Skisprung-Olympiasieger Tande Er mag nicht mehr fliegen
Ein Skisprung-Olympiasieger, der Höhenangst hat - so begannen Geschichten über Daniel-André Tande manchmal. Er sprang trotzdem, oft sehr weit - bis ein Sturz vieles veränderte, auch die Angst. Nun hört er auf.
Einmal noch stand Tande vor dem Holmenkollen in Oslo, nur trug er diesmal Jeans und Hemd und keinen Anzug, wie ihn Skispringer eigentlich tragen. Er stand vor der Schanze, auf die er so oft geklettert war, jeder Schritt eine Überwindung. Von der er gesprungen war, den Blick nie nach unten gerichtet und auch nicht zurück, immer nur nach vorne. Dort also verkündete Tande in einer Videobotschaft seinen Abschied. Er sagte: "Ich habe beschlossen, meine Karriere zu beenden."
Seine Geschichte ist die eines Sportlers, der sich überwunden hat, immer wieder. Tande, 30, hat Höhenangst, sie hat ihn während seiner Karriere begleitet. Trotzdem kletterte er Schanzen hoch. Er flog auf Skiern durch die Luft, einmal 243,5 Meter weit. Er gewann Titel im Skisprung und im Skiflug: Gold bei den Olympischen Winterspielen 2018. Gold auch bei vier Weltmeisterschaften, dreimal mit der Mannschaft, einmal alleine. Erfolg hatte er auf den kleinen und den großen Schanzen.
Nun mag sich Tande nicht mehr überwinden. Er mag nicht mehr fliegen. "Ich habe erkennen müssen, dass das Springen bei mir mittlerweile mehr Angst als Freude auslöst", sagte Tande. "Und ich hatte immer gesagt, dass es an einem solchen Punkt Zeit ist, auf Wiedersehen zu sagen."
Tande lag nach einem Sturz im künstlichen Koma
Die Angst, von der Tande spricht, ist nicht die vor der Höhe. Mit ihr hat er sich arrangiert. Er meint die Angst, die ihn seit seinem Sturz im slowenischen Planica 2021 begleitet. Bei einem Probedurchgang hatte er die Kontrolle verloren und war auf den Hang gestürzt. Es war ein heftiger Sturz. Die Skisprung-Welt sorgte sich um einen ihrer Besten.
Ärzte eilten herbei. Später erklärten sie im Fernsehen, sie hätten Tande "mechanisch beatmen" müssen. Das klang nicht gut. Er kam ins Krankenhaus, wo er in ein künstliches Koma versetzt wurde. Heute weiß man: Aus medizinischer Sicht hatte er Glück im Unglück. Das Schlüsselbein war gebrochen, die Lunge leicht verletzt, aber eine Schädigung des Gehirns lag nicht vor. Nach 19 Tagen wurde er aus dem Krankenhaus entlassen.
"Dachte für einen Moment, dass ich sterbe"
Tande kehrte auf die Schanze zurück, so wie er auch zurückgekehrt war, nachdem er 2018 am sogenannten Stevens-Johnson-Syndrom erkrankt war - einer Hautkrankheit, die unterschiedlich verläuft, aber tödlich enden kann. Bei ihm führte sie zu einer Entzündung im Mundraum, sie führte zu Atemnot. Tande hat darüber später mit dem "Spiegel" gesprochen. Er sagte: "Ich dachte für einen Moment, dass ich sterbe."
Die Krankheit hat Tande überlebt, auch die Verletzungen, die er sich bei seinem Sturz Jahre später zugezogen hat, sind längst verheilt. Zurück blieb die Angst - und eine Erkenntnis: Tande mag nicht mehr fliegen. Er sagt: "Ich habe immer noch mit den Nachwirkungen meines Sturzes 2021 in Planica zu kämpfen."
"Freue mich auf ein neues Kapitel"
Im März 2022, nicht mal ein Jahr nach dem Unfall, ist Tande noch einmal weiter gesprungen als alle anderen. Er gewann den Weltcup am Holmenkollen. Norwegens Skisprung-Sportdirektor Clas Brede Braathen sagte: "Daraus kann man nicht mal einen Film machen, das wäre zu dämlich, zu schön."
Das Ergebnis war eine Überraschung, auch für Tande. Er sagte: "Zu Hause am Kollen zu gewinnen - besser wird's nicht." Tande behielt recht. Besser wurde es nicht.
In einigen Monaten beginnen im norwegischen Trondheim die nordischen Ski-Weltmeisterschaften, auch im Skispringen werden Titel vergeben. Im Leben von Tande, dem Olympiasieger und Weltmeister, wird dann eine andere Zeit angebrochen sein. Er ist nun kein Profi mehr. Er sagt: "Ich freue mich wirklich darauf, ein neues Kapitel zu beginnen."