Vor Start der Vierschanzentournee Deutsches Team um Paschke - vom Fan zum Favoriten?
Vor 23 Jahren jubelte Pius Paschke Sven Hannawald zu. Diesmal könnte es andersherum laufen. Aber nicht nur Paschke ist bei der Vierschanzentournee ein deutsches Eisen im Favoriten-Feuer.
Als zuletzt ein deutscher Skispringer die Vierschanzentournee gewann, stand die Band Bro’Sis mit "I believe" ganz oben in den Charts, in den Kinos lief der erste Harry-Potter-Film und auf den Wunschlisten zu Weihnachten hatten kurz vorher noch MP3-Player und Digitalkameras gestanden - und bei Pius Paschke vielleicht Tickets für die Tournee. Die gab es schließlich vom Nachbarn und so drückte Paschke Sven Hannawald an der Schanze die Daumen.
"Ich war in Innsbruck und hab Sven gewinnen sehen", erzählt Paschke bei der Pressekonferenz der deutschen Skispringer in Fischen im Allgäu. "Für mich war das ein Highligh, im Stadion sein und das Skispringen genießen." 23 Jahre ist das jetzt her. Die Tragweite aber habe er als Kind noch nicht verstanden.
Paschke plötzlich Favorit?
Das ist inzwischen anders. Paschke hat die Tragweite nicht nur verstanden, vor dem Start der Vierschanzentournee in diesem Jahr kann er sie beinahe mit Händen greifen. Nach starken Ergebnissen in diesem Winter ist der 34-Jährige plötzlich Favorit. So plötzlich aber kommt diese Rolle weder für Paschke selbst, noch für Teamkollege Andreas Wellinger. "Es ist für mich wenig überraschend", sagt Wellinger in die vielen Mikrofone auf dem Podium und grinst. Schließlich habe sich Paschke diesen Erfolg nicht nur verdient, sondern auch erarbeitet. Paschke habe einen starken Sommer gehabt und vieles davon mit in die Saison nehmen können.
"Pius zieht uns als Team mit", verrät Wellinger, der im vergangenen Jahr einer der Favoriten war, zum Auftakt in Oberstdorf den Sieg holte, sich im Kampf um die Gesamtwertung aber dem Japaner Ryōyū Kobayashi geschlagen geben musste. Auch bei dieser Tournee haben Fans und Verantwortliche Wellinger wieder auf dem Zettel - der Fokus aber, liegt auf Paschke. "Das ist immer die beste Situation, wenn der eigene Mann im Gelben Trikot ist", sagt Wellinger.
Wellinger mit Leichtigkeit
Er wirkt gelöst, scherzt und bringt viel Leichtigkeit mit zum Auftaktspringen am Sonntag (29.12.2024) nach Oberstdorf. Zur Schattenbergschanze, die so etwas wie Wellingers "Hassliebe" ist - eine Schanze, die ihm nicht immer liegt: "Im Training habe ich da schon manchmal einen Rotz zusammengesprungen", sagt er. Denn: "Das Spektakuläre ist das Unspektakuläre." Genau das könnte er auch über Teamkollege Paschke sagen, der auf dem Podium unweit des großen, leuchtenden Tannenbaums direkt neben ihm sitzt.
Paschke hat in diesem Jahr sein System gefunden, kann starke Sprünge - bis auf wenige Ausnahmen, wie bei der Generalprobe in Engelberg, die er angeschlagen absolvierte -meist abrufen, ist ganz bei sich und seinen Abläufen. Dass die Hoffnungen 23 Jahre nach Hannawalds Sieg bei dieser Tournee auf ihm und auf seiner beeindruckenden Konstanz liegen, weiß auch Paschke. "Als Skispringer ist das sicher eine der größten Sachen, die man gewinnen kann", sagt er und lacht f,ast so, als hätte er die Frage nach der Favoritenrolle in den vergangenen Wochen nicht immer und immer wieder beantwortet.
Hannawald hofft auf deutschen Tournee-Sieger
Bei der Vierschanzentournee ist alles ein wenig größer - Medienrummel, Aufmerksamkeit, Erwartungshaltung. Das weiß auch Bundestrainer Stefan Horngacher, der dieser Tage versucht, die richtige Balance für sein Team zu finden. "Wir sind uns der medialen Präsenz bewusst, versuchen aber auch Schlupflöcher zu nutzen", erklärt der Bundestrainer. Schlupflöcher im vollgestopften Terminkalender des Teams. Wichtig seien Ruhephasen. "Es macht was aus, wenn du während des Wettkampfs mal aus Lärm und Stress rauskommst."
Der Druck ist auch fernab der vier Springen da, fürs deutsche Team und für Pius Paschke. Denn nicht nur Fans und Verantwortliche hoffen, dass sich nach 23 Jahren mal wieder ein deutscher Springer den Sieg holt. "Ich zähle die Jahre genau so", sagt Hannawald, einst Tournee-Sieger und heute Sportschau-Experte. "Weil ich schon immer die Hoffnung hatte, dass es mal klappt. Und ich ertappe mich in diesem Jahr, dass ich sage: Es sind noch bessere Voraussetzungen."
Seitenblick zu den Österreichern?
Schließlich ist nicht nur Paschke in starker Form, auch Wellinger zählt zum erweiterten Favoritenkreis. Dass die Konkurrenz etwa mit dem starken österreichischen Team, das nicht nur einen, sondern gleich mehrere Top-Springer mit Tournee-Ambitionen mitbringt, groß ist, wissen beide. Den Fokus aber wollen Wellinger und Paschke bei sich behalten.
Auf die Österreicher angesprochen und gefragt, wer denn nun der stärkste Springer bei den Nachbarn sei, ist die Antwort des Bundestrainers so kurz wie präzise: "Wellinger und Paschke." Die Lacher nimmt Bundestrainer Horngacher aktuell so gern, wie die Leichtigkeit, die die beiden auf dem Podium neben ihm ausstrahlen. Es dürfte vielleicht die schwierigste Aufgabe der kommenden Tage sein, den Druck nicht allzu groß werden zu lassen und die Leichtigkeit zu bewahren. Das aber war vor 23 Jahren vermutlich auch nicht anders.