Halbfinalist in Wimbledon "Magier" Musetti - Ein Top-Spieler der anderen Art
Lorenzo Musetti schafft in Wimbledon seinen Grand-Slam-Durchbruch, fordert Novak Djokovic im Halbfinale. Sein Spielstil macht den jungen Italiener besonders.
Lorenzo Musetti, Halbfinalgegner von Novak Djokovic in Wimbledon, sticht heraus aus dem Kreis der Weltklasse-Tennisspieler. Zum einen mit seiner Rückhand, er setzt auf die einhändige Variante - die eigentlich schon als Auslaufmodell gilt. Er spielt sie elegant und kraftvoll die Linie hinunter wie sein Idol Roger Federer, oft aber auch als unangenehmen Slice.
Zum anderen ist da sein variables Spiel, geprägt von auffällig vielen Stopps. Musetti spielt sie vor allem mit der Vorhand und gerne ansatzlos, in Situationen, in denen kein Stopp zu erwarten ist. Damit will er nicht unbedingt den direkten Punkt machen, aber den Rhythmus des Gegners brechen, ihn ans Netz zwingen.
Warum ihn manche den "Magier" nennen
Ein Paradebeispiel aus dem Wimbledon-Viertelfinale gegen Taylor Fritz wird derzeit in den sozialen Netzwerken geteilt und begeistert kommentiert. Nach neun kräftezehrenden Grundschlägen ist Musetti durch einen langen Ball von Fritz in der Defensive. In der Rückwärtsbewegung, einen guten Meter hinter der Grundlinie, klappt er plötzlich das Handgelenk ab, setzt den Ball per Vorhand-Stopp kurz hinters Netz.
Danach positioniert sich Musetti kurz vor der Grundlinie, bereit für Fritz' Antwort. Der US-Amerikaner spielt keinen Gegenstopp, sondern lang longline - und Musetti vollendet mit einem geschickten Vorhand-Volley-Passierball aus der hinteren Ecke, unkonventionell mit leichtem Vorwärtsdrall. Es sind solche Punkte, wegen derer manche ihn einen "Magier" nennen.
Goldene italienische Generation
Musetti ist 22 Jahre alt und Italiener - eine Kombination, die aktuell in der Weltrangliste groß in Mode ist. Gleich vier Spieler mit diesen Daten stehen in den Top 50: Jannik Sinner, die Nummer eins, Luciano Darderi (Platz 37), Flavio Cobolli (48) und eben Musetti (25). Auch Matteo Arnaldi (35) kommt aus Italien, ist aber schon 23 Jahre alt.
Wohl auch wegen dieser Fülle an italienischen Toptalenten ist Musettis stetiger Aufstieg nicht groß aufgefallen. Dabei zeigte sich sein Talent früh, auch unter Gleichaltrigen: Aus dem Jahrgang 2002 war er 2019 der erste Spieler, der ein Match auf der zweitklassigen Challenger Tour gewinnen konnte. 2020 war er dann der erste mit einem Sieg auf der ATP Tour.
ATP-Titel in Hamburg und Neapel
Schon 2022 folgte der erste Titel auf der ATP Tour, im Finale von Hamburg bezwang er keinen Geringeren als Carlos Alcaraz in drei Sätzen. Drei Monate später legte er in Neapel nach mit einem Finalsieg gegen Landsmann Matteo Berrettini.
Bei den Grand Slams ist Musetti mittlerweile Stammgast, schaffte es bei den French Open zweimal ins Achtelfinale. In Wimbledon war die dritte Runde im Vorjahr sein bisher bestes Ergebnis.
Lorenzo Musetti spielt eine einhändige Rückhand
Tränen nach Viertelfinal-Einzug
Rasen gilt nicht als Musettis Lieblingsbelag, aber trotzdem schafft er nun in Wimbledon einen Quantensprung. Schon der Einzug ins Viertelfinale kommentierte er im Court-Interview emotional: "Ich habe davon geträumt, seit ich ein Kind war. Ich hatte eine wunderbare Familie, die mich wirklich unterstützt hat, meinen Traum zu verfolgen", sagte er, bevor die zittrige Stimme versagte.
Der Viertelfinalsieg gegen Fritz kam dann doch überraschend, der US-Amerikaner war Favorit. Und jetzt die ganz große Halbfinal-Bühne gegen einen der ganz, ganz Großen: Novak Djokovic. "Er kennt den Untergrund wahrscheinlich besser als ich, das Stadion auf jeden Fall. Er ist eine Legende", sagte Musetti. "Es ist eine der schwersten Aufgaben auf der Tour. Aber ich bin ein ambitionierter Kerl und mag Herausforderungen."
Ein Sieg in sechs Duellen mit Djokovic
Immerhin: Er weiß, wie man Djokovic schlägt, schaffte dies 2023 im Achtelfinale von Monte Carlo auf Asche. Und im jüngsten Duell bei den French Open zwang Musetti Djokovic in einem denkwürdigen Spiel in den fünften Satz. Die weiteren vier Begegnungen der beiden waren allerdings eine klare Angelegenheit für den Serben.
Djokovic greift in Wimbledon nach seinem achten Titel, würde dadurch mit Rekordsieger Roger Federer gleichziehen. Aber die junge Generation schließt auf, Musetti ist einer von ihnen. Ein charmant wirkender Typ ohne große Allüren, schon in jungen Jahren Vater eines vier Monate alten Sohnes und Träger eines Oberkörper-Tattoos, das besagt: "Il meglio deva ancora venire" - "Das Beste kommt erst noch."