Schwimmen bei den Paralympics Gold, Silber und Schmerzen - Kopf-Anschlag für Topf eine Tortur
Mit Gold und Silber in seinen ersten beiden Wettkämpfen bei den Paralympics hat Schwimmer Josia Topf ordentlich abgeräumt. Doch die Erfolge haben einen Preis: Weil ihm die Arme fehlen, muss er für die entscheidenden Zehntelsekunden in vollem Tempo mit dem Kopf gegen die Wand anschlagen. Das hat Folgen.
Ein Offizieller wies Josia Topf den Weg zur Siegerehrung für die 50 Meter Rücken. Nicht, dass er nicht gewusst hätte, wo er hin muss. Schließlich war ihm in der Paris La Défense Arena am Vortag als Sieger über 150 Meter Lagen schon die Goldmedaille verliehen worden. Aber: Der 21-Jährige stand neben sich. Weder konnte er aufnehmen, was ihm gesagt wurde, noch konnte er sich an den Weg erinnern. Er bog falsch ab: "Und plötzlich stand ich in einem Technikraum", berichtet der Paralympics-Sieger. Zum Glück hatte ein Volunteer ihn gesehen und brachte ihn zurück auf den richtigen Weg, um die verdiente Silbermedaille entgegenzunehmen.
Nach dem zweiten Rennen habe ich gemerkt, dass es mehr ist: Ich hatte erste Wortfindungsschwierigkeiten.
Die Sache hat einen ernsten Hintergrund: Weil Topf von Geburt an die Arme fehlen (Dysmelie), beendet er seine Schwimm-Rennen mit einem Anschlag per Kopf. Nach dem ersten Rennen sei es ihm noch recht gut gegangen. "Da war mir ein bisschen schwindelig und ich hatte Kopfschmerzen. Das war noch alles in einem Bereich, dass ich gesagt habe: Mir ist ein bisschen duselig, das geht noch", erzählt Topf und fügt mit Blick auf das zweite Rennen hinzu: "Da habe ich aber gemerkt, dass es mehr ist: Ich hatte erste Wortfindungsschwierigkeiten." Und dann war da eben das Verlaufen bei der Siegerehrung.
Immer mehr Schonung für den Kopf im Training
Topf hat nach seinen Wettkämpfen immer wieder mit Kopf- und Nackenschmerzen sowie Schwindel zu kämpfen. Sobald er die Fähnchen fünf Meter vor dem Anschlag sieht, stellt er sich darauf ein, dass es gleich wieder kracht. "Da fängt es bei mir an zu rattern. Ich versuche dann immer, den Kopf ruhig zu halten und trotzdem konzentriert in die Bewegung zu gehen", berichtet Topf. "Unbewusst bremse ich immer ein bisschen ab, weil ich weiß, wie es sich anfühlt. Es ist einfach nicht normal, dass man sich auf die Art und Weise Schmerzen zufügt."
Wann immer möglich - ob im Training oder bei Vorläufen, in denen er es sich erlauben kann - nimmt Topf deshalb am Ende ordentlich Tempo raus und schlägt mit der Hand an - die sitzt direkt an der Schulter. In einem Finale, in dem es oftmals um Zehntelsekunden geht, kann er sich das jedoch nicht erlauben. Mit den genannten Folgen, die sich erst "so nach einer oder eineinhalb Wochen ausschleichen".
Josia Topf hat in Paris schon zwei Medaillen erschwommen.
Sporthochschule macht Studie mit Topf
Eine Anfrage der Deutschen Sporthochschule Köln stieß deshalb beim Athleten und seinen Eltern auf offene Ohren. Junior-Professor Ingo Helmich forscht zu Belastungen für den Kopf bei Aufprällen im Sport und wollte herausfinden, wie sich die Kopf-Anschläge auf Topfs geistige Verfassung auswirken.
Also wurden in einer Einzelfallstudie seine kognitiven Fähigkeiten vor und nach einem simulierten Kopfanschlag untersucht. Das Ergebnis: Nach dem Anschlag sind die Fähigkeiten "erheblich eingeschränkt", Verhaltens- und Hirnfunktionen nehmen ab. Die Rede ist von leichten Schädel-Hirn-Verletzungen, die langfristig die Gehirnfunktionen beeinträchtigen können. Es ist auch nicht nur der Anschlag mit der Schädeldecke, der jeweils zu einer kleinen Gehirnerschütterung führt. Der Aufprall sorgt auch noch für eine Stauchung der Halswirbelsäule.
Trainerin Schinkitz: "Ihm geht es nach den Rennen nicht gut"
"Es ist auf keinen Fall gesund", bringt es Bundestrainerin Ute Schinkitz auf den Punkt und erklärt: "Wir haben jedes Mal danach die Herausforderung, Joschi wieder zu richten. Und ihm geht es nach den Rennen nicht gut." Gegen die Kopfschmerzen hilft Ibuprofen. Um die Nackenprobleme kümmert sich die Physiotherapeutin des Teams.
DBS wartet seit neun Monaten auf IPC-Reaktion
Josia, seine Familie und auch der Deutsche Behindertensportverband (DBS) wollen die gesundheitlichen Risiken aber nicht einfach akzeptieren. Der Verband teilte auf Sportschau-Anfrage mit, dass die Studie bereits im Dezember 2023 an das Internationale Paralympische Komitee und World Para Swimming weitergeleitet worden sei. Der Schwimm-Verband ist seit einigen Jahren unter dem Dach des IPC selbstständig organisiert.
Dass es auch rund neun Monate nach Platzierung des Themas bei den internationalen Verbänden noch keine inhaltliche Rückmeldung gibt, ist nur schwerlich zu akzeptieren und geht zulasten der Gesundheit der betroffenen Athlet*innen.
Erst auf ein Nachhaken im Februar und März habe es überhaupt eine Reaktion in Form einer Eingangsbestätigung gegeben. Inzwischen habe man auch die Interessenvertretung der Athletinnen und Athleten beim IPC eingeschaltet. In der Stellungnahme heißt es weiter: "Der DBS hat für diesen zögerlichen Umgang mit der Thematik kein Verständnis."
Könnte eine Spezialbadekappe helfen?
Eine mögliche Lösung könnte eine besondere Badekappe sein, um die sich Familie Topf gekümmert hat: In den USA haben Josias Eltern das Inlay eines Football-Helmes bestellt und daraus eine 1,2 Zentimeter dicke Einlage für die Badekappe gebastelt. "Die Versuche, die ich gemacht habe, waren auf jeden Fall sehr positiv", erzählt Topf.
Aber: "Das IPC hat entschieden, dass man nichts in die Badekappe reinlegen darf", berichtet Schinkitz, die Regeln würden dies nicht erlauben. Topf kann das nicht verstehen: "Das Material lässt sich zusammenknautschen. Das heißt, bis ich an der Wand auslöse, muss ich schon mit dem ganzen Kopf hingegangen sein."
Ich denke, dass ein Schutz mit einem Schaumgummi in der Badekappe allein nichts bringen wird. Die Stauchung in der Halswirbelsäule hat man trotzdem.
So oder so müssten die Regeln erst geändert werden. Und die Erfahrung hätte gezeigt, dass solche Änderungen "Monate oder auch Jahre" in Anspruch nehmen würden, weiß Schinkitz zu berichten.
Von der Lösung mit der Badekappe ist die Bundestrainerin allerdings ohnehin nicht überzeugt: "Ich denke, dass ein Schutz mit einem Schaumgummi in der Badekappe allein nichts bringen wird. Ein bisschen vielleicht. Das dämpft es ab. Aber es wird grundsätzlich nichts bringen. Man kann vielleicht die Gehirnerschütterungen ein bisschen eindämmen. Aber die Stauchung in der Halswirbelsäule hat man trotzdem."
Andere Athleten wohl noch stärker betroffen
Dieses Problem betrifft längst nicht nur Topf. Und andere Sportlerinnen und Sportler ohne Arme, die in höheren Startklassen, also mit weniger Beeinträchtigungen schwimmen, stoßen noch mit deutlich höherem Tempo gegen die Wand. "Generell wäre es super, wenn wir in die Badekappen eine Polsterung bekommen würden", sagt der zweifache Paralympics-Medaillengewinner aus Erlangen.
Schinkitz rechnet allerdings eher damit, dass das IPC den Anschlag mit dem Kopf grundsätzlich verbieten könnte. Für Topf wäre dies in seiner Startklasse, in der auch Athleten mit Armen schwimmen, ein weiterer Nachteil. Je nach Schwimmstil könnte ihm mehr als eine Sekunde verloren gehen, schätzt Topf. Besonders schwierig wäre ein Anschlagen mit der Hand oder der Schulter beim Rückenschwimmen, weil er dafür stark abbremsen und sich entgegen der Schwimmrichtung drehen müsste.
Ein Anschlagen mit der Schulter wäre besonders beim Rückenschwimmen schwierig.
Topf hofft deshalb sehr darauf, dass die Badekappe zugelassen wird. Auch für andere Optionen würde er sich offen zeigen. Der Athlet unterstreicht: "Etwas zu verbieten, wäre die einfachste Möglichkeit. Aber das wäre nicht die fairste Möglichkeit."
Topf: "Ich würde gern etwas verändern"
Dass er mit seiner Initiative am Ende seinen eigenen sportlichen Ambitionen schaden könnte, nimmt er in Kauf. "Wenn der Kopfanschlag verboten würde, wäre das für mich ein sehr großer Nachteil. Aber man weiß bei solchen Sachen nie, wie es ausgeht. Ich würde gern etwas verändern. Die Situation ist problematisch. Und nichts zu tun, wäre verheerend."
Er würde nur gern den Sport, den er so sehr liebt, sorgenfrei und vor allem ohne die bekannten Schmerzen betreiben können. "Mental wäre es auf jeden Fall ein großer Unterschied, wenn ich wüsste: Der Kopf ist sicher. Das wäre einfach eine große Erleichterung für mich."