French Open Paolini und Sinner treiben Italiens Tennis-Boom an
Bei den French Open zeigen die italienischen Spielerinnen und Spieler, dass sie eine neue Ära im Profi-Tennis eingeläutet haben. Allen voran Jasmine Paolini und Jannik Sinner.
Diese schmalen Schultern bewegen eine ganze (Tennis-)Nation. Jannik Sinner ist die Zugmaschine, die ein ganzes Land vorangetrieben hat. Italien erlebt gerade einen noch nie dagewesenen Tennis-Boom. Und der 22-jährige Südtiroler ist der Vorzeigeathlet einer Spielergeneration, die die italienischen Farben so zahlreich und erfolgreich wie nie zuvor vertritt.
Sinner ist stets freundlich, bescheiden, ein fairer Sportsmann. Er ist mittlerweile auf dem italienischen Stiefel nach seinem Davis-Cup-Erfolg im vergangenen Jahr und seinem jüngsten Grand-Slam-Erfolg bei den Australian Open (der erste Italiener seit Adriano Panatta 1976 in Paris) so etwas wie ein Volksheld geworden.
Auch wenn Sinner am Freitagnachmittag (07.06.2024) das Halbfinale bei den French Open nach über vier Stunden ganz knapp in fünf Sätzen gegen den Spanier Carlos Alcaraz (6:2, 3:6, 6:3, 4:6, 3:6) verloren hat, an der Begeisterung an ihm und seinem Sport wird diese Pleite nichts ändern.
Neue Nummer eins
Der schlacksige Athlet hat den Sport fast im Alleingang zur Nummer zwei hinter dem fast schon heiligen Calcio, dem Fußball, gemacht. Ausgerechnet in dem Land, in dem Tennis sehr lange vor allem den Touristen in den vielen Ferienorten vorbehalten war - und ansonsten kaum auf Interesse gestoßen ist. Eine Erfolgsgeschichte, fast zu schön um wahr zu sein.
Jannik Sinner projiziert auf die Mole Antonelliana in Turin.
In der kommenden Woche wird Sinner als die Nummer eins der Tennis-Welt geführt. Der nächste Superlativ in der Historie des italienischen Tennis. Als dieser Erfolg feststand wurde sein Konterfei in Turin auf die Kuppel der Mole Antonelliana projiziert, dem Wahrzeichen der Stadt. Aber Sinner ist nicht allein. "Ich bin glücklich, Teil dieser italienischen Bewegung zu sein. Immer mehr Leute spielen jetzt Tennis, ich finde, das ist das Wichtigste", sagte Sinner.
Spätstarterin Jasmine Paolini
In Italien ist in den vergangenen Jahren etwas entstanden, wovon viele Tennisnationen - so auch Deutschland - nur träumen können. In den Top 100 der Weltrangliste kann das Land derzeit neun Männer und fünf Frauen vorweisen. In Roland Garros wies Italien elf Spieler und Spielerinnen in der zweiten Runde auf. Zum Vergleich: Fünf deutsche Männer und eine Frau schafften dies auch.
Im Einzel-Finale der Frauen in Paris steht mit Jasmine Paolini eine italienische Spielerin, die sich am Samstag gegen die Polin Iga Swiatek messen kann. "Ich bin vielleicht ein bisschen älter als andere, aber das Wichtigste im Sport ist, dass man Träume hat", sagte Paolini vor ihrer Finalpremiere.
Doch damit nicht genug. Gemeinsam mit ihrer Landsfrau Sara Errani erreichte die 28 Jahre alte Spätstarterin auch das Endspiel im Damen-Doppel.
Im Jugend-Wettbewerb des Pariser Grand-Slam-Turniers spielte sich Lorenzo Carboni bis ins Halbfinale vor, wo er nur hauchzart unterlag. Im Junioren-Doppel erreichte Federico Cina das Finale.
Veränderungen im Verband
Der wohl wichtigste Grund für diesen Boom liegt in der Neuorientierung des italienischen Verbandes in den vergangenen Jahren. Die italienischen Spielerinnen und Spieler können kostengünstig und ohne große Reisestrapazen im eigenen Land Weltranglistenpunkte bei so genannten Challengern, Turnieren der zweiten Kategorie, sammeln. Allein im vergangenen Jahr fanden 23 Challenger-Turniere von Südtirol bis Sizilien statt. In Deutschland sind es in einem Jahr gerade einmal acht Turniere.
Die italienischen Spieler nutzen dieses nahezu ganzjährige Angebot aus. Matteo Arnaldi (23) etwa, ebenfalls ein hochtalentierter Nachwuchsmann, der in Paris erst im Achtelfinale ausschied, trat bei insgesamt 18 Challenger-Turnieren an und spielte sich so bis an die Top 100 der Weltrangliste heran.
Aber: Die jungen Spieler trainieren auch miteinander, verstehen sich untereinander, pushen sich gegenseitig und gönnen sich - anders als in vielen anderen Tennis-Ländern - gegenseitig Erfolge. Sie fühlen sich vielmehr angestachelt von Siegen der jungen Kollegen und Kolleginnen.
"Italien zeigt in vielem, wie man sich im Tennis organisieren muss", sagte die deutsche Tennislegende Boris Becker (56) unlängst, der selbst seit einer Weile in Italien wohnt.