Warten in Wimbledon Anstehen in "The Queue": Die berühmteste Schlange der Tennis-Welt
Die Warteschlange, um an eines der begehrten Tickets in Wimbledon zu kommen, gehört so sehr zum wichtigsten Turnier der Welt wie die Erdbeeren mit Sahne. Jene, die sich einreihen, sind riesengroße Tennisfans und haben sehr viel Geduld mitgebracht.
Das begehrte Ziel schon fast in Sichtweite und doch noch viele Stunden entfernt. So lässt sich die berühmteste Warteschlange der Sportwelt zusammenfassen. Nur einen kurzen Fußmarsch von der U-Bahn-Station Southfields entfernt, schlängelt sie sich auf einem großen Feld: die so genannte "Queue".
Hier gibt es sie, die Tickets für Wimbledon. Die Anlage lässt sich, gerade im Dunkel der Nacht, auf der anderen Straßenseite nur erahnen. Empfangen werden jene, die wirklich warten wollen mit dem Spruch "Always Like Never Before". "Immer wie nie zuvor" steht also auf dem großen Tor, das in eine Welt einlädt, die es so wohl nur beim wichtigsten Tennisturnier der Welt gibt. Eine Welt, die nicht ohne eine Heerschar von Freiwilligen auskommt, hier Stewards genannt. Eine von ihnen hält die große Fahne mit dem schwarzen großen Q auf blassgelbem Grund, sie markiert das Ende der Schlange und den Beginn des Wartens.
Wimbledon Warteschlange
Fans zelten in der Schlange
Obwohl der Vortag noch nicht zu Ende ist, die Uhr erst kurz nach 23 Uhr zeigt, ist die Queue schon bei Nummer 927 angelangt. Eine derjenigen, die die Ordnung über Nacht aufrechterhält, ist Jana. Sie ist Night Steward und damit Ansprechpartnerin, sowohl für die Neuankömmlinge als auch für all jene, die ihr Zelt schon ausgebreitet haben. Denn ab 23 Uhr ist Nachtruhe in der nun zum Zeltplatz umfunktionierten Schlange. Es wird nur noch mit gedämpfter Stimme gesprochen.
Jana, seit drei Jahren eine der „Nachtwächterinnen“, berichtet davon, wie die Queue im Jahr 2022 noch ganz klein war. Viele hätten sich kurz nach dem Ende der Pandemie wohl noch nicht wieder unter Menschenmassen getraut. Doch dieses Misstrauen ist einer neuen Lust auf das Event Wimbledon gewichen. Und der Lust, dafür eine sehr lange Wartezeit auf sich zu nehmen. Denn bevor hier irgendwer auf die Anlage kommt, sind meist 12, wenn nicht sogar 18 Stunden, vergangen.
Wimbledon Warteschlangenkarte
Eine, die all das gerne auf sich nimmt, und noch länger wartet, ist Catherine. Extra aus Belgien angereist, seit dem Samstagmorgen in der Queue und stolze Besitzerin der Wartelistenkarte mit der Nummer 00001. An diesem Dienstag doppelt begehrt. Es ist Andy-Murray-Dienstag und Catherine ein riesiger Fan des Schotten und zweimaligen Wimbledon-Siegers. "Ich habe ihn bestimmt schon 100 Mal gesehen," erzählt sie der Sportschau am Dienstagmorgen (02.07.2024) um 6.30 Uhr. Da steht noch nicht fest, dass Andy Murray zum letzten Einzelmatch seiner Wimbledonkarriere nicht wird antreten können. Der alternde Tennisstar wird von seinem in 19 Profijahren geschundenen Körper im Stich gelassen. Catherine kündigt aber schon an, dass sie sich dann eben zum Doppel von Murray mit dessen Bruder Jamie anstellen wird.
Ticketjäger brauchen Geduld
Mittlerweile, nach der Nachtruhe im ruhigen Londoner Südwesten, hat sich die Schlange in eine Menschenmasse verwandelt. Die Queue ist bei Nummer 7000 angekommen. Auf Tickets für die drei größten Courts können die Fans in diesem Teil der Schlange nicht mehr hoffen. Hier geht es nur noch darum, einen der Ground Passes zu bekommen, mit dem Tennis schauen auf den Außenplätzen möglich ist. Ist man hingegen erst gegen 10 Uhr an der Queue, kann es sein, dass sich die Tore zur Anlage erst abends um 19 Uhr öffnen. Ein wahrer Geduldssport also.
Die Geschichte der Queue in Wimbledon reicht bis Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Schon damals standen die Menschen für Tickets auf der heute berühmtesten Tennisanlage der Welt an. Zu der Zeit noch etwas unorganisiert, ist die Queue heute eine gut geölte Maschine. Seit diesem Jahr gibt es sogar eine Großbildleinwand, auf der die Wartenden die wichtigsten Matches des Tages sehen können. Dazu kommen Essensstände, Möglichkeiten das Handy aufzuladen und überall die fast schon unverschämt freundlichen Stewards.
Fünf-Jahres-Dauerkarte für 116.000 Pfund
Die Queue ist dabei nicht der einzige Weg, an Tickets zu kommen, wenn auch der direkteste. Daneben gibt es noch die Verlosung, das sogenannte "public ballot", in dem man sich für Tickets bewirbt und für jene mit der entsprechenden finanziellen Ausstattung besteht die Möglichkeit, so genannte "ebentures", quasi die Dauerkarten von Wimbledon, zu erwerben. Sie werden für einen Zeitraum von fünf Jahren verkauft. Wer eines der 2.520 Tickets für den Center Court für die Jahre 2026-2030 haben wollte, durfte im März dieses Jahres 116.000 Pfund, umgerechnet ca. 136.000 Euro, hinlegen. Auch für Court 1 wurden noch stolze 46.000 Pfund für fünf Jahre aufgerufen.
Das Recht des Geduldigeren in der Wimbledon-Queue
Da greifen die allermeisten dann doch lieber auf das Queuing zurück, und das ist eine Institution in Wimbledon wie im ganzen Königreich. Jeder, der mal an einer Bushaltestelle auf der Insel gestanden hat, weiß um die unausgesprochene Tradition. Hier gibt es kein Vordrängeln. Auch in Wimbledon hält die Nummer auf der Queue Card fest, an welcher Stelle man in der Schlange steht. Es wird explizit darauf hingewiesen, dass das Vordrängeln, das „Queue jumping“ nicht akzeptiert wird. All das verleiht der kilometerlangen Schlange eine schon fast majestätische Ruhe und Entspanntheit. Das Recht des Stärkeren gilt hier nicht. In der Wimbledon-Queue gilt das Recht des Geduldigeren.
Immerhin, die ersten unter ihnen werden um 10 Uhr erlöst. Denn mit der Ansage „Will the Stewards please open the gates!“ hat das Warten ein Ende. Zwar werden die Zuschauerinnen und Zuschauer aus Sicherheitsgründen gebeten, nicht auf die Anlage zu sprinten. Beim dargebotenen Tempo, mit denen manche von ihnen zu den im Voraus auserkorenen Courts eilen, könnten sie allerdings wohl zumindest beim olympischen Gehen reüssieren.
Wimbledon Menschenmasse
Auf dem großen Feld an der Wimbledon Park Road beginnt derweil das Queuing für den nächsten Tag. Ob sich Catherine auch schon wieder einreiht, um ganz sicher zu sein, ein Ticket für das Doppel von Andy Murray zu bekommen? Lange kann es nicht mehr dauern.