Deutsches Vorrunden-Aus Historisch schlechte WM mit unbekannten Folgen
Erstmals in ihrer Geschichte sind die deutschen Fußballerinnen bei einer Frauen-WM nach der Vorrunde ausgeschieden - sportlich ist das ein Desaster. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg kündigte eine "akribische" Aufarbeitung an. Die Nationalspielerinnen hoffen auf treue Fans.
Direkt an das 50.000 Zuschauer fassende Stadion in Brisbane grenzt das Grundstück der Christ Church Milton. Das alte Holzhaus mit dem kleinem Türmchen wirkt nicht nur wie aus einer anderen Zeit. Im Nebengebäude der kleinen Kirche ist die School of Philosophy Brisbane untergebracht. Ein Ort, an dem sich sicher herrlich philosophieren und diskutieren lässt.
Luftlinie keine 100 Meter davon entfernt im Stadioninneren stellte sich Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nach dem historisch schlechten Abschneiden bei der WM den Fragen der Journalistinnen und Journalisten. Auf Diskussionen hatte MVT aber so kurz nach der bitteren Enttäuschung überhaupt keine Lust. "Gebt uns doch bitte die Möglichkeit, die Dinge in aller Sachlichkeit zu analysieren und aufzuarbeiten. Ich kann heute etwas zum Spiel sagen und dazu, was wir uns vorgenommen haben. Dass wir uns das anders vorgestellt haben", sagte die 55-Jährige, die selbst 125-mal für Deutschland auf dem Platz gestanden hat, und fügte hinzu: Es habe keinen Sinn zu philosophieren, ohne zu wissen, ob es sonst besser gewesen wäre.
Wo steht der deutsche Fußball im Vergleich?
Voss-Tecklenburg und ihre Spielerinnen hatten selbst den dritten WM-Titel nach 2003 und 2007 als Ziel ausgerufen. "Wir wollten unsere Leistung einfach bestätigen", blickte die erfahrene Abwehrspielerin Kathrin Hendrich zurück. Die berauschende EM in England im vergangenen Jahr hatte dem DFB-Team das Selbstvertrauen zurückgebracht.
Umso härter war nun der Fall - der viel mehr als nur Tränen gebracht hat. Er hat Fragen aufgeworfen nach der Qualität des deutschen Frauenfußballs im weltweiten Vergleich. Nach dem Viertelfinal-Aus 2019 ging es nicht voran, sondern sogar mehrere Schritte rückwärts. Und er hat die Frage aufgeworfen, was aus dem Boom wird, den die tolle EM 2022 befeuert hat.
Lattwein: "Vielleicht hätten wir etwas ändern müssen"
"Zweifel waren da", gestand Lena Lattwein, die gegen Südkorea eingewechselt wurde, mit Blick auf die bescheidenen Ergebnisse in den letzten Spielen vor dem Turnier ein. Auf die Niederlage gegen Brasilien folgte der sehr beschwerliche Auftritt gegen Vietnam und dann die Pleite gegen Sambia. Von Hoffnung und dem Vertrauen in die eigene Stärke sprach die Mittelfeldspielerin: "Aber vielleicht haben wir uns getäuscht. Vielleicht hätten wir etwas ändern müssen."
Problemzone Abwehr
Womit wir beim Philosophieren wären. Südkoreas Coach Colin Bell sagte nach dem Spiel, er schätze die DFB-Spielerinnen Chantal Hagel und Svenja Huth - sie seien aber keine Außenverteidigerinnen. Mit der Aussage konfrontiert, erklärte MVT: "Wir wissen, dass wir nicht die Außenverteidigerinnen auf dem Platz hatten. Aber da ist uns ein bisschen was weggebrochen."
Mit Giulia Gwinn und Carolin Simon waren zwei Außenverteidigerinnen verletzungsbedingt gar nicht erst mit zur WM gefahren. Felicitas Rauch verletzte sich nach dem ersten Spiel.
Rollen waren klar verteilt und besprochen
Die Bundestrainerin ging trotzdem unbeirrt ihren Weg. Mit jeder Spielerin wurde schon im Vorbereitungscamp in Herzogenaurach die genaue Rolle für die WM besprochen. Die Stammelf wusste genauso Bescheid wie die zweite Reihe, die zudem klar gesagt bekommen hatte, für wen sie der Back-up war.
Ähnlich war es vor der EM gewesen - und in der Mannschaft sehr gut angekommen. In Australien schien es allerdings so, als habe sich Voss-Tecklenburg unnötig Fesseln angelegt. Denn diesmal lief es nicht - und ein Umdenken hätte womöglich weitergeholfen.
Hätte Huth in der Offensive mehr geholfen?
Hagel war nicht in der Lage, in der "dynamischen Dreierkette" den Part der verletzten und besonders spielstarken Felicitas Rauch einzunehmen. Als die offensive Flügelzange - schon gegen Kolumbien - schwächelte, wurde nicht etwa Huth von hinten rechts auf ihre angestammte Position auf rechtsaußen vorgezogen. Sie musste weiter von hinten nach vorne die Linie beackern. Dabei schlug sie bei der WM die mit Abstand gefährlichsten Flanken.
Voss-Tecklenburg kündigt akribische Aufarbeitung an
"Wenn das Ergebnis nicht stimmt, muss man sich in die Verantwortung nehmen lassen", sagte Voss Tecklenburg, die eine "akribische" Aufarbeitung und Gespräche mit ihrem Team und jeder einzelnen Spielerin ankündigte. "Wir haben in den letzten zwei Jahren sehr viel erreicht und angeschoben und darauf wollen wir trotz dieses Rückschlags weiter aufbauen", schrieb sie am Tag nach dem Spiel bei Instragram.
Das Verletzungspech war allerdings auch groß: Außer den Außenverteidigerinnen fehlten Abwehrchefin Marina Hegering und Mittelfeldantreiberin Sydney Lohmann einfach zu lange. Letztere zeigte in der Schlussphase des Spiels gegen Südkorea, welch positiven Einfluss sie auf das gesamte deutsche Spiel bei der WM hätte nehmen können.
Stimmte die Belastungssteuerung?
Ein großes Thema dürfte in der Analyse die Belastungssteuerung werden. Die Bundestrainerin ließ anklingen, in der Vorbereitung womöglich zu viel Rücksicht auf die Vereinsinteressen genommen zu haben. Hinzu kam, dass die Spielerinnen des FC Bayern München später als zunächst besprochen zum Team gestoßen waren. Aber auch bei der WM ist womöglich nicht alles ideal gelaufen.
Auch wenn das Team der Fitnesstrainer um Julius Balsmeier einen genauen Plan ausgearbeitet hatte, hätte womöglich mehr Zeit dafür aufgebracht werden müssen, dass sich die Automatismen einstellen. Und wenn - trotz der auffallend vielen freien Nachmittage - dafür genügend Zeit aufgewendet worden sein sollte, waren es vielleicht doch die falschen Spielerinnen. Aber spätestens an dieser Stelle geht es wieder um Fragen der Philosophie.
Hendrich: "Wollen die Chance bekommen, es besser zu machen"
Die Spielerinnen hoffen nun, dass der Misserfolg keine einschneidenden Folgen hat. "Ich habe die Hoffnung, dass trotz alledem die Entwicklung, die wir nach dem letzten Jahr mit dem Frauenfußball genommen haben, jetzt nicht abbricht, dass man jetzt nicht aufhört", sagte Kapitänin Alexandra Popp und Hendrich fügte hinzu: "Das Ergebnis ist nicht gut für unseren Fußball. Aber ich hoffe, dass die Fans uns treu bleiben, dass wir die Chance bekommen, es noch mal besser zu machen."
Olympia-Qualifikation startet schon im September
Die Hoffnung lebt und dürfte nicht unbegründet sein. Zu groß war der Schritt, den der deutsche Frauenfußball in den vergangenen Jahren gemacht hat. Und zu bald geht es schon wieder in wichtigen Spielen weiter: In der Nations League, in der die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 auf dem Spiel steht. Und 2025 folgt bereits die EM in der Schweiz.
Dass auf dem Gelände der Christ Church Milton in Brisbane direkt vor der Stadionwand auch ein kleiner Friedhof liegt, soll jedenfalls nicht als Sinnbild dienen. Stadion, Kirche und die Philosophieschule - für das DFB-Team ist Brisbane einfach ein Ort zum Vergessen.