Heikle Debatte angestoßen Steuergeld für Spitzensport - Warum überhaupt?
Der Staat fördert den Spitzensport mit viel Geld - mit fragwürdigen Begründungen. Deshalb gehen Sport und Politik nun die heikle Zieldebatte an.
Warum fördert der Staat überhaupt den Spitzensport? Warum sollte Steuergeld dafür verwendet werden, dass Sportlerinnen und -sportler ihr Hobby zum Beruf machen können? Die Antworten auf diese scheinbar einfachen Fragen sind komplex und heikel. Es geht immerhin um mehrere hundert Millionen Euro pro Jahr. Alleine das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) will 2025 seine Fördersumme auf 331 Millionen Euro steigern, hinzu kommen Zuschüsse von Bundeswehr, Zoll, Ländern, Kommunen und staatlichen Lotterien.
Die naheliegende und oft angeführte Begründung: Deutschland soll in den Medaillenspiegeln, allen voran bei Olympia, weit vorne landen. "Medaillen sind die Währung", sagte etwa Thomas de Maizière (CDU) 2015, als er Bundesinnenminister war. Auch heute noch schreibt das BMI, es gehe um Deutschlands internationales Ansehen. Erfolge trügen zur "positiven Repräsentanz Deutschlands in der Welt bei", heißt es im Entwurf zum geplanten Sportfördergesetz, das am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossen worden ist.
Relikte aus dem Kalten Krieg
Das sportliche Kräftemessen mit anderen Nationen ist im Kalten Krieg kultiviert und übertrieben worden. Die Rivalität zwischen Ostblock und Westmächten hat überhaupt erst dazu geführt, dass Staaten viel Geld in den Spitzensport stecken. Die Auswüchse: unmenschlicher Drill und flächendeckendes, teils staatlich organisiertes Doping.
Wer da auf Dauer mithalten will, muss entweder selbst dopen oder enorm viel Geld investieren - oder beides. Medaillen haben vor diesem Hintergrund als alleiniges staatliches Ziel ausgedient, es braucht weitere Gründe für die Verwendung von Steuergeld.
Wofür Spitzensport alles gut ist - in der Theorie
Und da schreibt das BMI im Gesetzentwurf, dass sportliche Erfolge jede Menge Dinge stärken könnten. Nämlich den "Wirtschaftsstandort Sportdeutschland", die "Qualitätsfaktoren Integrität, Werteorientierung, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit" sowie die "soziale und ökologische Nachhaltigkeit des Spitzensports".
Das BMI schreibt außerdem, dass Erfolge nachfolgenden Generationen als Vorbild dienten. Oft wird an dieser Stelle auch argumentiert, dass internationale Erfolge dem Breitensport steigende Mitgliederzahlen bescherten. Die Gesellschaft profitiere zudem, indem das Volk gesünder werde und das Gemeinschaftsgefühl steige.
Legitimation auf wackeligen Füßen
Der Spitzensport - ein Heilsbringer, ein Alleskönner? Bei genauerem Hinschauen ist dieses Bild kaum haltbar. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass die genannten Effekte oft überschätzt werden. "Die Legitimation der staatlichen Förderung steht deshalb auf wackeligen Füßen", sagt Maximilian Klein, stellvertretender Geschäftsführer von Athleten Deutschland.
Die Vertretung der Kaderathletinnen und -athleten hat sich dem Thema schon länger mit wissenschaftlicher Tiefe angenommen. Vor zwei Jahren haben sich Politik und Sport dann darauf verständigt, die überfällige Zieldebatte anzugehen.
Ergebnisse nicht vor Sommer 2025
Nun organisieren Athleten Deutschland und der Deutsche Olympischen Sportbund (DOSB) den Prozess, an dessen Ende die Fragen nach dem Warum und dem Wie möglichst geklärt sein soll. Idealerweise bieten die Antworten dann die Grundlage für die künftige staatliche Spitzensportförderung, auch im Detail.
Zuvor sind mehrere wissenschaftlichen Studien geplant, unter anderem beauftragt durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaften (BISp). Das braucht Zeit, laut aktuellem Planungsstand mindestens bis Sommer 2025.
Sportfördergesetz - der zweite Schritt vor dem ersten?
Bis dahin will die Bundesregierung das geplante Sportfördergesetz längst verabschiedet haben, zumindest in der Theorie, denn in der aktuellen Regierungssituation stehen solche langfristigen Planungen auf wackligen Füßen. An dieser geplanten Reihenfolge gibt es jedenfalls Kritik. "Eigentlich brauche ich zunächst eine Strategie, bevor ich dann eine Struktur dazu aufbaue", sagte etwa Jörg Ammon, Sprecher der Landessportbünde, im September der Sportschau.
Auch Maximilian Klein von Athleten Deutschland hätte es bevorzugt, zunächst die Ziele fundiert zu definieren: "Der Gesetzestext bietet aber auch an mehreren Stellen Möglichkeiten, die Ergebnisse der Zieldebatte auch nachträglich noch einzubringen." Der DOSB-Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester wiederum findet, dass die Zieldebatte das Sportfördergesetz als paralleler Prozess ergänzt: "Es ist gut, beides zu tun: die Strukturen verändern, aber auch die Ziele immer wieder zu überprüfen."
Schadet die Zieldebatte dem Spitzensport?
Die Zieldebatte birgt aber Konfliktpotenzial, könnte schlafende Hunde wecken - so die Befürchtung in Funktionärskreisen. Was ist, wenn die Untersuchungen ergeben, dass der Spitzensport gar keinen so positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat wie gedacht? Könnte das der Stellung des Spitzensports schaden?
Dass Athleten Deutschland, eine Interessensvertretung des Sports, das Thema trotzdem angehen will, begründet Klein so. "Spitzensport kann Nutzen stiften, aber wir müssen besser verstehen, wie das gelingen kann." Sprich: Die auch vom BMI aufgeführten Effekte passieren nicht automatisch, sondern es braucht die passenden Bedingungen dafür. Die Zieldebatte soll diese herausfinden - und letztlich die stattliche Förderung fundierter legitimieren als bisher.