Medaillen von den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro vor einem T-Shirt mit DOSB-Aufdruck

DOSB versus Innenministerium "Der Tiefpunkt" im Machtkampf um die Sportförderung

Stand: 08.03.2024 17:40 Uhr

Selten äußert der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) derart scharfe Kritik an der Politik wie zuletzt angesichts des Entwurfs des Sportfördergesetzes. Dieses sieht unter anderem eine unabhängige Spitzensportagentur vor, die sich künftig darum kümmern soll, die Steuergelder für den Spitzensport zu verteilen - mit Vetorecht für das Bundes-Innenministerium (BMI). Sportwissenschaftler Lutz Thieme von der Hochschule Koblenz ordnet die Lage ein und beschreibt, welche Fortsetzungen in dem Konflikt möglich sind.

Sportschau: Herr Thieme, das BMI will das Sagen haben bei der Verteilung der Spitzensport-Fördergelder, das macht es mit seinem Entwurf des Sportfördergesetzes deutlich. Erleben wir gerade die Entmachtung des DOSB?

Lutz Thieme: Zumindest nimmt das BMI die Aufgaben als Geldgeber so wahr, wie es der Bundesrechnungshof und Abgeordnete aus dem Haushaltsausschuss von ihm verlangt haben. Das BMI ist für das Geld zuständig, der DOSB und die Spitzenverbände verfügen über die Expertise, wie mit diesem Geld sportliche Spitzenleistungen zu erzielen sind. Während die Verantwortung beim Geld unstrittig ist, kann man sicherlich bei der sportfachlichen Notwendigkeit unterschiedlicher Auffassung sein. Das BMI und das Bundesverwaltungsamt schauen jedenfalls seit längerem immer stärker darauf, wie die Mittel ausgegeben worden sind.

Lutz Thieme, Sportwissenschaftler an der Hochschule Koblenz
Zur Person
Prof. Dr. Lutz Thieme ist Sportwissenschaftler an der Hochschule Koblenz, unter anderem mit den Lehrgebieten Sportmanagement und Sportökonomie. Bei seinen aktuellen Forschungsschwerpunkten listet die Hochschule beispielsweise Sportvereins- und verbandsforschung, Karrieren im Sport, Sportinfrastruktur und Sportförderung auf. Der 57 Jahre alte frühere Leistungsschwimmer kennt Verbandsarbeit mit all seinen Schwierigkeiten auch aus der Praxis: Von Juni 2018 bis Februar 2019 war er Präsident des Landessportbundes Rheinland-Pfalz.

Sportschau: Das erscheint verständlich, denn trotz immer mehr Geld für den Spitzensport, aktuell 300 Millionen Euro pro Jahr, ist die Medaillenausbeute gesunken. Hat es Sie überrascht, dass das BMI nun ein Vetorecht in der geplanten Spitzensportagentur für sich reklamiert?

Thieme: Nein, das war nicht überraschend. Es gab deutliche Hinweise seitens des Bundesrechnungshofes und des Haushaltsausschusses des Bundestages, dass die Verwendung von Bundesgeldern einer parlamentarischen Kontrolle und einer Kontrolle der Bundesregierung unterliegen muss. Das bedeutet ein klares Stoppsignal für die Idee: Wir setzen uns mal zusammen und gucken, wie wir die Gelder am besten verteilen können. Der Lobbyist der Zuwendungsempfänger, also der DOSB, kann nicht gleichzeitig direkt oder indirekt von der Verteilung der Mittel profitieren. Auf der anderen Seite kann dies natürlich nicht im Interesse des organisierten Sports sein, der ja seine fachliche Expertise einbringt.

Sportschau: Der DOSB hat den Referentenentwurf ungewöhnlich scharf kritisiert.

Thieme: Mich hat ein bisschen gewundert, dass man nicht versucht hat, den eben genannten Zwiespalt so auszutarieren, dass es keiner massiven Reaktion des DOSB bedurfte. Und der DOSB hat ja gesagt, er hätte erst seit kurzem Kenntnis des Referentenentwurfs. Das ist schon vom Prozedere her bemerkenswert, dass man den Hauptbetroffenen genauso informiert wie die Öffentlichkeit. Bei so einer komplizierten Situation geht es viel um Symbolik und um Vertrauen - und daran scheint es mir in der letzten Zeit sowohl beim Entwicklungsplan Sport als auch jetzt bei der Spitzensportreform gehapert zu haben.

Sportschau: Ein weiterer Kritikpunkt des DOSB am Sportfördergesetz ist, dass die geplante Sportagentur nicht unabhängig sei. Das ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die Agentur fast ausschließlich mit BMI-Geldern agieren und gleichzeitig vom BMI kontrolliert werden würde.

Thieme: Ich denke, dass es beim BMI und beim DOSB unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, was "unabhängig" bedeutet. Es könnte sein, dass diese Vorstellungen gar nicht miteinander vereinbar sind. Vollständig unabhängige Organisationen kann es in unserer vernetzten Welt gar nicht geben. Je stärker eine Organisation von Ressourcenzuflüssen und Regelungskompetenzen Dritter abhängig ist, desto weniger unabhängig kann sie sein. Dies gilt insbesondere wenn einer Organisation keine relevanten alternativen Ressourcenquellen zur Verfügung stehen.

Sportschau: Sie beobachten die Spannungen zwischen Politik und organisiertem Sport seit vielen Jahren. Wie ordnen Sie die aktuelle Lage ein?

Thieme: Ich glaube, dass es schon der Tiefpunkt der vergangenen Jahre ist, weil ja die zentralen Vorhaben der Bundesregierung auf sportlicher Ebene mindestens in Frage gestellt sind. Der Entwicklungsplan Sport musste zurückgezogen werden, die Stärkung der kommunalen Sportinfrastruktur wurde gerade so noch einmalig haushaltstechnisch gerettet. Ob es jemals wieder Bundesmittel dafür gibt, ist völlig offen. Und wir haben jetzt mit dem Fördergesetz die dritte Säule der Sportpolitik, die sehr labil ist, auch wenn die Beteiligten etwas anderes behaupten würden.

Sportschau: In der Vergangenheit wurde schon versucht, Streitigkeiten durch den Austausch von Führungspersonal zu beseitigen. Jetzt haben wir SPD-nahe Funktionärinnen und Funktionäre im DOSB, eine SPD-geführte Koalition und eine SPD-Innenministerin - und trotzdem geht der Konflikt weiter.

Thieme: Wir haben es augenscheinlich nicht mit ungünstigen Personenkonstellationen zu tun, sondern mit strukturellen Barrieren. Mir fehlt eine breitere Diskussion über Lösungsmöglichkeiten. Da scheint mir ein Kreis, der immer nur aus DOSB und BMI besteht, zu stark im eigenen Saft zu schmoren. Auf der anderen Seite kann man sagen: Mit einer breiten Beteiligung, nämlich beim Entwicklungsplan Sport, hat es auch nicht geklappt. Vielleicht hilft eine stärkere Konzentration auf die Struktur des Prozesses: Mit welchem Ziel wollen wir welchen Prozess wie aufsetzen, um dann ergebnisoffen zu breit getragenen Ergebnissen zu kommen.

Sportschau: Auch wenn beide Seiten betonen, weiter zu verhandeln, scheint die Situation verfahren zu sein. Welche Auswege sehen Sie?

Thieme: Eine Variante wäre, dass es BMI und DOSB tatsächlich gelingt, wieder von den verbalen Schuldzuweisungen herunterzukommen und einen Prozess zu vereinbaren, der dann zu einem stärkeren Miteinander führt. Allerdings fehlt mir da die Phantasie, warum das beim nächsten Anlauf besser sein sollte. Vielleicht schiebt man das Thema auf die lange Bank und einer nächsten Bundesregierung in die Schuhe. Ich spüre auch eine gewisse Sportmüdigkeit in der Politik, weil gerade viele gesellschaftspolitische Dinge ins Rutschen geraten sind. In so einer Multi-Krisensituation ist möglicherweise Sport nicht das ganz Entscheidende. Oder aber das BMI zieht das Sportfördergesetz jetzt durch und nimmt die Kollateralschäden in Kauf.

Sportschau: Das klingt nach einer Lösung mit gravierenden Folgen für den DOSB.

Thieme: Dann müsste jeder einzelne Spitzensportverband überlegen, wie er mit dieser Situation umgeht, denn dann gibt es ja eine Agentur mit maßgeblichem Einfluss. Jetzt aktuell dem DOSB den Rücken zu stärken, ist das eine. Aber wenn erkennbar ist, dass das BMI den jetzigen Gesetzentwurf tatsächlich umsetzt, bin ich gespannt, wie die einzelnen Spitzenverbände reagieren.