WM-Achtelfinale mit viel Liebe Kolumbien gegen Jamaika - welches Märchen geht weiter?
Die Teams aus Kolumbien und Jamaika haben mit ihren Erfolgen bei der Frauen-WM 2023 das Interesse am Frauenfußball in ihren Ländern geweckt. Eines der Teams scheidet am Dienstag (08.08.2023, 10 Uhr MESZ, Live-Ticker auf sportschau.de) im direkten Duell in Melbourne aus dem Turnier. Die Entwicklung zu Hause soll das aber nicht bremsen.
Als Kolumbiens Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Jamaika beendet ist, brandet Jubel auf. Standing Ovations für Trainer Nelson Abadía und die junge Verteidigerin Ana Maria Guzman. Die kolumbianischen Journalistinnen und Journalisten sind Feuer und Flamme für ihre "Cafeteras", wie sie das Nationalteam liebevoll nennen.
Sogar Selfies werden gemacht. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn es Kolumbien nicht ins Viertelfinale schafft. Das wäre der größte Erfolg in der Geschichte des kolumbianischen Frauenfußballs.
Kolumbien kokettiert mit Favoritenrolle
Abadía, der die beiden ersten Gruppenspiele noch wegen einer Sperre aus dem Finale der Copa America verpasst hatte, ist dieser Tage bester Laune. Da tat die 0:1-Niederlage gegen Marokko keinen Abbruch. "Wir haben trotzdem ein sehr gutes Spiel gemacht."
Als Sieger der Vorrundengruppe H - vor den Nordafrikanerinnen und Deutschland - erwischte Kolumbien mit Jamaika eine der vermeintlich leichtesten Aufgaben im Achtelfinale. "Wir sind nicht die Favoriten, aber wir wollen so weit wie möglich kommen", sagt der Coach am Montagvormittag (07.08.2023) - und die mitgereisten Medienvertreter nicken zustimmend.
Guzman wie Caicedo erst 18 Jahre alt
Für Verzücken sorgt die erst 18 Jahre alte Guzman, die vor ihrem WM-Debüt steht. Sie gehört wie Superstar Linda Caicedo zum kolumbianischen 2005er-Jahrgang, mit dem U20-Nationalteam schlugen sie schon im vergangenen Jahr Deutschland bei der WM. Gegen Jamaika werden die beiden Youngsters gemeinsam die linke Außenbahn beackern, weil Verteidigerin Manuela Vanegas (Schützin zum 2:1-Sieg gegen Deutschland am zweiten Spieltag) wegen ihrer zweiten Gelben Karte zuschauen muss.
Dass sie eigentlich Rechstverteidigerin ist, macht Guzman nichts aus. "Ich spiele überall da, wo mich der Trainer aufstellt", sagt die junge Frau, die sich Schmetterlinge auf den Hals tätowieren ließ. Sie habe dem Coach in ihrem Leben so viel zu verdanken. "Auf links zu spielen, ist eine neue Herausforderung. Ich muss raus aus meiner Komfortzone. Aber wir sind alle hier, um zu lernen und unser Bestes zu geben."
Linda ist eine Referenz. Sie hat bewiesen, was man in seinem Leben trotz aller Widerstände schaffen kann. Das kann man nur bewundern.
Der kolumbianische Verband hat vor sechs Jahren mit der gezielten Förderung seiner jungen Spielerinnen begonnen und erntet nun die Früchte dieser Arbeit. "Wir sind zusammen gewachsen", erklärt Coach Abadía. Und Guzman fügt hinzu: "Ich bewundere alle Spielerinnen, die bei der Weltmeisterschaft dabei sind. Meine Mitspielerinnen sind alle meine Vorbilder."
Das gelte besonders für Caicedo. "Sie ist eine Referenz. Sie hat bewiesen, was man in seinem Leben trotz aller Widerstände schaffen kann. Das kann man nur bewundern."
Jamaika nur stark in der Defensive?
Er erwarte Jamaika sehr defensiv, sagt Abadía. Deshalb dürfte es wieder auf die fußballerischen Talente von Caicedo ankommen. Die Offensivspielerin hat zwei der vier kolumbianischen Treffer erzielt. "Im Fußball gibt es keine Geheimnisse. Am Ende geht es immer um den Ball", betont Abadía. Und der soll am Dienstag natürlich möglichst oft im jamaikanischen Tor liegen.
Doch genau das ist bei dieser WM noch keinem Gegner gelungen. Keeperin Becky Spencer und ihre Mitspielerinnen haben als einziges Team noch kein Gegentor bei diesem Turnier kassiert. "Wir sind zuversichtlich, dass wir gegen Kolumbien da weitermachen können, womit wir in der Vorrunde aufgehört haben", sagt Verteidigerin Deneisha Blackwood, die erklärt, eine erfolgreiche Grätsche sei genauso schön wie ein Tor.
Trainer Lorne Donaldson will sein Team aber nicht auf die Defensive beschränkt wissen: "Wir hatten mit Frankreich und Brasilien zwei Gegner, die zu den besten Mannschaften der Welt gehören. Da wollten wir nicht sechs oder sieben Gegentore bekommen. Jetzt kommt ein Spiel, in dem wir zeigen können, wozu wir in der Lage sind."
Blackwood: "Sind gekommen, um zu spielen"
Getragen wird auch die jamaikanische Auswahl von der Unterstützung von zu Hause. "Die Energie, die wir aus Jamaika mitbekommen, ist überwältigend", berichtet Blackwood, die schon 2019 mit dabei war, als Jamaika mit 1:12-Toren und ohne Punkt nach der Vorrunde nach Hause geschickt worden ist. "Damals waren wir total nervös. Diesmal sind wir zum Spielen gekommen", sagt die 26-Jährige, die in Frankreich unter Vertrag steht.
Wenn wir ausscheiden, haben wir zumindest alle eine gute Zeit gehabt.
Die "Reggae Girlz" seien nun Vorbilder für die junge Generation. "Das fühlt sich sehr gut an", betont Blackwood. Doch nicht nur das. "Jamaika ist nicht wirklich ein Frauenfußball-Land", weiß Coach Donaldson. "Aber die Menschen stellen sich jetzt den Wecker, um unsere Spiele zu sehen."
Diese Freude seines Teams spürt und hört der ehemalige Nationalspieler, wann immer er die Kabine betritt. "Da läuft immer Musik und es wird getanzt", berichtet er, "und ich habe dann auch das Gefühl, den ganzen Körper bewegen zu müssen." Die Art, wie er es sagt, lässt allerdings vermuten, dass seine Spielerinnen auf diesem Gebiet deutlich begabter sind als er.
Und diese Freude soll auch nicht getrübt werden, wenn das WM-Märchen im Achtelfinale sein Ende findet. "Dann haben wir zumindest alle eine gute Zeit gehabt."
Kolumbianischer Applaus als Motivationsspritze
Das gelte auch für Kolumbien, das ebenfalls Geschichte schreibt. Einer der kolumbianischen Journalisten erklärt: "Mit dem Applaus wollen wir das Team motivieren. Die Spielerinnen sollen wissen, dass das ganze Land hinter ihnen steht."
Der Sieg über den zweimaligen Weltmeister Deutschland hat die Bevölkerung zusätzlich elektrisiert. Zumal sich die Männer nicht mal für die WM-Endrunde in Katar 2022 qualifiziert hatten. "Unsere Frauen sorgen für Begeisterung in Kolumbien - und zwar bei allen, vom kleinen Mädchen bis zum Großvater."
- FIFA-Weltrangliste: Kolumbien Platz 25 / Jamaika Platz 43
- Beste WM-Platzierung: Kolumbien - Achtelfinale 2015 und 2023 / Jamaika - Achtelfinale 2023
- Fun Fact: Bei der ersten WM-Teilnahme 2019 schied Jamaika noch mit 1:12 Toren nach der Vorrunde aus. Vier Jahre später erzielte das Team in der Gruppenphase wieder nur einen Treffer - Keeperin Becky Spencer hielt ihr Tor allerdings sauber.