2:3-Niederlage in der Analyse Hertha scheitert gegen den HSV an den einfachen Wahrheiten
Hertha BSC hat trotz einer der besten Saisonleistungen das so wichtige Spiel gegen den Hamburger SV knapp mit 2:3 verloren. Die Berliner waren zwar in vielen Belangen das bessere Team, scheiterten aber einmal mehr an den einfachen Fußballwahrheiten. Von Marc Schwitzky
Fußball ist kein logischer Sport. Ja vielmehr ein grausamer. Hier gewinnt nicht immer derjenige, der es aufgrund seiner Leistung auch verdient gehabt hätte – im Gegenteil, diese 90 Minuten sind so vielschichtig und von kleinen Entscheidungen geprägt, dass sehr oft das Ergebnis im Nachhinein das Narrativ des Spiels prägt. Es gibt im Fußball eben keine B-Note, jeder Endstand kann sich zurechtgelegt werden.
Erst Nutznießer, dann Opfer
In der vergangenen Woche war Hertha BSC der Nutznießer davon. Die Berliner gewannen den Rückrundenauftakt beim SC Paderborn mit 2:1 – und wussten vermutlich selbst nicht so genau, wie das aufgrund der Leistungsverhältnisse gelingen konnte. Kurzum: Es war ein überaus glücklicher Sieg, der eigentlich dem sehr viel strukturierteren und gefährlicheren Gegner hätte zukommen müssen. Aber Fußball ist kein logischer Sport. Oder eben doch sehr logisch, denn: Am Ende gewinnt die Mannschaft, die mehr Tore geschossen hat – eigentlich einfach. So war es letztendlich auch egal, denn Hertha hatte gewonnen und tabellarisch den Anschluss nach oben gehalten.
Und so findet Herthas bittere Heimniederlage gegen den Hamburger SV am Samstagabend auf gleich zwei Bewertungsebenen statt: Zum einen haben die Blau-Weißen völlig unverdient mit 2:3 verloren, weil sie das gefährlichere und dominantere Team waren. Zum anderen ist es eine verdiente Niederlage, weil die "alte Dame" einmal mehr über sich selbst – also über mangelnde Effizienz und fehlende defensive Souveränität – stolperte. Die einzige unumstößliche Wahrheit: Für eine Niederlage, egal wie unverdient, gibt es null Punkte. Es gibt im Fußball eben keine B-Note.
15 Minuten Fiél-Fußball
Dabei begann alles so gut. Herthas Spieler nutzten einen ganz besonderen Rahmen – ein ausverkauftes Olympiastadion beim ersten Heimspiel nach dem ersten Todestag von Kay Bernstein samt Sondertrikot und rührender Choreo – um die vielleicht besten 15 Anfangsminuten der Saison hinzulegen. Die Blau-Weißen spielten vom Anpfiff an sauber und strukturiert nach vorne, glitten dank diszipliniertem Positionsspiel und viel Laufaufwand abseits des Ballträgers geradezu durch die Hamburger Defensivketten. Hinzu kam ein äußerst aggressives Pressing, das den HSV früh unter Druck setzte.
Es schien, als hätte der Sieg in Paderborn der Mannschaft Flügel verliehen, als würde sie wieder vollends an die mutige Idee von Trainer Cristian Fiél glauben – und seinen Fußball auf den Rasen bringen wollen. Hertha schnürte den eigentlich leicht favorisierten HSV regelrecht ein, Spieler wie Ibrahim Maza oder Michael Cuisance liefen zeitweise zur Höchstform auf. Nach 15 Minuten hatte Hertha 68 Prozent des Ballbesitzes und ein Torschussverhältnis von vier zu null. Doch es stand 0:0.
Hertha scheiterte gegen den HSV nämlich immer wieder an den einfachen Wahrheiten des Fußballs – wie zum Beispiel: Dominanz und tolle Statistiken helfen nicht, wenn die Effizienz fehlt. Trotz herausragendem Beginn gingen die Hauptstädter nicht in Führung. Gleich zweimal verpassten sie es, Großchancen zu nutzen, viele weitere vielversprechende Momente wurden nicht in letzter Konsequenz ausgespielt. "Dann musst du einfach mal einen machen", brach es Trainer Fiél nach dem Spiel einfach herunter – und meinte damit wohl nicht nur die Szenen am Samstagabend, sondern die gesamte bisherige Spielzeit.
Zu viele einfache Fehler
Doch der HSV hielt sich dran, denn in der 23. Minute erzielte ausgerechnet Ex-Herthaner Davie Selke das 0:1. Es resultierte aus einem Angriff, der gleich an mehreren Stellen hätte verhindert werden können. Mehrmals gaben Herthas Spieler, allen voran Pascal Klemens nur Begleitschutz, ohne wirklich in den Zweikampf zu gehen. So wurde es den „Rothosen“ leicht gemacht, bis in den Berliner Strafraum zu kommen und dann Selke per Flanke zu bedienen. Der Mittelstürmer kam jedoch nur so frei zum Kopfball, weil sein zugeteilter Gegenspieler kein großgewachsener Innenverteidiger sondern der 20 Zentimeter kleinere Michal Karbownik war. Ein Leichtsinnsfehler, der es Selke einfach machen sollte.
Auch wenn Hertha anschließend nicht den Kopf verlor und weiter strukturiert spielte, war der Rückstand ein Wirkungstreffer. Hertha fehlte im Anschluss die Dynamik aus der Anfangsviertelstunde, zusätzlich verteidigte der ermutigte HSV dank taktischer Anpassungen nun deutlich kompakter. Es vergingen rund 40 deutlich ausgeglichenere Minuten ohne große Chancen für Hertha, bis es zum zweiten Mal klingelte – erneut für den HSV, erneut aus dem Nichts. Auf den ersten Blick war es schlicht ein Traumtor von Ransford Königsdörffer, der den Ball herrlich in den rechten Torwinkel schlenzte, doch auf den zweiten Blick begünstigte Hertha den Treffer dadurch, dass die Abwehr kollektiv schlief. Gleich drei Berliner hätten die Möglichkeit gehabt, doch energisches Stören einzugreifen, doch sie blieben wie angewurzelt stehen und guckten dem Gegentor nur zu.
So mögen die beiden Hamburger Treffer zwar aus dem Spielverlauf heraus unverdient gewesen sein, doch sie waren Abziehbilder der Herthaner Abwehrleistung seit nun schon eineinhalb Saisons – in entscheidenden Momenten sind sie nicht da. Drei Zu-Null-Spiele in 19 Ligapartien sind kein Zufall mehr. Acht Spiele ohne Gegentor seit Juli 2023 erst recht nicht. Sowohl Pal Dardai als auch Nachfolger Fiél haben keine Lösung für Herthas defensive Schlampigkeit gefunden. Fußball ist ein Fehlersport – und Hertha macht entschieden zu viele Fehler. Ob aus mangelnder Reife oder Qualität.
Als wäre Reese nie weg gewesen
Doch Hertha steckte erneut nicht auf, Fiél wechselte in der 65. Minute gleich drei Mal und eröffnete somit die Schlussoffensive. Allen voran Rückkehrer Fabian Reese sollte noch einmal einen erheblichen Einfluss auf das Spiel nehmen. Hertha drückte – nun im 4-4-2 – auf den Anschluss- und Ausgleichstreffer. Reese eroberte in der 72. Minute im Sprint den Ball, legte ihn in den Strafraum, wo Derry Scherhant auf Cuisance ablegte, der den 1:2-Treffer erzielte. Auf einmal schien wieder alles offen zu sein, auf einmal war da wieder Glaube, auf einmal hatte Reese – als wäre er nie weg gewesen – das Olympiastadion angezündet. So sehr, dass die Mannschaft angepeitscht von den Rängen in der 80. Minute zum 2:2-Ausgleich kam. Wieder Reese, wieder eine Flanke und dieses Mal traf Marten Winkler sehenswert.
Es waren Minuten, die zeigten, was alles möglich wäre, würde sich diese launige Mannschaft nur öfter zusammenreißen und ihr Momentum auch in Tore umwandeln. Doch gerade als Hertha auf das 3:2 drückte, folgte der Todesstoß – der HSV erzielte in der 84. Minute das 2:3. Erneut, weil es Hertha den Hanseaten zu leicht machte. Hoch aufgerückt fehlte Hertha bei einem Ballverlust die richtige Restabsicherung, ausgerechnet Offensivspieler Winkler musste beim HSV-Konter in den entscheidenden Zweikampf und verlor ihn naiv, sodass der Weg zum Tor frei war. Das 2:3 zog endgültig den Stecker, es sollte an diesem Tag nicht sein.
Der Aufstieg ist erstmal kein Thema mehr
"Heute war viel von dem dabei, was ich von den Jungs sehen will. Nur müssen wir anfangen, uns auch dafür zu belohnen", resümierte Fiél nach dem Spiel. Hertha führte das Spiel in nahezu allen Statistiken an. Mehr Torschüsse, Ballbesitz und gewonnene Zweikämpfe. 2,5 zu 0,6 Expected Goals. Doch Fußball ist eben nicht logisch, denn all der Aufwand und all die sichtbaren Ansätze sollten nicht zu einem Punktgewinn führen. Hertha kann sich ein Spiel, in dem es teilweise eben nicht über Ansätze hinausging und man defensiv weiter dieselben Fehler machte, zu diesem Zeitpunkt der Saison schlicht nicht mehr leisten.
Die "alte Dame" trennen nun ganze neun Punkte von einem direkten Aufstiegsplatz, vom Relegationsrang mindestens sieben. Durch die Niederlage am Samstagabend haben die Berliner den Anschluss nach oben verloren, der Aufstieg wird erst einmal kein Thema mehr sein. Eben weil die Mannschaft es in den letzten eineinhalb Jahren viel zu selten geschafft hat, die Effizienz aus dem Paderborn-Spiel mit der spielerischen Leistung aus dem HSV-Spiel zu kombinieren. Doch beides braucht es, um konstant zu punkten und oben mitspielen zu können. Hertha ist es derzeit nicht zuzutrauen, den Wankelmut zu besiegen und so mehr Punkte als die leicht enteilte Konkurrenz einzufahren. So droht es nach 19 Spielen, die nächste verschenkte Saison zu werden.
Sendung: rbb UM6, 26.01.2025, 18 Uhr