
Paris St. Germain in der Champions League Das Meisterwerk des Luis Enrique
Eine gewisse Wandlungsfähigkeit ist Luis Enrique angeboren. Wer fünf Jahre für Real Madrid und weitere acht Jahre für den FC Barcelona spielt, um am Ende immer noch unterschätzt zu werden, der muss erstaunlich vielseitig sein.
Ein Verständnis für jede Position des Fußballs zu besitzen, galt als eine hervorstechende Eigenschaft als Aktiver. Heute als Trainer wird ihm dieses Verständnis als Vorteil angerechnet, denn sonst hätte Enrique wohl nicht so eindrucksvoll Erfolg bei Paris St. Germain.
Endlich ist da einer, der die teuren Puzzleteile passend zusammensetzt. Seit 14 Jahren läuft dieses aus Katar unterstützte PSG-Konstrukt dem großen Ziel Champions-League-Triumph hinterher. Jetzt vor dem Halbfinale beim FC Arsenal (Dienstag, 29.04., ab 21 Uhr im Live-Ticker der Sportschau) gehört Enriques Ensemble zu den Topfavoriten auf den Henkelpott.
In neuer Ausrichtung titelreif
Weit mehr als zwei Milliarden Euro haben die Klubbesitzer aus Katar seitdem in neue Spieler investiert. Jahrelang gab Präsident Nasser Al-Khelaifi das viele Geld seines katarischen Sports-Investment-Fonds QSI so aus, als säße er in der Hauptstadt Doha an einem Computer-Managerspiel. Zlatan Ibrahimovic, Neymar, Lionel Messi, Kylian Mbappé: Nur der Name zählte.
Doch vor dem ersten Halbfinal-Spiel beim FC Arsenal in London zeigt sich auf paradoxe Weise: Wirklich reif für den ersehnten Titel scheint das Ensemble ausgerechnet erst in dieser Saison zu sein, in der mit Mbappé auch der letzte Megastar den Klub verlassen hat. Aus einer dysfunktionalen Ansammlung von Individualisten ist ein funktionierendes Kollektiv geworden.
Großes Lob vom PSG-Präsidenten
Dafür hat erst der Spanier das Sagen bei Frankreichs Serienmeister bekommen müssen. Seine Verpflichtung 2023 hat sich als Glücksgriff erwiesen. "Für mich ist er aktuell der beste Trainer der Welt", sagte Al-Khelaifi nach dem Achtelfinal-Erfolg gegen den FC Liverpool über Enrique.
"Er hat die Vision. Er hat den Plan für die Zukunft. Dass jeder für jeden arbeitet, für den Sieg, für die drei Punkte, für die Offensive, für die Defensive: Das ist der neue Stil." Intensität wird von der Trainerbank gepredigt.
Rückkehr nach privater Tragödie
Die Pressing- und Laufdaten dienen als eindrucksvoller Beleg, was Enrique eingeführt hat. Mitunter wird aus seiner Laufbahn im spanischen Verband ja unterschlagen, was er damals mitmachen musste: Kaum hatte er vom glücklosen Fernando Hierro nach dem Reinfall bei der WM 2018 in Russland übernommen, fehlte er plötzlich bei den Länderspielen im Frühjahr 2019.
Die privaten Gründe entpuppten sich alsbald als persönliche Tragödie: Wenige Monate später gab der Fußballlehrer bekannt, dass seine Tochter Xana an den Folgen eines Knochentumors verstorben sei. Der Krebstod seines Kindes mit neun Jahren warf alles über den Haufen.
Konflikt mit Real Madrid
Dass er dennoch wieder zurückkehrte, brachte ihm viel Anerkennung ein. Zumal Enrique vor Konflikten nicht zurückschreckte, um seine Ansichten durchzubringen. Er legte sich bald mit Real Madrid an, als er nämlich vor der EM 2021 auf "königliche" Repräsentanten verzichtete.
Enrique, der aus dem nordspanischen Asturien stammt, wusste zu gut, dass man sich in Madrid gern für den Nabel der Welt hält. Doch weil das Nationalteam bei jenem Turnier im Halbfinale gegen Italien genauso im Elfmeterschießen scheiterte wie bei der WM 2022 in Katar bereits im Achtelfinale gegen Marokko, wollten ihm die Funktionäre nicht mehr vertrauen.
Spannende Mixtour mit Hochbegabten
Dabei hatte er bereits einen Jugendstil eingeleitet, von dem sein Nachfolger Luis de la Fuente bei der EM 2024 in Deutschland profitierte. Nun predigt er halt an der Seine sein Credo: "Wir wollen Spieler, die hungrig sind." Alle anderen sortiert er knallhart aus - selbst wenn sie wie Randal Kolo Muani erst anderthalb Jahre zuvor für knapp 100 Millionen Euro von Eintracht Frankfurt geholt worden waren.
Herausgekommen ist eine spannende Mixtur mit Hochbegabten wie Désiré Doué und Warren Zaire-Emery, beide erst 19 Jahre jung. Teure Transfers wie der Georgier Khvicha Kvaratskhelia (SSC Neapel) oder der Portugiese João Neves (Benfica Lissabon) ergänzen sich mit ehemaligen Bundesligaprofis wie Achraf Hakimi (Borussia Dortmund), Willian Pacho (Eintracht Frankfurt), Lucas Hernández (Bayern München) oder Ousmane Dembélé (Borussia Dortmund), wobei gerade letzterer die bemerkenswerteste Wandlung durchgemacht hat.
Die Verwandlung des Ousmane Dembélé
"Ich habe das Gefühl, endlich zu mir selbst gefunden zu haben", sagte der Angreifer kürzlich in der Zeitung "Le Parisien". Der Profi, den die Dortmunder Fans auch als schnöseligen Totalverweigerer kennen, behauptet von sich, er sei mit bald 28 Jahren "erwachsen geworden". Er selbst spricht von einem "Lernprozess" nach "sehr schwierigen Zeiten" vor allem beim FC Barcelona.
Im September 2022 ist Dembélé Vater einer Tochter geworden. Ihm hilft der neue Spielstil und eine neue Rolle: Mittelstürmer statt Rechtsaußen. In Königsklasse und Ligue 1 kommt Dembélé alle 94 Minuten auf ein Tor, sein mit Abstand bester Karrierewert - im Vorjahr lag er bei 491 (!) Minuten. "Ousmane", betonte Trainer Luis Enrique, "das sind nicht nur Tore, es ist viel komplizierter..."
PSG spielt das intensivste Pressing Europas, im extrem laufbetonten Ansatz hat er eine Schlüsselrolle. Die Disziplinlosigkeiten hat er aber nicht komplett abgestellt - Enrique bestrafte ihn dafür, als er ihn in der Vorrunde nicht für das Arsenal-Spiel berücksichtigte. Jetzt soll er gegen denselben Gegner den Unterschied machen.
Experten sind sich einig: Das Momentum, erstmals den Titel zu gewinnen, war selten besser als diesmal. Zuletzt erreichte PSG im Corona-Jahr 2021 das Finale gegen Bayern München, das kurioserweise mit Kingsley Coman ein in Paris ausgebildeter Spieler entschied, für den der Klub keine Verwendung hatte. Der Trainer damals hieß noch Thomas Tuchel.