Segiy Rebrov

Deutschlands Testgegner Ukraine "Früher war Fußball die Nummer eins, jetzt ist es der Krieg"

Stand: 03.06.2024 07:06 Uhr

Gespickt mit einigen Stars, tritt die Nationalmannschaft der Ukraine zum Testspiel gegen Deutschland an. Das Spiel lenkt ab von den Ereignissen, die alles andere nichtig erscheinen lassen. Trainer Serhij Rebrow sagt: "Früher war Fußball die Nummer eins, jetzt ist es der Krieg."

Von Marcus Bark, Herzogenaurach

Fünf Jahre spielten Andrij Schewtschenko und Serhij Rebrow zusammen bei Dynamo Kiew, fünfmal wurden sie zusammen ukrainischer Meister. Das ist nichts Außergewöhnliches, denn nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 und in der dann erstmals auch international als souverän anerkannten Ukraine wurde Dynamo haufenweise Meister, inzwischen 16-mal.

Schewtschenko und Rebrow waren Sturmpartner und galten in der Heimat als außergewöhnliche Fußballer. Schewtschenko trat diesen Beweis auch außerhalb der Heimat an, etwa bei der AC Mailand, mit der er 2003 die Champions League gewann.

Rebrows Trainderdebüt war gegen Deutschland

Heute arbeiten die beiden wieder gemeinsam. Schewtschenko ist seit Januar 2024 Präsident des Fußballverbandes, weil sein Vorgänger wegen Unterschlagung im Gefängnis landete. Rebrow ist seit Juni 2023 Trainer der Nationalmannschaft. Sein erstes Spiel in dieser Funktion war das 1.000. Länderspiel in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Es endete in Bremen 3:3, die Ukraine hatte 3:1 geführt. Die Partie sollte auch ein Zeichen für Frieden sein.

Etwa ein Jahr später, vor dem erneuten Duell gegen die deutsche Mannschaft am Montag (03.06.2024, ab 20.15 Uhr live im Ersten, auf sportschau.de und in der ARD Mediathek sowie in der Radio-Livereportage) in Nürnberg, ist der Frieden weiterhin weit entfernt. Die Ukraine ist im Krieg gegen Russland noch mehr unter Druck geraten. Wladimir Putin ist gnadenlos.

Schewtschenko nennt den russischen Präsidenten einen "Mörder", seinem eigenen Staatspräsidenten Wolodymyr Selenskyj dient er als Berater.

Rebrow: "Denken an die Verteidiger unseres Landes"

Fußball ist Ablenkung vom Krieg, für manche mehr, für manche weniger. "Früher war das bei uns wie in Deutschland, da war Fußball die Nummer eins. Heute ist es der Krieg", sagte Rebrow am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Herzogenaurach, "wir denken in erster Linie an die Verteidiger unseres Landes."

Die ukrainische Nationalmannschaft kam am Donnerstag, einen Tag vor der deutschen, in Herzogenaurach an. Mindestens zwei Polizeiwagen stehen während des Aufenthalts vor dem Mannschaftshotel, zivile Beamte sorgen im Hotel für Sicherheit.

EM-Quartier im hessischen Taunusstein

Ihr Basisquartier für die EM wird die ukrainische Mannschaft im hessischen Taunusstein beziehen. Das Team sei "ein guter Mix aus jungen und erfahrenen Spielern", sagte Rebrow.

Erst in den Playoffs durch einen 2:1-Sieg nach Rückstand gegen Island qualifizierte sich die Ukraine für die EURO 2024, nachdem sie vorher in einer Gruppe mit Italien und England Dritte geworden war.

Die Ukraine sichert sich das EM-Ticket

Andreas Ahn, Sportschau UEFA EURO 2024, 27.03.2024 00:02 Uhr

Der Jubel im geschundenen Land war nach dem Sieg gegen Island groß. "Aber wir sind keine Helden. Helden sind die Soldaten, die unser Land jeden Tag verteidigen", sagte Rebrow im Interview mit der Sportschau.

Fußball ist Ablenkung und ein bisschen Balsam

Taras Stepanenko, der stellvertretende Kapitän von Schachtar Donezk berichtete in Herzogenaurach über Spiele in seiner Heimat, die immer wieder wegen Luftalarms unterbrochen werden müssten. Schon längst spielt Schachtar nicht mehr in Donezk. Die Stadt wurde schon Jahre vor dem Beginn des massiven Angriffs am 24. Februar 2022 von pro-russischen und dann russischen Truppen besetzt. Das Schlimmste in diesen Tagen sei, so Stepanenko, "jeden Morgen die Nachrichten zu lesen, wenn Russland unsere Städte zerstört und unsere Menschen tötet".

Fußball ist Ablenkung und ein bisschen Balsam. "Es ist eine große Ehre für uns, das Land zu repräsentieren. Jeder wird die ukrainische Flagge sehen", so Trainer Rebrow.

Die Gruppe, die in der Endrunde wartet, wirkt gegenüber der aus der Qualifikation leichter. Favorit ist Belgien, gegen Rumänien und die Slowakei sollte Rebrows Mannschaft eine gute Chance haben.

An guten Fußballern, auch mit internationaler Erfahrung, mangelt es ihm wahrlich nicht. Kapitän Oleksandr Zinchenko spielt beim FC Arsenal, der FC Chelsea zahlte eine Ablöse von 100 Millionen Euro an Schachtar für Michailo Mudryk. Artem Dowbyk wurde gleich in seiner ersten Saison beim FC Girona Torschützenkönig in der spanischen La Liga mit 24 Treffern. Andrij Lunin leistete einen gehörigen Anteil daran, dass Real Madrid die Champions League gewann, auch wenn er im Finale gegen Borussia Dortmund nicht spielte. "Er hätte einen Einsatz verdient gehabt", sagte sein Nationaltrainer Rebrow, der seinen Torwart erst zum Testspiel in Polen am 7. Juni bei der Mannschaft erwartet. "Er soll in Madrid mit der Mannschaft feiern. Das hat er sich verdient."