Spanien vor dem EM-Halbfinale Yamal und Co.: Die Erben der "goldenen Generation"
Mit einem Team voller Youngster mischt die spanische Nationalmannschaft derzeit die Europameisterschaft auf. Nach erfolglosen Jahren weckt sie in der Heimat nicht nur die Hoffnung auf den ersten Titel seit 2012, sondern auch Erinnerungen an die "goldene Generation", die über Jahre den Fußball dominierte.
Spanien ist bislang die beeindruckendste Mannschaft dieses Turniers. Mit Leichtigkeit marschierte "La Roja" durch die starke Gruppe mit Italien, Kroatien und Albanien. Mit 4:1 besiegte sie im Achtelfinale Georgien. Erst Deutschland brachte Spanien in einem Spiel, das auch das Finale hätte sein können, ins Straucheln. Doch Spanien fiel nicht und steht nun im Halbfinale gegen Frankreich (Dienstag, 09.07.2024, im Live-Ticker und im Audiostream). "Wir wissen, dass wir eine fantastische Mannschaft haben", sagte Trainer Luis de la Fuente einen Tag vor dem Spiel, "das Problem ist: Wir wollen mehr."
Yamal, Pedri, Williams - eine neue Generation stellt sich vor
Der EM-Titel ist natürlich das Ziel Spaniens. Doch wie fantastisch diese Mannschaft ist und wie viel mehr sie erreichen kann - das wird sich wohl erst in ein paar Jahren zeigen. Viele der Spieler in der spanischen Nationalmannschaft bauen sich ihren großen Namen erst auf. Außer Dani Carvajal (32 Jahre), Álvaro Morata (31) und Rodri (28) hat keiner aus dem Kader den Starstatus erreicht. Doch gerade die jungen Spieler sorgen für Furore.
Da ist der 21-jährige Nico Williams von Athletic Bilbao, der nicht nur Joshua Kimmich mit seinem feinen Stellungsspiel und seiner explosiven Beschleunigung vor Probleme gestellt hat, sondern jeden Außenverteidiger in diesem Turnier, der sich ihm bislang in den Weg stellte. Pedri, ebenfalls 21 Jahre alt, hat bis zu seiner Verletzung im Viertelfinale das spanische Spiel mit einer Souveränität gelenkt wie Toni Kroos, der mit einem harschen Einsteigen Pedris Turnier vorzeitig beendete. Da ist der 26-jährige Dani Olmo, der übernahm und gegen Deutschland für die Entscheidung sorgte. Und da ist natürlich der 16-jährige Lamine Yamal, der furchtlos und unentwegt auf die gegnerischen Verteidiger zurennt und mit drei Torvorbereitungen seine Bedeutung für "La Roja" unterstreicht.
Erinnerungen an 2008 - als Xavi und Co. die Fußballwelt dominierten
Kein Wunder also, dass diese talentierte Truppe Erinnerungen an die "goldene Generation" wach werden lässt, die mit dem EM-Sieg 2008 auf die große Bühne trat. Damals revolutionierte Spanien mit seinem ballbesitzorientierten Spiel die Fußballwelt. Es war kein Zufall, dass das goldene Zeitalter dieses Spielstils mit der talentiertesten Gruppe von Fußballern zusammenfiel, die jemals aus Barcelonas Fußballakademie La Masia emporkam. Xavi Hernández, Andrés Iniesta, Carles Puyol, Cesc Fàbregas, später Sergi Busquets prägten "La Roja" und fanden in Madrid mit Xabi Alonso, Sergio Ramos und mit David Silva, David Villa und Fernando Torres Kollegen, die nicht nur zu den talentiertesten Fußballern der 2010er Jahre gehörten, sondern sich in dieses Spielsystem perfekt einfügen konnten.
Es war ein Spielstil, der so erfolgreich war, dass er - auch durch die Erfolge von Pep Guardiola - in der ganzen Welt adaptiert wurde. Sechs Jahre lang dominierte Spanien den Fußball, wurde Weltmeister 2010 und EM-Sieger 2012. Doch mit den großen Namen verschwanden auch die Erfolge. Der Ballbesitz-Fußball blieb. Das Resultat: Vorrunden-Aus bei der WM 2014, Achtelfinal-Aus bei der EM 2016, der WM 2018 und der WM 2022. Einzig bei der EM 2021 konnten die Spanier die Ansprüche an sich selbst erfüllen, auch wenn der große Coup verwehrt blieb. Es war diese Serie an Enttäuschungen, die den Nährboden für neue Ideen bot.
Mit de la Fuente kam der Wandel
De la Fuente kam im Winter 2022, probierte neue Spieler aus und berief schließlich einen Kader, der sich nicht wie in der Vergangenheit aus einem Kern von Spielern des FC Barcelona und Real Madrid zusammensetzte. Aber vor allen Dingen etablierte er eine neue Spielweise. Der Coach, der seinen Durchbruch als Trainer bei Athletic Bilbao im baskischen Fußball feierte, lässt deutlich gradliniger spielen, als die "goldene Generation". Er fokussiert sich nicht so sehr auf das Zentrum, sondern nutzt die hervorragenden Außenspieler ebenso wie den Mittelstürmer, der auf Flanken wartet.
Und de la Fuente ist sich nicht zu schade, dem Gegner phasenweise den Ball zu überlassen und zu kontern. "Wir wollen mit Ball spielen wie eine große Mannschaft und ohne Ball wie eine kleine", beschreibt Rodri die Idee. Das Resultat: so viele Torschüsse bei einem Turnier wie keine andere spanische Nationalmannschaft seit 40 Jahren. Dazu elf geschossene Tore bei nur zwei Gegentreffern.
Rodri über 2008: "Ich war ein riesiger Fan"
In einer EM, in der Teams wie Frankreich, Niederlande und England mit einem zurückhaltenden, abwartenden Fußball nach dem Vorbild Real Madrids erfolgreich sind, wirkt Spanien mal wieder, als sei es mit der Spielidee seinen Gegnern und der Zeit ein Stückchen voraus. Und weckt auch dadurch Erinnerungen an das Team von 2008. Rodri war damals gerade einmal zwölf Jahre alt. "Es war die erste EM, die ich geschaut habe. Ich war ein riesiger Fan und wollte unbedingt, dass Spanien gewinnt", erzählt Rodri und betont die Bedeutung, die Xavi und Co für das aktuelle Team hatten: "Sie haben uns das Gefühl gegeben, dass wir Champions sein können."
Schritt für Schritt die eigene Legende bauen
Ob sich da in Spanien tatsächlich wie 2008 eine so einmalige Ansammlung an Weltklassespielern zusammenfindet, die über mehrere Jahre dominieren kann, muss aktuell noch bezweifelt werden. Zumal die Hochphase der Nationalmannschaft mit der Dominanz Real Madrids und des FC Barcelona im Klubfußball zusammenfiel, wovon letzterer derzeit ein ganzes Stück entfernt ist.
Rodri glaubt dennoch, dass in dieser Mannschaft ähnliches Potenzial schlummert. "Das Team damals hat auch nicht als 'goldene Generation' angefangen. Sie mussten ihre Legende erst selber Schritt für Schritt aufbauen - und das wollen wir auch tun", sagte Rodrigo. Mit einem Sieg gegen Frankreich hätten er und seine begabten Mannschaftskameraden zumindest einen weiteren Schritt in diese Richtung getan.