Teamcheck Belgien
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EM-Teamcheck, Gruppe E Belgiens teuflischer Aufbruch

Stand: 13.06.2024 11:07 Uhr

Bei der EM in Deutschland gehört Belgien zum erweiterten Favoritenkreis. Das liegt an Stars wie Kevin De Bruyne, aber auch an der Arbeit des Trainers Domenico Tedesco.

Alles begann mit einem Stück Stoff. Als Nationaltrainer Domenico Tedesco vor einem Jahr entschied, die Kapitänsbinde in Abwesenheit von Kevin De Bruyne an Romelu Lukaku zu vergeben, reiste Thibaut Courtois vor einem Spiel gegen Estland ab. Courtois sei beleidigt gewesen, weil er selbst gern Kapitän geworden wäre, sagte Tedesco. Unsinn, sagte Courtois, er sei verletzt gewesen. Es kam zum Bruch. Freunde werden Tedesco und er nicht mehr. "Zu dem Thema ist alles gesagt", sagte Tedesco. "Ich bin da mit mir im Reinen."

Courtois, 32, hat gerade mit Real Madrid die Champions League gewonnen. Er zählt seit Jahren zu besten Torhütern der Welt. Doch bei der EM ist er nicht dabei, auf ihn verzichtet Tedesco. Nicht alle verstehen das, schließlich sind die Ersatztorhüter Koen Casteels und Matz Sels gut, aber nicht so gut wie Courtois.

Über die Personalie Courtois ist rund um die Bekanntgabe des vorläufigen Kaders oft diskutiert worden, sonst wird wenig diskutiert. Die Bilanz des Trainers Tedesco lässt Diskussionen nicht zu. Die "Roten Teufel" haben eine souveräne EM-Qualifikation gespielt. Sie zählen bei der Endrunde in Deutschland zum erweiterten Favoritenkreis auf den Titel.

Ausgangslage

In einer Gruppe mit Österreich und Schweden wurde Belgien ohne Niederlage Erster, kassierte in acht Spielen nur vier Gegentore und erzielte selbst 22 Tore. Es wäre eine Überraschung, sollten die Belgier bei der EM die Gruppe mit der Ukraine, Rumänien und der Slowakei nicht dominieren. Aber eine Überraschung war es auch, als Belgien bei der WM in Katar in einer Gruppe mit Marokko, Kroatien und Kanada scheiterte.

Das soll sich nicht wiederholen. Der Trainer hat deshalb zunächst ein vorsichtiges Ziel ausgegeben. Als Minimalziel hat Tedesco den Einzug ins Achtelfinale genannt.

Trainer

Bei der EM wird Domenico Tedesco, 38, bald anderthalb Jahre Trainer von Belgien sein, seine Bilanz kann sich sehen lassen: Zwölf Spiele, acht Siege, keine Niederlage. Auch deshalb hat der Verband den Vertrag mit ihm noch vor der Endrunde verlängert. Tedesco sagte: "Ich fühle mich pudelwohl."

In einer Mannschaft, in der Flamen und Wallonen zusammenspielen, in der oft Englisch gesprochen wird, damit sich niemand benachteiligt fühlt, hat Tedesco einen personellen Umbruch eingeleitet. Er fördert junge Spieler wie Verteidiger Zeno Debast, 20, Mitteldspieler Arthur Vermeeren, 19, oder Angreifer Johan Bakayoko, 21, aber kann auch mit den Stars. Torhüter Courtois ist die Ausnahme.

Superstar

Auf sein 100. Länderspiel hat er lange warten müssen. Im März 2023 hat Kevin De Bruyne, 32, zuletzt ein Länderspiel bestritten. Das war ein Testländerspiel, der Gegner hieß Deutschland und De Bruyne machte De-Bruyne-Dinge: ein Tor, zwei Vorlagen und dann diese Pässe.

In dieser Saison war er lange verletzt, der Oberschenkel. Fast fünf Monate hatte De Bruyne auch seinem Klub Manchester City gefehlt, als ihn der Trainer Pep Guardiola im Januar für 20 Minuten gegen Newcastle United aufs Feld schickte. Da lag City zurück - und gewann am Ende doch. Weil De Bruyne ein Tor selbst erzielte und eins vorbereitete. Guardiola sagte: "Er ist einzigartig."

Ähnlich sieht das offenbar auch Belgiens Nationaltrainer Tedesco. Er hat De Bruyne für die EM fest eingeplant. Er sagte dem Magazin "11Freunde": "Natürlich wird Kevin spielen, er ist ein Weltklassespieler und braucht nicht viel Anlaufzeit."

Player to watch

Es ist noch nicht lange her, da ist Tedesco nach dem Spieler Jérémy Doku und dessen Stärken gefragt worden. Er könne sich nicht vorstellen, sagte Tedesco, dass es auch nur einen einzigen Verteidiger gebe, der gerne gegen Doku verteidige. Er sagte: "Jérémy ist jederzeit in der Lage, das Spiel zu ändern."

Doku, 22, könnte eine der Entdeckungen dieser EM werden. Er dribbelt gerne und Haken schlägt er viele. Schnell ist er auch noch. Sein Job in Belgiens Nationalmannschaft könnte der des Unruhestifters auf dem Feld werden. Er kennt das aus dem Verein. Bei Manchester City bringt Guardiola Doku spätestens dann, wenn die Räume für die Techniker wie De Bruyne, Bernardo Silva oder Phil Foden zu eng werden. Bei der EM dürfte er in Belgiens Auswahl allerdings einen Stammplatz auf dem linken Flügel haben.

Nice to know

Über Romelu Lukaku weiß man, dass er viele Sprachen spricht, fünf oder sechs sollen es sein. Dass er in Armut aufwuchs, und dass die Armut sein Antrieb war. All das hat Lukaku, 31, vor einigen Jahren für das Magazin "The Players Tribune" aufgeschrieben. Er schrieb: "Ich wollte der beste Fußballer der belgischen Geschichte sein. Das war mein Ziel. Nicht gut. Nicht großartig. Der Beste."

Vielleicht ist Lukaku nicht der beste Fußballer in der Geschichte des belgischen Fußballs geworden, aber ein sehr guter. Weil er Mittelstürmer ist, wird seine Klasse auch an Toren gemessen. Für Lukaku ist das kein Nachteil: In 114 Länderspielen hat er 83 Tore erzielt. Seitdem der Trainer Tedesco heißt, hat Lukaku zehn Spiele gemacht und 15 Tore geschossen. Einmal, beim EM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan, traf er in einer Halbzeit viermal - das war vor ihm noch keinem Belgier gelungen.

So könnten sie spielen

Tedesco steht ein Kader zur Verfügung, der ihm viele Möglichkeiten bietet. Das vielleicht eindrücklichste Beispiel: Im Angriff ist Leipzigs Torjäger Loïs Openda nur Ersatz, auf seiner Position spielt Lukaku. Im Tor hat sich der Trainer auf den ehemaligen Wolfsburger Casteels, 31, festgelegt. In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" sagte Tedesco über Casteels: "Er wird als Nummer eins in das Turnier gehen."

Aufstellung Belgiens bei der EURO 2024

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