Paralympics 2024 in Paris Para-Schwimmerin Gina Böttcher - Lebenskünstlerin vor der Belohnung
Ihr gesamtes Leben hat Gina Böttcher mit großen Widerständen zu tun. Das erfolgreiche Ankämpfen der Schwimmerin dagegen könnte mit Medaillen bei den Paralympics belohnt werden.
Gina Böttcher hat ihr gesamtes Leben lang schon mit verschiedenen Schicksalsschlägen klarkommen müssen - da könnte sie schon fast mit einem Schulterzucken wahrgenommen haben, dass sie die im Vorfeld erhoffte Hilfe nicht erhalten hat. Der SC Potsam hatte vor den Paralympics eine Crowdfunding-Aktion ins Leben gerufen, um ihren Athleten, zu denen auch Böttcher gehört, ein Trainingslager zu finanzieren. Doch die Unterstützung blieb weitgehend aus.
Das Ziel von 5.000 Euro wurde deutlich verfehlt, es wurden "nur" 1.878 Euro bis zum Schluss der Aktion am 6. August einbezahlt. Und deswegen ging das Geld zurück an die 33 Gönner, es gab also keine finanzielle Hilfe.
Leibliche Eltern gaben Böttcher nach Geburt ab
Und so musste Böttcher, die dennoch ein Trainingslager absolviert hat, wieder improvisieren - aber das macht sie ohnehin schon seit dem Beginn ihres Lebens. 2001 kam sie ohne Unterarme und -schenkel ("longitudinale Fehlbildung") auf die Welt, im Vorfeld war ihre Behinderung aber auf den Ultraschallbildern nicht zu erkennen. Ihre leiblichen Eltern fassten darauf den Entschluss, sie in eine Pflegefamilie zu geben.
"Ich habe gehört, dass das wegen der Behinderung war, von ihnen persönlich weiß ich leider nichts. Ich habe aber auch nicht nachgefragt, weil ich den Kontakt auch nicht suchen will. Ich bin glücklich, wie es ist", sagte Böttcher im Sportschau-Interview. "Meine Pflegefamilie ist wie meine leibliche Familie, ich spüre da keinen Unterschied."
Mit 1,5 Jahren hat sie die Familie gefunden, bei der sie auch heute noch lebt. Das alles habe sie widerstandsfähig gemacht. "Ich bin von Natur aus auf mich allein gestellt und weiß mit Dingen umzugehen. Ich sehe das nicht als schlimm an und lebe damit gut", sagte Böttcher dem "Deutschlandfunk".
Vier Starts in Paris - und auch Medaillen?
So gut, dass die 23-Jährige am Freitag (30.08.2024) ihr erstes von vier Rennen bei den Paralympics bestreiten hat. Dort schied sie in ihrem Vorlauf über 100 Meter Freistil aus. Trotzdem hat sie in Paris gute Aussichten auf Medaillen. Denn nach ihrem EM-Triple in diesem Jahr gehört sie zu den Favoritinnen. "Es ist auf jeden Fall jetzt mehr Selbstvertrauen da. Ich weiß, wo ich stehe und hoffe, dass ich das in Paris auch so zeigen kann", nahm sie sich vor rund vier Monaten schon vor.
Ihre Paralympics-Teilnahme begann mit den 100 Meter Freistil, außerdem startet sie einen Tag später über 150 Meter Lagen, am 4. September über 50 Meter Brust und am 7. September über 50 Meter Rücken. Dort hatte sie bei den Paralympics vor drei Jahren in Tokio ihr bestes Ergebnis, wurde Sechste.
"Natürlich wünsche ich mir Medaillen, aber ich möchte nicht so gerne darüber reden, weil ich nicht enttäuscht werden möchte. In Tokio habe ich mir auch viel vorgenommen und wurde dann enttäuscht, das will ich nicht nochmal erleben", so Böttcher. "Ich werde mein Bestes geben und weiß, dass ich gut drauf bin. Und das heißt immer was Gutes."
Böttcher hatte große Angst vor Wasser
Dass sie im Para-Schwimmen zu den Besten gehört, grenzt dabei allerdings an ein Wunder. Denn Böttcher hatte einst sogar panische Angst vor Wasser, nachdem sie im Urlaub in Dänemark beinahe ertrunken wäre. "Auch als ich angefangen habe mit dem Schwimmen (in der 7. Klasse im Schulschwimmen, d. Red.), hatte ich noch sehr viel Angst und habe sehr lange gebraucht, um ins Schwimmerbecken zu kommen. Aber ich bin dabei geblieben und habe den Spaß gefunden", sagte sie.
Mit der Hilfe der Sonderpädagogin und Schwimmlehrerin Birgit Marquardt, die ihr Talent im Becken entdeckte, bekämpfte und besiegte sie ihre Furcht. Und so hat diese Zusammenarbeit auch den Grundstein für eine jetzt schon erfolgreiche Karriere gelegt.
Böttcher: "Im Wasser kann ich sein, wie ich bin"
Im Wasser fühle Böttcher "Schwerelosigkeit". "Das habe ich an Land nicht, im Wasser kann ich sein, wie ich bin. Das ist ein großer Faktor, warum ich in Paris dabei bin", sagte sie. "Im Wasser muss ich keine Kompromisse eingehen und Alternativen finden."
Was ihr jedoch grundsätzlich gelingt. Dank eines Umbaus kann Böttcher alleine Auto fahren, mit dem Skateboard kommt sie zu Trainings- und Wettkampfstätten. Früher war sie noch bei alltäglichen Dingen auf Hilfe angewiesen, wurde oftmals mit dem Rollstuhl geschoben. Dass sie sich so gut durch diese Widerstände gekämpft hat, könnte jetzt mit paralympischen Medaillen belohnt werden.