszeichnung des Spielers des Spiels vor die Presse trat, saß dort kein schüchterner Junge. Auch auf diesem Terrain leistete sich Yamal keinen Fehler. "Zu allererst bin ich froh, dass ich helfen konnte, ins Finale einzuziehen", antwortete das Supertalent auf die Frage, wie besonders dieser Treffer für ihn war. Er wolle sich nicht Gedanken darum machen, "eine Ikone zu sein" und überhaupt ginge es nur darum, auf dem Spielfeld der Mannschaft helfen zu können.

Yamal - "Ich bin sehr, sehr glücklich"

Sportschau UEFA EURO 2024, 09.07.2024 23:27 Uhr

"Wir können froh sein, dass er Spanier ist. Es ist erstaunlich, wie reif er auf dem Platz ist", sagte sein Trainer über diesen Wunderknaben und sah sich dann aber gezwungen noch einmal auf das Alter hinzuweisen: "Wir müssen wirklich gut auf ihn aufpassen. Und wenn er mit beiden Füßen auf dem Boden bleibt, dann kann er jeden Tag noch besser werden."

Yamal als Baby in der Wanne mit Messi

Wo das hinführen kann, kann sich jeder ausmalen. Die Vergleiche mit den ganz großen Namen schreiben sich von alleine. Yamals Vater postete vor dem Spiel gegen Deutschland ein Foto, das einen 20-jährigen Lionel Messi zeigt, der ein Baby in einer Wanne badet. Ein Foto, entstanden bei einem Charity-Shooting. Das sechs Monate alte Baby in der Wanne: Lamine Yamal.

Wie groß die Legende Yamals wirklich wird, wird die Zeit zeigen. Es liegt nicht nur an Yamal und an den Schiedsrichtern, auf diesen Jungen aufzupassen. Schon allzu viele junge Spieler galten als der neue Messi, ehe Verletzungen und überzogene Erwartungen ihre Karrieren auf Abwege brachten. Nun steht aber erst einmal das EM-Finale an. Über das 16-jährige Wunderkind wird man nach dem Spiel allerdings nicht mehr sprechen, das ist sicher. Schließlich wird Yamal am Tag zuvor 17 Jahre alt. Was er sich beim Ausblasen der Kerzen wünschen wird, ist wohl nicht allzu schwer zu erraten.