Die Strecke in Oberhof

Studie zur Biathlon-Zukunft Verschwindet der Biathlon-Weltcup aus Mitteleuropa?

Stand: 21.01.2025 18:11 Uhr

Oberhof und Ruhpolding sind zwei Höhepunkte im jährlichen Biathlon-Kalender. Die Atmosphäre und Begeisterung an beiden Orten sind herausragend. Doch haben die beiden deutschen Standorte auch eine Zukunft in Zeiten der Klimakrise? Eine neue Studie gibt Hinweise. Der Biathlon-Weltverband hat bereits reagiert.

Das Wasser lief Franziska Preuß über die Haare, über die hochgesteckte Brille, durch die sie wegen der Regentropfen nichts mehr sah, der Anzug war nass, der Schnee schwer, der Frust der Weltcupspitzenreiterin nach Rang 28 im Sprint von Oberhof deutlich anzusehen. Regen, matschiger Schnee, kein Wetter, bei dem Biathlon Spaß macht - weder auf der Strecke noch auf den Rängen im Biathlon-Stadion.

Diese Bilder kennen die Biathleten und Biathlon-Fans mittlerweile. Aus Oberhof, dem tschechischen Nove Mesto oder dem französischen Annecy. Selbst im sonst schneesicheren Kontiolahti stapfte die Weltelite der Skijäger zu Beginn der Saison in den Mixed-Staffelrennen durch einen leichten Niesel.

Studie: Hat Biathlon eine Zukunft?

Sind das Bilder, an die sich Zuschauer und Fans in den kommenden Jahren gewöhnen müssen? Der Frage, ob Biathlon in Zeiten der Klimakrise eine Perspektive hat, sind der Weltverband IBU und die Uni Innsbruck in einer Studie nachgegangen. Untersucht wurde dabei, wie sicher die eigenen Standorte bis ins Jahr 2050 sind. Dazu hat man sich die Szenarien für 38 verschiedene Biathlon-Standorte weltweit angeschaut.

Und zwar unter Berücksichtigung einer moderaten Klimaerwärmung von rund 1,7 Grad Celsius 2030 bis zu einer starken Erwärmung von rund 3,1 Grad Celsius im Jahr 2050. Dazu wurden verschiedene Einflussfaktoren wie natürliche Schneesicherheit, Temperaturen (zur Schneeproduktion), vorhandene Schneedepots oder als ästhetische Komponente eine verschneite Landschaft einbezogen. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie liegen der Sportschau vor.

IBU-Sportdirektor Böhm: "Saisonbeginn wird kritische Phase"

Sportschau Wintersport

IBU-Sportdirektor Böhm: "Auch 2050 noch Events"

Die Ergebnisse lassen sich für die Zukunft positiv oder alarmierend interpretieren – je nach Betrachtungsweise. Daniel Böhm, Sportdirektor beim Weltverband IBU, sieht es so: "In einem moderaten Szenario bei guter Schneeproduktionskapazität, sprich auch Investitionen in die Infrastruktur, sind die meisten unserer Venues auch 2050 noch in der Lage, Events im Winter durchzuführen", wie er im Sportschau-Interview sagt. Klar ist aber auch Böhm: Ohne künstlichen Schnee und Schneedepots geht es nicht. Und: "Gerade in Mitteleuropa wird die Periode Januar, Februar, also der Kernwinter, immer mehr in den Fokus rücken. Der Saisonbeginn vor Weihnachten wird die kritische Phase."

Wissenschaftler Steiger: "Zunehmend Probleme im Dezember und März"

Professor Robert Steiger von der Universität Innsbruck präzisiert im Sportschau-Gespräch und hat einen kritischeren Blick auf die Daten. Steiger sagt zunächst zur Sicherheit im Kernwinter Januar/Februar: "Schon in den 2030ern sinken wir auf 75 Prozent sichere Locations in der Hauptsaison. Rund ein Viertel der Gebiete, die es heute austragen, können es in der Zukunft nur noch mit steigendem Risiko. Es wird häufiger vorkommen, dass Veranstaltungen in diesen Orten ausfallen müssen."

Für den Saisonauftakt und das -ende sinke die Zahl der verfügbaren Weltcup-Orte noch mal: "In der Vor- und Nachsaison ist der Anteil der sicheren Orte dann nochmal deutlich geringer, da liegen wir dann schon bei 25 bis gut 30 Prozent. Man wird zunehmend Schwierigkeiten haben, überhaupt noch Austragungsorte für Dezember und März zu finden", so der Wissenschaftler am Innsbrucker Institut für Finanzwissenschaft, der sich seit vielen Jahren unter anderem mit Auswirkungen vom Klimawandel auf den Tourismus beschäftigt hat.

Die wichtige Rolle der Schneeproduktion

Ein wichtiges Kriterium für künftige Veranstaltungen liegt dabei neben dem Temperaturanstieg auch in der Fähigkeit, Schnee produzieren zu können. Bei geringer Schneeproduktions-Kapazität fallen selbst bei moderatem Temperaturanstieg bereits 2030 und im Dezember rund 20 Prozent der möglichen Weltcuporte raus. Bis 2050 steigt diese Zahl auf rund 30 Prozent. Bei guten Kapazitäten sind es bis 2030 nur rund zehn Prozent im Dezember. Bis 2050 könnten den Studienergebnissen zufolge mit viel künstlich erzeugtem oder gelagertem Schnee im Kernwinter Januar/Februar an allen Weltcuporten Veranstaltungen realisiert werden, wenn auch zu etwa 15 Prozent "wenig zuverlässig".

Kostenfaktor künstlicher Schnee

Der Kostenfaktor: Aktuell liegt der Preis für einen Kubikmeter künstlich erzeugten Schnees bei günstigen Voraussetzungen mit hohem Anteil regenerativer Energie bei unter zehn Euro. Der Preis kann aber auch doppelt so hoch sein. Für eine 2,5-Kilometer-Weltup-Runde benötigt werden etwa 20.000 Kubikmeter Schnee.

In Mitteleuropa wird es unsicher

Kritisch, so Steiger, seien vor allem die Weltcuporte in Mitteleuropa. Ohne Oberhof, Ruhpolding, Nove Mesto oder Annecy-Le Grand Bornand konkret anzusprechen, sagt der Wissenschaftler, der bereits für das Internationale Olympische Komitee eine Machbarkeitsstudie für künftige Winterspiele erstellt hat: "Wir sehen in Mitteleuropa die größte Anzahl von Locations, bei denen es unsicherer wird."

Zukunft in Asien und Skandinavien?

Welche Schlüsse ziehen der Weltverband und der Wissenschaftler? IBU-Sportdirektor Böhm erklärt, man müsse sich "mehr Gedanken zur Kalenderstruktur" machen, "wann kann man noch an welchen Venues Events durchführen." Steiger sagt: "Wenn wir Richtung 2050er Jahre schauen, sind die sichersten Locations in unserer Analyse die asiatischen, gefolgt von den skandinavischen. Grundsätzlich kann man sagen, wenn man in den Norden geht, nach Skandinavien, wird es etwas sicherer."

Steiger: "Es wird Orte geben, die verschwinden"

Auch Steiger empfiehlt, sich bereits vor 2050 "den Rennkalender auch unter dem Aspekt nochmal anzusehen, dass man zu sicheren Zeiten in den Locations ist". Und gerade für die mitteleuropäischen Standorte sagt der Österreicher, sei es "auf längere Sicht die Frage, ob der ein oder andere Kandidat wirklich noch drinbleiben kann. Es wird Orte geben, die ganz von der Landkarte verschwinden, weil es zunächst finanziell nicht mehr machbar ist und später auch technisch."

Oberhof-Geschäftsführer Wernecke: "Ziel ist Klimaneutralität"

An den deutschen Weltcup-Standorten Oberhof und Ruhpolding hört man die Ergebnisse mit Interesse, aber ohne große Sorge. Denn gerade technisch sehen sich beide Standorte gut aufgestellt. "Das ist für uns nichts Neues", sagt Bernd Wernecke, Geschäftsführer der Oberhofer Weltcup-Veranstalter. Vor der Weltmeisterschaft 2023 hätten sich die Thüringer bereits ausführlich mit künftigen Klimaszenarien auseinandergesetzt.

Kalender: Oberhof will in den März

Das Mikroklima in Oberhof ist etwas anders, am Thüringer Rennsteig sind die Tage Anfang Januar meist etwas wärmer, im Februar ziehen die Temperaturen dann etwas an. Daher wollen die Oberhofer einen neuen Platz im Weltcup-Kalender. "Wir wollen ins dritte Trimester", sagt Wernecke. Eine entsprechende Bewerbung für den Zeitraum 2026 bis 2030 habe man bereits abgegeben. "Im dritten Trimester hat Oslo mehr Nebeltage als Oberhof. Wir haben eine sehr gute Bewerbung abgegeben", ist Wernecke optimistisch. Gründe für eine Kalenderverschiebung wären besseres und kälteres Wetter sowie die wetterunabhängige Schneeproduktion.

IBU gibt Kalender bei WM in Lenzerheide bekannt

Böhm bestätigte auf Sportschau-Nachfrage, dass die Bewerbung eingegangen sei und auch diskutiert werde. Ob Oberhof ins dritte Trimester wechseln könne, wollte Böhm aber nicht verraten. Aber so viel: Der neue Kalender wird am Rande der Weltmeisterschaft in Lenzerheide im Februar kommuniziert.

Wechsel nach Asien? "Keine Bewerbung"

Einen Wechsel bereits in der kommenden Kalenderphase nach Asien, wo die besten Zukunftsaussichten für schneesichere Biathlon-Weltcups bestehen, schloss Böhm allerdings aus. Für den Zeitraum bis 2030 habe sich kein asiatischer Weltcuport um eine Austragung beworben. Grundsätzlich stehen in Asien die Biathlon-Stadien der Olympischen Spiele 2018 in Südkorea und 2022 in China zu Verfügung.

Für die Asia Winter Games 2025 im chinesischen Harbin wurde zudem ein neues Biathlon-Stadion gebaut. Nach dem Ende des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine könnten in einer aktuell noch nicht absehbaren Zukunft auch wieder russische Standorte in Asien, wie Tjumen oder Chanty-Mansijsk zur Verfügung stehen.

Steiger: "Sport ist Schaufenster für Innovationen"

Neben der Empfehlung, den Kalender perspektivisch anzupassen, sieht Wissenschaftler Steiger die Entwicklung "neuer Hochleistungszentren in einer anderen Höhenlage, die vielleicht auch sicherer sind". Und: "Es ist wichtig, zu beobachten, was in Richtung Klimaschutz getan wird." Dabei gehe es um nachhaltige Schneeproduktion oder die Reduzierung von Entfernungen zwischen Veranstaltungsorten. "Das betrifft alle Gesellschaftsbereiche und der Sport ist ein Schaufenster für Innovationen. Wenn es der Hochleistungssport schafft, dann kann der eine oder andere auch etwas klimaschonender unterwegs sein."

IBU setzt auf "Snow Network"

Den Biathlon-Weltverband sieht Steiger da bereits als "Vorreiter". Eine Innovation, so erklärt Böhm, sei das sogenannte "Snow Network", wo die einzelnen Weltcuporte aktuellste Erkenntnisse zur Verbesserung der Schneeproduktion austauschen. So könne durch neueste wissenschaftliche Ergebnisse der Schneeverlust in einem Schneedepot über den Sommer von 30 auf rund 15 Prozent halbiert werden. Zudem, so erklärte Christian Winkler, Kommunikationsdirektor der IBU, solle der CO2-Fußabdruck bis zum Jahr 2030 halbiert werden, verglichen mit 2021.

Oktober 2025: Saisonauftakt auf Skirollern

Letztlich ist sich auch die IBU darüber bewusst, dass eine Perspektive im Biathlon unter anderem eine Zukunft auf Skirollern sein könnte. Einen großen Skiroller-Aufschlag soll es bereits in diesem Jahr geben. Dann findet die Saisoneröffnung der Biathleten zum "Loop One"-Festival im Münchner Olympiapark und auf Skirollern statt.