Vieles neu im Para-Tischtennis "Die Paralympics haben ein ganz neues Drehbuch"
Seit Jahren ist das deutsche Para-Tischtennisteam ein Medaillengarant - allen voran Valentin Baus und Thomas Schmidberger. Aber Corona und eine neue Wettbewerbsstruktur sorgen bei den Paralympics in Paris für einige Unwägbarkeiten.
Immer wieder spielt Bundestrainer Volker Ziegler seine Angaben auf die andere Seite der Platte. Thomas Rau soll am Tag vor dem Wettkampfbeginn bei den Paralympics noch ein bisschen an seinem Return arbeiten. Und der 40-jährige Rau ist mit sich selbst offenbar nicht zufrieden. Immer wieder schüttelt er den Kopf und verzieht das Gesicht. Mund abputzen, weiter machen. Da kommt schon der nächste Ball von Ziegler.
Doch die beiden werden jäh aus ihrer Konzentration gerissen. Auf der anderen Seite der Halle, wo sich grad zwei südkoreanische Doppel einspielen, feuern Betreuer und Volunteers die Athleten an. Mit Rufen und besonders mit Schlägen auf die Metallblende an der Tribüne machen sie Krach.
Ziegler dreht sich zur Tribüne mit den deutschen Beobachtern und ruft lachend: "Da seht ihr mal, was acht Menschen für einen Lärm machen können. Jetzt stellt euch mal vor, hier sind 8.000."
Französische Tischtennis-Begeisterung auch bei den Paralympics?
Während der Olympischen Spiele ist in Frankreich eine große Tischtennisbegeisterung ausgesprochen. Der 17-jährige Felix Lebrun hat seine Landsleute mit seinem begeisternden und vor allem erfolgreichen Spiel total verzückt. Von einer "Lebrun-Mania" spricht Ziegler und geht davon aus, dass auch bei den Paralympics beim Tischtennis richtig was los sein wird.
Ich liebe es, wenn die Halle voll ist. Und am besten ist es, wenn die Zuschauer gegen mich sind.
Thomas Schmidberger, der bei den vergangenen drei Paralympics je zwei Medaillen gewonnen hat, freut sich diebisch. "Ich liebe es, wenn die Halle voll ist. Und am besten ist es, wenn die Zuschauer gegen mich sind", betont der 32-Jährige.
Ziegler wiegelt jedoch ein bisschen ab. Er erinnert an Olympia-Athlet Dang Qiu, der berichtet hatte, man könne in der Halle nicht mal den Ball auf der Platte aufspringen hören, wenn die Stimmung hochkocht. Ohnehin kann es, wenn mehrere Matches gleichzeitig stattfinden, sehr irritierend sein, wenn schon während der eigenen Angabe plötzlich Jubel aufbrandet. Und der Coach stellt sich darauf ein, dass er dann nur sehr wenig Einfluss auf seine Athletinnen und Athleten nehmen kann.
Tokio-Paralympicssieger Baus "ist völlig cool"
Zieglers Team war in den vergangenen Jahren ein Medaillengarant. Ob Valentin Baus, Schmidberger oder Stephanie Grebe. Besonders Baus' Bilanz ist beeindruckend: 2019 holte er den EM-Titel, 2021 folgte Paralympics-Gold, im Jahr darauf wurde er Weltmeister und noch mal ein Jahr später Europameister. "Valentin ist völlig cool und ruht vollkommen in sich", hat der Trainer erkannt.
Der Paralympicssieger selbst sagt: "Natürlich wird die Anspannung steigen, wenn ich im Call-Room stehe und darauf warte, dass ich reingehe. Aber ich bin sehr gut vorbereitet und fühle mich fit. Ich freue mich jetzt einfach auf die Wettkämpfe."
Bundestrainer Volker Ziegler (r.) mit Valentin Baus.
Doppel und Mixed ersetzen den Teamwettbewerb
Das Turnier von Paris ist allerdings aus mehreren Gründen sehr schwer vorherzusehen. Da sind einerseits die durcheinandergewürfelten Setzlisten. Durch die Corona-Pandemie haben vor allem viele chinesische Athletinnen und Athleten einge Turniere verpasst. Das hat zur Folge, dass sie in der Weltrangliste abgerutscht sind - und nun schon viel früher als Gegner auf Schmidberger (Nummer zwei seiner Klasse) und Baus (Nummer eins) treffen könnten.
Die Regeländerungen kommen besonders China zugute. Die Auslosung in Paris ist für uns noch wichtiger als sonst. Die Paralympics haben jetzt ein ganz anderes Drehbuch.
Sorgen bereitet aber auch eine Änderung der Wettkampfstruktur. Wurde in Tokio nach den Einzeln noch der Teamwettbewerb ausgespielt, wurden die Einzel in Paris nicht nur ans Ende gesetzt. Statt der Mannschaftswertung gibt es nun Doppel- und Mixedkonkurrenzen.
Und das spielt besonders China mit seinem unerschöpflichen Reservoir an Top-Spielerinnen und -Spielern in die Karten. Da jedes Land je zwei Doppel pro Klasse stellen darf und diese in die beiden unterschiedlichen Hälften des Turnierbaums einsortiert werden, könnte es vielfach zu rein chinesischen Finals kommen.
Knüpfen die Deutschen an ihre Erfolge an?
Das wollen besonders Schmidberger und Baus natürlich verhindern. Der Bundestrainer hat zwar intern Ziele benannt, öffentlich sagt er aber nur, dass aufs deutsche Team "herausfordernde Spiele" warten.
"Wir sind auf jeden Fall auf Augenhöhe mit der Spitze", ist Schmidberger deutlich forscher. "Die Duelle waren immer knapp." Seine Paralympics-Bilanz ist beeindruckend: Bisher hat er in jedem Wettbewerb, in dem er angetreten ist, eine Medaille gewonnen. "Meine Quote liegt bei 100 Prozent - die würde ich natürlich gern fortsetzen." Gold fehlt ihm nocht. Mit seinem WM-Titel vor zwei Jahren hat er aber noch mal ein Ausrufezeichen gesetzt.
Stephanie Grebe gewann in Tokio Bronze, in Rio 2016 war es Silber.
Ziegler freut sich, dass alle auf den Punkt fit sind. Niemand habe gesundheitliche Probleme. Der Coach warnt aber auch vor zu hohen Erwartungen: "Wir haben zehn Jahre lang mehr geliefert als erwartet. Das ist aber keine Garantie dafür, dass es nicht auch mal eine Überraschung nach unten geben kann."
Bundestrainer Ziegler: "Das ist Vorfreude pur"
Dann beendet Ziegler das Training mit Rau, der in Tokio im Team Bronze gewann. Allen anderen hatte der Bundestrainer kurz vor dem Start der Wettkämpfe noch mal einen freien Tag gegeben. "Es wird auch wichtig sein, dass alle im Kopf frisch sind", sagt der 58-Jährige. Um zwischen den Wettkämpfen mal runterzukommen, stehen der Mannschaft in der Nähe zwei Hotelzimmer zur Verfügung. Der Weg zurück ins Dorf wäre viel zu lang.
Der Bundestrainer und sein Team brennen darauf, dass es jetzt losgeht. "Meinetwegen hätten wir auch schon früher starten können, aber mich fragt ja keiner", sagt Ziegler, der seine Spieler noch mal auf die besonderen Umstände in der Halle eingehen wird. Und trotz der Unwägbarkeiten ist für ihn klar: "Bei uns ist Vorfreude pur."