EM-Teamcheck, Gruppe E Ukraine - Botschafter in Fußballschuhen
"Zeigen, wie gut wir sind": Die Ukraine könnte bei der EM-Endrunde überraschen. Das liegt auch an der Arbeit des Trainers Serhiy Rebrov.
In den Tagen vor dem Testländerspiel gegen Deutschland, das für die Ukraine mit einem torlosen Remis endete, hatte der Trainer Serhiy Rebrov über die Wichtigkeit des Fußballs in Zeiten eines Krieges gesprochen. "Früher war das bei uns wie in Deutschland, da war Fußball die Nummer eins. Heute ist es der Krieg", sagte Rebrov. "Wir denken in erster Linie an die Verteidiger unseres Landes."
Die Ukraine ist seit über zwei Jahren ein Land im Krieg. Die Nationalspieler sind seitdem nicht einfach nur Fußballer, sie sind auch Botschafter ihres Landes. So wie Oleksandr Zinchenko. Es war noch nicht lange her, dass Russland die Ukraine angegriffen hatte, als er sagte: "Viele Länder verstehen vielleicht nicht, dass es heute die Ukraine ist, aber morgen sie selbst sein könnten."
Kürzlich hat sich Zinchenko wieder geäußert. "Durch solche Turniere", sagte er, "können wir unseren Fans und unserem Militär, das unser Land verteidigt, viel Freude schenken."
Ausgangslage
In der Qualifikation landete die Ukraine in einer Gruppe mit England und Italien auf Platz drei. Über die EM-Playoffs qualifizierte sich die Nationalmannschaft doch noch für die Endrunde in Deutschland. Im Halbfinale gegen Bosnien-Herzegowina und auch im Finale gegen Island lag die Ukraine zurück und gewann am Ende doch.
Der Siegtreffer fiel in beiden Spielen erst in den Schlussminuten. Der Held im Finale der Playoffs war Mykhaylo Mudryk, er traf in der 84. Minute zum 2:1. Im jüngsten Test gegen Deutschland gab es ein beachtenswertes 0:0 in Nürnberg.
Trainer
Seit einem Jahr ist Serhiy Rebrov Nationaltrainer der Ukraine. Von zehn Spielen hat die Ukraine seitdem sechs gewonnen, im Schnitt holte sie pro Spiel 2,1 Punkte. Es liegt auch an seiner Arbeit, dass die Ukraine in der Gruppe E mit Belgien, der Slowakei und Rumänien gute Chancen auf ein Weiterkommen hat. Sie könnte eine positive Überraschung werden bei diesem Turnier.
Früher war Rebrov selbst Nationalspieler. Er stand bei Vereinen wie Tottenham unter Vertrag, bei Fenerbahce und West Ham. Anderthalb Jahre spielte er auch in Russland, es waren andere Zeiten. Als er seine Karriere 2010 beendete, arbeitete er nebenbei schon als Co-Trainer bei der Reserve von Dynamo Kiew. Es war der Beginn einer zweiten Karriere, in der Rebrov schon einige Titel gewonnen hat. Zweimal war er Meister in der Ukraine, einmal in den Vereinigten Arabischen Emiraten und dreimal in Ungarn.
Superstar
Im Kader der Ukraine stehen einige talentierte Fußballer. Der Torhüter Andriy Lunin hat mit Real Madrid Meisterschaft und Champions League gewonnen, Angreifer Artem Dovbyk vom FC Girona wurde Torschützenkönig in La Liga und die Dribblings von Mudryk vom FC Chelsea fürchten Verteidiger in der Premier League. Doch der wichtigste Spieler im Kader ist Oleksandr Zinchenko vom FC Arsenal.
Der 27-Jährige kann Linksverteidiger spielen, doch in der Nationalmannschaft kommt er meist im zentralen Mittelfeld zum Einsatz. Er ist das Scharnier zwischen Defensive und Offensive, mit seinem linken Fuß spielt er feine Pässe. Für die EM-Endrunde hat er kürzlich ein Ziel verkündet. Er sagte, es gehe darum, zu zeigen, "wie gut wir sind und wie gut es ist, Ukrainer zu sein".
Player to watch
Als Real Madrid die Champions League im Finale gegen den BVB gewann, saß Torhüter Andriy Lunin nur auf der Bank. Für den 25-Jährigen war das eine unangenehme Überraschung. Weil Stammtorhüter Thibaut Courtois wegen einer Verletzung lange gefehlt hatte, war Lunin zwischenzeitlich zur Nummer eins bei den "Königlichen" aufgestiegen. In 31 Pflichtspielen kassierte er lediglich 32 Gegentore, zwölfmal spielte er zu Null.
Bei der EM dürfte Lunin im Tor der Ukraine stehen. Trainer Rebrov schätzt seine Reflexe und seine Ausstrahlung. In die Vorbereitung auf die Endrunde startete Lunin mit Verspätung, sein Trainer hatte das so angeordnet. Rebrov sagte: "Er soll in Madrid mit der Mannschaft feiern. Das hat er sich verdient."
Nice to know
Die Ukraine hat bei Europameisterschaften bislang elf Spiele bestritten - und Andrey Yarmolenko war immer dabei. Früher spielte Yarmolenko für Klubs wie den BVB oder West Ham, heute steht er bei Dynamo Kiew unter Vertrag. Bei der EM-Endrunde wird er wohl kein Stammspieler mehr sein, seine Rolle dürfte der von Thomas Müller im DFB-Team ähneln. Verzichten mag Trainer Rebrov auf ihn noch nicht. Womöglich auch, weil Yarmolenko weiß, wie das geht mit dem Toreschießen bei einer EM. Acht Tore hat die Ukraine dort erzielt, fünfmal hieß der Torschütze Yarmolenko.
So könnten sie spielen
Im Tor stehen Rebrov mit Anatoliy Trubin von Benfica und Lunin zwei Schlussmänner von Format zu Verfügung. In den EM-Playoffs bekam Lunin den Vorzug, das dürfte auch bei der Endrunde so sein. Offen scheint vor allem die Besetzung zweier Position: Als "Sechser" im Mittelfeld hat zuletzt Volodymyr Brazhko gespielt, doch beim Turnier in Deutschland dürfte der erfahrene Taras Stepanenko den Vorzug erhalten.
Ukraine
Und als zentraler Angreifer hat Dovbyk nicht nur wegen seines Siegtreffers im EM-Playoff-Halbfinale gute Chancen auf einen Platz in der Startelf. Doch auch sein Konkurrent Roman Yaremchuk weiß, wie das Toreschießen funktioniert (48 Länderspiele, 14 Tore).