Spitzensportförderung Wenn die Agentur kommt - was bleibt dann dem DOSB?
Wer sich fragt, warum Deutschlands Spitzensportförderung als besonders ineffizient gilt, der blicke auf die geplante neue Agentur. Sicher sind dort nur die Kosten.
Es hat schon fast Tradition: Nach Olympischen Spielen mit enttäuschender Medaillenausbeute diskutiert Deutschland über die Förderung des Spitzensports. Ein immer wiederkehrender Reflex, auch nach den Sommerspielen von Paris: Der Sport brauche mehr Geld vom Staat, damit Deutschland wieder mehr Medaillen sammelt.
Doch bei genauem Hinschauen fallen zwei Dinge auf: Zum einen hat das Bundesinnenministerium (BMI) seine Zuschüsse für den Spitzensport seit 2012 schon verdoppelt. Gleichzeitig aber sind die Erfolge bei Sommerspielen weiter gesunken. 33 Medaillen in Paris, nur Platz zehn in der Nationenwertung - schlechter war das wiedervereinigte Deutschland nie. Die Rechnung mehr Geld gleich mehr Medaillen ist also nicht aufgegangen.
Viel Geld, viel Bürokratie
Zum anderen: Die 311 Millionen Euro vom BMI - im Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2025 sind sogar 350 Millionen Euro für den Sport veranschlagt - sind nur ein Teil der öffentlichen Gelder für den Spitzensport. Bundeswehr, Zoll, Lotterien, Länder, Kommunen - die Gesamtsumme im intransparenten System ist unbekannt, aber wohl mindestens doppelt so hoch wie die Zuwendungen aus dem BMI.
"Geld genug steckt im System aus meiner Sicht", sagt ein Mann aus der Praxis, Bernd Berkhahn. Als Schwimm-Bundestrainer für die lange Strecke und als Trainer des SC Magdeburg hat er in Paris für fünf Medaillen gesorgt, auch für die goldene von Lukas Märtens. Wie viele andere beklagt Berkhahn die Bürokratie beim Beantragen von Fördermitteln. "Die unterschiedlichen Quellen muss man sich selbst organisieren. Das ist natürlich alles nicht zielführend."
Bernd Berkhahn
Sportwissenschaftler Lutz Thieme von der Hochschule Koblenz sieht das Grundproblem darin, dass sich ein eingeschworenes System entwickelt hat. Viele verwaltende Akteure profitieren darin - und verteidigen ihre Pfründe, wenn es um mögliche Reformen geht. "Die Diskussionen darüber könnten natürlich zu schmerzhaften Einbußen, auch bei Organisationen führen. Sich dieser Diskussion zu stellen, wird schmerzhaft werden. Und es gibt nur wenige Akteure, die bereit sind, dies zu tun."
Die fragwürdige Doppelrolle des DOSB
Ein anschauliches Beispiel ist der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Er ist als Dachverband Dienstleister seiner Mitgliedsverbände, allen voran der Landessportbünde und der Fachverbände der einzelnen Sportarten. Er ist auch deren Interessenvertreter gegenüber der Politik - und spielt gleichzeitig eine wichtige Rolle bei der Frage, wie Bundesmittel für den Spitzensport verteilt werden.
Diese Doppelfunktion kritisiert der Bundesrechnungshof als staatliches Kontrollorgan schon lange. Abhilfe hätte die Spitzensportreform 2016 schaffen können. Mit ihr wurde PotAS geboren, das Analysesystem, das anhand von festen Kriterien die Medaillenpotenziale von Sportarten ermittelt. Sie sollte die transparente Grundlage und das Hauptkriterium für die Verteilung der Fördergelder werden.
Bundesrechnungshof kritisiert Reform 2016
Doch die gelebte Praxis sieht anders aus, das hat der Bundesrechnungshof in einem Bericht Ende 2023 deutlich kritisiert. Demnach fließen die PotAS-Ergebnisse nur "sehr begrenzt" in die Verteilung der Fördermittel ein.
Letztlich entscheiden DOSB und BMI gemeinsam in einer Förderkommission über die Verteilung. Dadurch, so der Bundesrechnungshof, habe das BMI die "Rolle des DOSB in unzulässiger Weise ausgebaut". Dessen unmittelbare Einflussnahme sei unzulässig und "umgehend zu beenden".
Neue Agentur soll Aufgaben bündeln
Der DOSB mischt also mehr mit als je zuvor und hat seine Spitzensportabteilung seit 2017 deutlich aufgestockt. Statt 34 gibt es dort jetzt 50 Planstellen, es ist die größte Abteilung innerhalb des DOSB.
Nun aber könnten tatsächlich Aufgaben wegfallen, denn obwohl die alte Reform noch gar nicht richtig greift, steht schon die nächste an. BMI und DOSB haben sich darauf geeinigt, im Zuge des geplanten Sportfördergesetzes eine neue Institution einzurichten: eine unabhängige Agentur für Spitzensport. Sie soll künftig alle Schritte der BMI-Fachverbandsförderung unter einem Dach regeln. Sie soll also die Verteilung beschließen, Anträge entgegennehmen und Gelder auszahlen.
Tiefer Einschnitt beim DOSB?
Die Grundgedanken: weniger Bürokratie für die Antragsteller und eine effektive Steuerung durch einige wenige Fachleute. Der DOSB könnte dadurch deutlich an Einfluss verlieren. "Ich sehe noch nicht, wenn die Steuerung bei der Agentur liegt, warum dann der DOSB noch weiter Steuerungseinfluss auf den Spitzensport ausüben sollte", sagt Sportwissenschaftler Thieme, "denn die Partner sind ja dann die Spitzensportfachverbände und nicht eine Dachorganisation des deutschen Sports."
Lutz Thieme, Sportwissenschaftler an der Hochschule Koblenz
Auch Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landesverbandes und Sprecher der Landessportbünde, fürchtet einen tiefen Einschnitt und kämpft für mehr Einfluss für den DOSB. Er und seine Mitstreiter hatten vor allem den ersten Referentenentwurf zur geplanten Agentur kritisiert. "Der DOSB ist ein basisdemokratischer Verband mit 90.000 Sportvereinen und 27, 28 Millionen Mitgliedschaften in Deutschland", sagte Ammon der Sportschau. Im ersten Entwurf habe aber die Möglichkeit bestanden, dass einzelne Personen Entscheidungen für den Spitzensport treffen, "die dann weitreichende Folgen haben".
Neues Gefäß, alter Inhalt?
Der zweite vom BMI vorgelegte Entwurf sei verbessert, aber "geht uns bei weitem noch nicht weit genug. Da muss man sehr viel deutlicher nachschärfen", sagte Ammon. Konkret geht es auch um die Stimmenverteilung im wichtigen Rat der als Stiftung geplanten Agentur. Dort hätte die Politik eine Zwei-Drittel-Mehrheit, was nach aktuellem Entwurf reicht, um auch zentrale Entscheidungen durchzudrücken.
Neben dem Stiftungsrat soll es auch einen Sportfachbeirat geben. In beiden sollen insgesamt 36 Akteure der bisherigen Akteure sitzen: DOSB, BMI, Bundesregierung und Bundesländer. Sie könnten dem hauptamtlichen Vorstand Vorgaben machen - Thieme hält das für zu viel Einfluss. "Die Akteure, die bisher auch Entscheidungen verzögert, ineffizient produziert haben, sind nun auch wieder alle mit Sitz und Stimme in der Agentur." Die Grundidee, dass wenige Fachleute unabhängig und effektiv entscheiden können, sei nicht mehr gegeben.
Agentur kostet fünf Millionen Euro pro Jahr
Ob die Agentur in dieser Form Bürokratie abbauen kann, ist ungewiss. Sicher ist aber: Das Bundesinnenministerium rechnet mit fünf Millionen Euro Kosten für die Agentur, pro Jahr, zusätzlich. Große Einsparungen anderswo sind nicht in Sicht, auch nicht beim DOSB. "Natürlich erwarten wir uns auch Effizienzgewinne beim DOSB, aber das werden wir durch neue Aufgaben, die in diesem Zusammenhang entstehen, kompensieren müssen", sagte der DOSB-Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester der Sportschau.
Torsten Burmester, Vorstandschef des Deutschen Olympischen Sportbundes
Also keine großen Einschnitte beim DOSB? Intern ist der Gesprächsbedarf darüber weiter groß, wie LSB-Sprecher Ammon betont. "Was die Agentur bedeutet für operative Ziele und für das Tagesgeschäft mit den einzelnen Spitzenverbänden und insbesondere den Olympiastützpunkten, das wird noch Diskussionen brauchen und wird für den deutschen Sport noch eine enorme Herausforderung."
Scheitert das Sportfördergesetz?
Die Landessportbünde fordern, dass das Thema auf der DOSB-Mitgliederversammlung am 7. Dezember in Saarbrücken diskutiert wird. Gut möglich, dass der organisierte Sport erst danach sein Okay für die Agentur und das damit verbundene Sportfördergesetz gibt. Die Ampelregierung hätte dann nur noch wenige Monate Zeit, das Gesetz in der 2025 endenden Legislaturperiode durchzubringen - wenn sie denn angesichts ihrer Regierungskrise nicht sogar schon vorher zerfällt.
Möglich ist deshalb auch, dass das Gesetz vorerst scheitert und dann eine neue Bundesregierung den nächsten Reformversuch startet. Diskussionen über das Sportfördersystem sind jedenfalls sicher - spätestens nach den Winterspielen 2026 und den Sommerspielen 2028.