Denise Herrmann-Wick mit Gold-Medaille
analyse

Lehren der ersten WM-Woche Herrmann-Wick trägt das deutsche Biathlon-Team

Stand: 14.02.2023 12:39 Uhr

19 Jahre lang musste Oberhof auf ein WM-Comeback warten. Schon die erste Woche bot Spektakuläres: von Partyschlagern, dem deutschen WM-Gesicht und einer norwegischen Übermacht.

Sportschau-Kommentator Thomas Kunze hat mit Blick auf die erste WM-Woche in Oberhof folgende - natürlich überspitzte - These formuliert: "Aus deutscher Sicht gibt es drei Themen - Denise, Herrmann und Wick.“ Ganz so monothematisch ist die größte Biathlon-Veranstaltung in Thüringen seit 2004 selbstredend nicht, im Kern steckt trotzdem viel Wahrheit. Es sind bislang die Hermann-Wick-Festspiele. Mit Gold im Sprint und Silber in der Verfolgung sorgte die 34-Jährige für die bislang einzigen Medaillen des Deutschen Skiverbandes. Im Anschluss wurde sie nicht nur im Stadion, sondern auch auf der sogenannten Medal Plaza in Oberhof von Tausenden gefeiert. "Der Gang durch die Zuschauer zur Medaillenübergabe ist unglaublich - ein Gefühl, von dem man nicht satt werden kann.“

Dass Hermann-Wick sich mit den Erfolgen ihren eigenen Traum erfüllte, ist klar. Dass die überragenden Leistungen jedoch auch für das gesamte deutsche Team wichtig sind, ist spür- und hörbar. "Es ist erstmal schön für die Mannschaft, das zu erleben. Zum anderen ist jetzt der gröbste Druck weg, weil ein Ergebnis steht“, konstatierte Johannes Kühn.

Der Druck bei dieser Heim-WM ist für die deutschen Athletinnen und Athleten enorm. Eine Galionsfigur wie Denise Herrmann-Wick im Team zu haben, die vorneweg marschiert und in deren Schatten auch schwächere Ergebnisse geduldet, oder sogar besser, junge Athleten mit starken Leistungen aufblühen können, kann für die Deutschen auch in der zweiten WM-Hälfte noch von übergeordneter Wichtigkeit werden.

Die deutschen Frauen sind in guter Form - mit einer Ausnahme

Die drei wichtigsten Zahlen des Frauen-Verfolgungsrennens vorneweg: 2., 5., 8.. Das sind die Platzierungen von Denise Hermann-Wick, Sophia Schneider und Hanna Kebinger. Ein herausragendes Mannschaftsergebnis und ein Fingerzeig Richtung zweite Woche - und vor allem Richtung Staffel. Schneider, die bei ihrer ersten Weltmeisterschaft sowohl läuferisch als auch am Schießstand überzeugt, gibt sich nach dem Verfolger selbstbewusst. "Bei einer WM zählen am Ende nur Medaillen. Es kommen noch Chancen, auch mit der Staffel - ich glaube das wird eine mega coole Staffel.“ Bei der die Deutschen sich berechtigte Hoffnungen auf eine Medaille machen dürfen.

Sophia Schneider, Denise Herrmann-Wick und Hanna Kebinger

Ein Wermutstropfen bleibt im Frauen-Team jedoch. Vanessa Voigt, die unweit von Oberhof aufgewachsen ist, seit frühester Kindheit über die Loipen der Arena am Rennsteig raste, befindet sich zur Unzeit in einer Formkrise. Es begann mit einer unbefriedigenden Mixed-Staffel, ging mit einem verpatzten Sprint und Platz 41 weiter und nahm den bisherigen Schlusspunkt bei der Verfolgung - mit Platz 46. Zu ungenau mit dem Gewehr, momentan auch zu langsam in der Loipe - so lautet das harte, aber zutreffende Urteil. Mit Blick auf die Staffel könnte der Platz der bislang gesetzten Vanessa Voigt gewaltig wackeln.

Benedikt Doll - tief gefallen und in großem Stil wiederauferstanden

Wackeln ist ein gutes Stichwort: Benedikt Doll ist nicht nur bekannt für seinen außergewöhnlichen Laufstil, der oft mit dem Adjektiv "wackeln“ umschrieben wird. Der beste Deutsche im Gesamtweltcup ist auch extrem wackelig in diese Heim-WM gestartet. In der Mixed-Staffel hatte er mit einer Strafrunde gewaltigen Anteil am enttäuschenden Abschneiden des DSV-Quartetts (sechster Platz), im Sprint setzte sich seine Schwäche am Schießstand nahtlos fort. Das ernüchternde Resultat: fünf Fehler und Platz 55. "Mein Schießen war vogelwild, eine einzige Katastrophe“, berichtete ein sichtlich angefasster Doll im Anschluss. "Dafür trainiert man nicht 20 Jahre.“

Benedikt Doll In Aktion

Das wirklich Besondere an dieser Geschichte um Benedikt Doll bei der Biathlon-WM sollte aber erst noch folgen. Millionen an den Fernsehern wurden in der Verfolgung Zeugen einer Selbsttherapie - fast schon einer Art Katharsis. Von Platz 55 rackerte sich Doll Platz um Platz nach vorn - am Ende sollten es unfassbare 40 Plätze werden. Später suchte der 32-jährige Schwarzwälder weiter nach Erklärungen - und sagte im ZDF: "Es könnte an meiner Sehleistung liegen. Ich habe so ein bisschen Astigmatismus. Wenn man da die Blende aufdreht und mehr Licht reinkommt, dann wird das Bild einfach verschwommener. Dann habe ich vielleicht gedacht, ich bin im Zentrum, war es aber nicht.“

Und das Wichtigste: Mit nur zwei Fehlern holte sich Deutschlands "Capitano“, wie ihn Mannschaftskamerad Roman Rees nennt, die Sicherheit am Schießstand wieder. "Erfolge feiern ist immer einfach, Niederlagen zu verarbeiten - das ist die Kunst. Und das habe ich heute ganz gut gemacht“, gab sich Doll im Interview spürbar erleichtert. "Geht doch“, schrieb er später auf seinem Instagram-Kanal. Die zweite Woche der WM könnte für Doll eine Art Restart werden.  

Viel laufen, oft schießen - und am Ende gewinnt ein Norweger

Ihre Dominanz ist schon fast erdrückend, die norwegischen Männer dominierten diese Titelkämpfe bis jetzt nach Belieben, einzig eine Bronzemedaille haben sie der Konkurrenz überlassen. Im Sprint gab es einen Dreifachsieg, sogar fünf Athleten unter den besten sechs. In der Verfolgung gingen Gold und Silber an die Skandinavier, allen voran der Dominator Johannes Thingnes Bö, der die vergangenen acht Einzelrennen in Folge gewonnen hat.

Johannes Thingnes Bö jubelt

Fast ebenbürtig ist sein Thronfolger Stura Holm Laegreid, der zwar manchmal im Schatten des Gesamtweltcupführenden steht, aber der Konkurrenz ebenso weit enteilt ist. "Es ist schon nervig, muss ich sagen. Wie oft haben wir die Kombination Bö und Laegreid gesehen. Das ist frustrierend, wie kompakt sie sich vom ganzen Feld absetzen“, beschrieb es Roman Rees nach dem Verfolgungsrennen.

Sportschau-Wintersport-Podcast, 13.02.2023 22:30 Uhr

Und da wäre ja noch die Mixed-Staffel, die vor allem dank der beiden Männer - Bö und Lagreid - zum Auftaktgold gelaufen ist. Das Reservoir an Athleten scheint groß, denn selbst die zweite Garde, die nicht zu dieser WM gereist ist, könnte um die Medaillen mitlaufen. 

"Der Zug hat keine Bremse“

Egal, was noch kommen mag, der Partyschlager wird der Song dieser Weltmeisterschaften bleiben und inszeniert hat ihn ein Ex-Athlet und heutiger Sportschau-Experte - Erik Lesser. Bei der Eröffnungsfeier begrüßte der zweimalige Weltmeister die deutsche Mannschaft auf der Medal Plaza im Kurpark als Laudator mit diesem Hit. Der Veranstalter hatte eigentlich mit Andreas Bouranis "Ein Hoch auf uns“ geliebäugelt, doch Lesser entschied sich spontan für den "Zug“.

Eröffnungsfeier der Biathlon-WM in Oberhof

Seitdem donnert er durch die Lautsprecher der Arena am Rennsteig, auch zur Freude von Denise Herrmann-Wick. "Es ist schon gut, dass unser Lied heute so ein bisschen zum Tagesbusiness wurde“, erklärte die 34-Jährige nach ihrem Erfolg im Sprint. "Da kann man mitgröhlen und das macht mich einfach locker. Es ist die optimale Wettkampfvor- und Nachbereitung.“

So war es auch kein Wunder, dass nach beiden gewonnenen Medaillen der 34-Jährigen das gesamte deutsche Team in einer Art Raupe durch das Stadion robbte, während die Fans auf der Tribüne mitsangen. Doch damit nicht genug, auch abends auf der Medal Plaza rollte der Zug über den Catwalk - mit wehender Deutschland-Flagge als Lokomotive und etlichen DSV-Athleten als Wagons im Anhang, die noch weitere Medaillen einsammeln könnten. "Wir waren im Weltcup in allen Staffeln dabei, nur einmal nicht auf dem Podium, da werden wir bei der WM nicht mit angezogener Handbremse auf Platz fünf laufen, aber auch im Einzel und in den Massenstarts ist hier was möglich“, erklärte ein zufriedener Sportdirektor Felix Bitterling zur Halbzeit.