Pogacar fährt nicht Paris-Roubaix - Ohne den Dominator in die "Hölle des Nordens"
Es ist das härteste Rennen in der Reihe der Frühjahrsklassiker: Paris-Roubaix wird den Radprofis am Ostersonntag alles abverlangen. Vor allem Belgien hofft auf einen Sieger - nachdem der Dominator der Szene abgesagt hat.
Das wohl wertvollste Lob kam vom "Kannibalen" höchstselbst: "Das war echte Klasse. Ich habe seit langer Zeit mal wieder so richtig Spaß beim Schauen eines Radrennens gehabt", sprach Eddy Merckx nach der Flandern-Rundfahrt am vergangenen Wochenende.
Für Sieger Tadej Pogacar hatte er nur Lobeshymnen parat: "Mit seiner Fahrweise, seinem Elan und seinem Wagemut ist er direkt in die Geschichte gefahren." Pogacar fahre wie die Radsportler einst - aus dem Gefühl heraus. "Pogacar ist das Gegenteil von dem Computer-Radsport, der in den vergangenen Jahren überhandgenommen hat", sagte Merckx.
Paris-Roubaix - "meine Hände müssen zäher werden"
Tatsächlich war die Flandern-Rundfahrt ein Krimi sondergleichen und machte enorm Lust auf den nächsten Knaller in der Reihe der Frühjahrsklassiker: Paris-Roubaix, das am Ostersonntag im Norden Frankreichs über die Bühne geht.
Dort allerdings müssen die Fans auf den derzeitigen Dominator der Szene verzichten. Pogacar wird nicht antreten. "Ich muss ein paar Kilo zulegen für Roubaix. Und meine Hände müssen etwas zäher werden dafür. Dann werden wir sehen", sagt der Slowene. Es sei auf jeden Fall ein Ziel für die Zukunft, so der 24-Jährige. Und Merckx ist sich sicher: "Wenn er das sagt, wird er das eines Tages ganz sicher machen."
Über 54 Kilometer Kopfsteinpflaster
Aber auch ohne den gegenwärtigen Dominator wird die "Königin der Klassiker" ein ganz besonderer Hit. Sie führt auf ihrem Weg vom Startort Compiègne bis ins Ziel nach Roubaix über 256,6 Kilometer - davon 54,5 Kilometer über Kopfsteinpflaster. Die Favoriten? Natürlich die beiden Allrounder Mathieu van der Poel aus den Niederlanden und Wout van Aert aus Belgien.
Aber: Gerade bei Paris-Roubaix entscheidet oft die Mannschaftstaktik, landen nicht selten Fahrer vorn, die vorher kaum auf dem Favoritenblock gestanden haben. Was daran liegt, dass sich die Topstars ganz genau beäugen und dann einen der vermeintlichen Helfer fahren lassen - und dieser dann nicht wieder eingeholt wird.
Wout van Aert (r.) am Donnerstag bei der Streckenbesichtigung seines Teams
Jumbo-Visma - Sonntag soll es klappen
Größtes "Opfer" der Pogacar-Show in diesem Jahr war wahrscheinlich das niederländische Jumbo-Visma-Team. Normalerweise dominieren die Schwarz-Gelben die flämischen Rennen. Aber im Schatten von Pogacar haben sie bisher lediglich einige Krumen abbekommen. Vorjahressieger Dylan van Baarle, Christophe Laporte, Tiesj Benoot und nicht zuletzt Wout van Aert haben 2023 zwar alle schon mindestens ein Rennen auf Flanderns Straßen gewonnen. Aber mit diesem starken Block werden die "Jumbos" am Sonntag auf die Straßen und Wege gehen, um endlich eines der ganz großen Rennen der Saison zu gewinnen.
Auch die bisher glück- und sieglosen Mannen von Soudal-Quick Step um Teamchef Patrick Lefevre könnten auf den Pavés im Norden Frankreichs zum Befreiungsschlag ausholen. Kasper Asgreen beispielsweise ist ein ganz guter Kandidat für vorn, zeigte bei der Flandern-Rundfahrt eine Klasse-Leistung. Und Teamkollege Yves Lampaert ist so etwas wie der "Evergreen" auf dem Höllenritt. Sieben Mal war er bei Paris-Roubaix am Start, sieben Mal erreichte er das Ziel - keine Selbstverständlichkeit bei diesem harten Rennen. In den vergangenen drei Auflagen war der Belgier immer in den Top Ten.
Schweizer Küng mit viel PS
Sehr beeindruckend zeigte sich in Flandern zuletzt auch der Schweizer Stefan Küng (Groupama-FDJ). Der 29-Jährige ist als starker Zeitfahrer geradezu prädestiniert für eine entscheidende Solo-Attacke im letzten Renndritel. Nach Rang drei im vergangenen Jahr könnte es dieses Jahr für ihn klappen, wenn der Rennverlauf ein klein wenig in seine Karten spielt. Und nach der Leistung vom vergangenen Sonntag muss auch Mads Pedersen (Trek-Segafredo) zum engeren Favoritenkreis gezählt werden.
Aus deutscher Sicht ist Jonas Rutsch im Auge zu behalten. Vor zwei Jahren fuhr der 25-Jährige bei dem Rennen schon einmal auf Rang elf. 2022 hatte der Klassikerspezialist vom Team EF Education Pech, als er bei einer Panne kurz hinter Arenberg vier Minuten auf das Begleitfahrzeug warten musste und seine sämtlichen Chancen so verrauchten. "Paris-Roubaix ist vielleicht ein hochgestecktes Ziel, aber ich habe für das Rennen natürlich schon Ambitionen, weil ich da als Fahrertyp ganz gut hinpasse", sagt Rutsch.
Jonas Rutsch beim Eintages-Rennen Paris-Roubaix 2022.
100 Kilometer "Ruhe" - dann geht's los
Auch wenn es kleine Veränderungen bei den Pavé-Sektoren im Vergleich zum Vorjahr gibt, so ist das Rennen vom Prinzip her immer gleich. Auf den ersten rund 100 Kilometer von Compiegne in Richtung Norden fahren die Fahrer noch "unbehelligt" von Pflastersteinen.
Der erste Sektor beginnt bei Rennkilometer 96,3 mit dem Abschnitt Troisvilles nach Inchy. Schon der übernächste Abschnitt von Quiévy nach Saint-Python ist mit vier Sternen höchst anspruchsvoll und könnte einen Vorgeschmack für die folgenden Passagen geben.
Arenberg - 2,3 Kilometer ruppigste Pflastersteine
Da findet nämlich mit dem Wald von Arenberg das erste Highlight dieses Frühjahrsklassikers statt. Diese 2,3 Kilometer lange Strecke über ruppige Pflastersteine hat mit fünf Sternen den höchsten Schwierigkeitsgrad und eröffnet bereits das Finale - mehr als 95 Kilometer vor dem Ziel. Es folgen weitere neunzehn Kopfsteinpflasterabschnitte, von denen zwei weitere fünf Sterne besitzen - und so geradezu prädestiniert für Attacken und Tempoverschärfungen sind.
Frauen nicht durch Arenberg
Das Frauen-Rennen von Paris-Roubaix, das schon am Samstag stattfindet, wird im Übrigen erneut nicht durch den gefürchteten Sektor im Wald von Arenberg führen. Der Organisator ASO bezeichnete es als zu gefährlich, da der über zwei Kilometer und mit der Höchstschwierigkeit von fünf Sternen bewertete Abschnitt nicht weit genug vom Start entfernt liegt. "Wenn dort ein geschlossenes Feld ankommt, ist es zu gefährlich", sagte Franck Perque von der ASO. "Wenn wir in Zukunft dort lang wollen, müssen wir davor einige andere Kopfsteinpflastersektoren legen, um das Feld zu teilen."
Im Männer-Rennen am Sonntag sind es vom Start in Compiègne bis zu dem Abschnitt weit mehr als 100 Kilometer. Der Arenberg-Sektor ist so gefährlich, da er auf den ersten 500 Metern abschüssig ist, aus sehr schlechtem Pflaster besteht und die Männer dort anfangs Geschwindigkeiten von 60 km/h erreichen.