Denkwürdige Pressekonferenz Trotz Achtelfinal-Glück - Italiens Coach Spalletti wütet
Die Freude über den Achtelfinal-Einzug hielt bei Italiens Trainer nur kurz. Auf einer denkwürdigen Pressekonferenz setzte Luciano Spalletti nach dem 1:1 von Montag gegen Kroatien zur Wutrede an. Schon wieder eine Wutrede - aber diesmal mit neuem Ziel.
Der Titelverteidiger ist weiter im Rennen. Italien steht im Achtelfinale der Fußball-EM. Etwas Glück und ein Last-Minute-Tor gegen Kroatien (1:1) verhinderten am Montagabend, dass die "Squadra Azzurra" auf die Lucky-Loser-Wertung der besten Gruppendritten hoffen musste. Als Mattia Zaccagni in der 98. Minute einen Schlenzer zum 1:1 vollendete, entlud sich im Leipziger Stadion die Spannung, unter der die Italiener bereits das gesamte Turnier stehen: Zaccagni wurde an der Eckfahne unter einer Jubeltraube der Spieler und Ersatzspieler begraben. Und auch bei Nationalcoach Luciano Spalletti fiel die Anspannung ab: Der 65-Jährige sprintete quer über den Platz, um sich unter die jubelnde Menge zu mischen.
Meistertrainer redet sich in Rage
"Klar, ich stehe auf persönlicher Ebene sehr unter Druck", sagte Spalletti nach dem Spiel auf einer denkwürdigen Pressekonferenz, in der sich der einstige Meisterstrainer der SSC Neapel immer wieder in Rage redete. "Dieser Druck hat nicht erst jetzt begonnen. Diesen Druck gibt es seit meinem ersten Spiel gegen Nordmazedonien", blickte Spalletti auf sein Länderspiel-Debüt im September 2023 zurück. Auch damals spielte Italien 1:1, die Gefühlslage in Italien war aber komplett anders als nach dem 1:1 gegen Kroatien, das wie ein Sieg gefeiert wurde. Einige Kritiker sahen nach dem Nordmazedonien-Spiel die EM-Qualifikation in Gefahr.
"Könnte niemals Journalist sein"
In der späten Nacht von Leipzig und nach dem Achtelfinal-Einzug holte Spalletti zur großen Abrechnung mit seinen Kritikern aus. Während der emotionale Coach nach der 0:1-Niederlage gegen Spanien noch mit seiner Mannschaft hart ins Gericht ging ("Das ganze Team hat enttäuscht"), hatte es Spalletti diesmal auf die Presse abgesehen: "Ich könnte niemals Journalist sein, weil ich nicht in der Lage wäre, so etwas zu schreiben, was Sie schreiben. Ich wäre nicht in der Lage, meine Eifersucht auszudrücken."
Mehr als 20 Minuten für vier Fragen
Für vier Fragen ließ sich Spalletti mehr als 20 Minuten Zeit, redete sich immer wieder in Rage. Gleich bei der ersten Frage nach der taktischen Defensivausrichtung und einer möglichen Aussprache im Team flippte der Coach aus: "Es gibt im Team offenbar jemanden, der die Information durchgibt und derjenige schadet der Nationalmannschaft", wittert der langjährige Serie-A-Trainer einen Maulwurf im Team. "Wie alt sind Sie? 51? Ich bin 65. Ich bin also 14 Jahre älter. Ich suche immer das Gespräch mit meinen Spielern. Ich muss meinen Spielern Gehör schenken. Und was ist daran falsch, wenn die Aufstellung das Ergebnis von Gesprächen war?"
Schlechtester Punkteschnitt seit zehn Jahren
Spalletti ist bei den "Azzurri" erst neun Monate im Amt, betreute den Europameister von 2021 bisher in 13 Partien. Mit durchschnittlich 1,92 Punkten hat der erfahrene Coach dabei die schlechteste Bilanz aller italienischen Nationaltrainer seit Cesare Prandelli, der 2014 entlassen wurde.
Italien qualifizierte sich nur mit Mühe für die EM, beim Turnier in Deutschland plagen den vierfachen Weltmeister Verletzungssorgen. Bei der EM-Vorbereitung versuchte Spalletti, mit Teambuilding eine Einheit zu schaffen. So lud er Stars der Vergangenheit ein, die den EM-Fahrern dann von einstigen goldenen Zeiten erzählten.
Spalletti wittert "Maulwurf"
"Ich bin einer, der die Mannschaft liebt, ich verliere die Fassung, wenn ich das Gefühl habe, an der Nase herumgeführt zu werden", schoss der dreimalige italienische Trainer des Jahres (2006, 2007, 2023) nach dem Remis gegen Kroatien in Richtung Presse und gegen den vermeintlichen "Maulwurf", der Team-Geheimnisse ausplaudert. "Und dann fragen mich einige, was passiert, wenn wir ausscheiden. Wie kann man so eine Frage stellen?"
Favorit im Achtelfinale gegen die Schweiz
Im Achtelfinale bekommt es Italien nun am Samstag (29. Juni, 18 Uhr) in Berlin mit der Schweiz zu tun. Vor dem Spiel dürfte der Druck der italienischen Presse wieder steigen. Gegen die schnellen und laufstarken Schweizer, die Deutschland am Sonntag beim 1:1 an den Rand einer Niederlage brachten, wird ein Sieg erwartet. Ein Achtelfinal-Aus dürfte als Blamage gewertet werden, die bislang letzte Niederlage gegen die Eidgenossen ist 31 Jahre her.
Italien muss sich steigern
Eine Steigerung müssen die Italiener im Achtelfinale dennoch zeigen. Der Auftritt gegen Kroatien wirkte lange Zeit ideenlos und offensiv uninspiriert. Nach der kroatischen Führung, dem dritten Rückstand im dritten EM-Spiel wirkten die Italiener lange mutlos. Auf ein Traumtor von Zaccagni, seinem ersten Tor für die Nationalmannschaft, sollte sich Spalletti nicht verlassen.
Spalletti: "Ich habe keine Angst"
Und falls Italien gegen die Schweiz verliert, hat Spalletti die Schuldigen schon ausgemacht: "Wenn man jedes Mal betont, wie wichtig das Spiel ist, kann es passieren, dass die Spieler unter dem Druck kollabieren, deshalb passieren auch Leichtsinnsfehler", erklärt der frühere Mittelfeldspieler und wendet sich in seiner Abrechnung dann wieder direkt an die anwesende Presse in Leipzig: "Ich habe keine Angst. Sonst könnte ich einfach wie Sie die Spiele im Stadion anschauen. Ich würde das Ticket sicher auch umsonst bekommen."