EM-Achtelfinale gegen die Slowakei England spürt die Last der Erwartungen
Die Kritik am englischen Nationalteam und Trainer Gareth Southgate könnte kaum größer sein. Von Vorfreude auf das EM-Achtelfinale gegen die Slowakei ist bei den "Three Lions" nichts zu spüren.
Es war purer Zufall, dass die Ereignisse sich zeitlich überschnitten. Die Schweiz hatte gerade Italien aus dem EM-Turnier geworfen. Und nahezu gleichzeitig am Samstagabend (29.06.2024) sollten Trainer Gereth Soutgate und Stürmer Harry Kane einen Ausblick auf ihr Achtelfinale tags darauf (18.00 Uhr, Radioreportage und Liveticker) gegen die Slowakei geben.
Und hätte sich zufällig jemand in die Katakomben der Gelsenkirchener Arena verirrt, der nicht gewusst hätte, um wen es sich bei den beiden Protagonisten auf dem Podium handelte, der hätte auch glauben können, die Engländer müssten vorzeitig die Heimreise antreten.
Schwere Operation
Von Vorfreude, Spaß oder gar Euphorie war nichts zu spüren. Der Tenor im Bauch der Arena: England steht in der Runde der letzten 16 Teams - und niemand weiß so ganz genau, weshalb.
"Wir sind bereit für die neue Herausforderung. Mein Job ist es, die beste Stimmung für die Mannschaft zu schaffen. Wir müssen liefern, das ist die Realität", sagte England-Trainer Southgate pflichtbewusst, machte dabei aber eher den Eindruck eines Medizinprofessors, der unmittelbar vor einer äußerst schweren Operation steht, die über Leben und Tod des Patienten entscheidet - und deren Ausgang ungewiss ist.
Last der Enttäuschungen
So ist das bei großen Fußballnationen, die große Ziele haben und nicht überzeugen. Die Last der bisherigen Enttäuschungen wiegt schwer auf den Schultern des selbst ernannten Titelaspiranten.
Die englischen Fans jedenfalls äußerten bereits nach dem letzten Gruppenspiel ihren Unmut nach einem trostlosen 0:0 gegen den Fußballzwerg Slowenien in Köln und ließen dabei kein gutes Haar an Southgate.
Überraschende Erkenntnisse
"Ein Team ist nie so gut, wie die Leute denken, aber auch nicht so schlecht", bemerkte der 53 Jahre alte englische Nationaltrainer vielsagend. "Das Selbstbewusstsein der Mannschaft ist gewachsen, weil wir in der zweiten Hälfte gegen Slowenien einiges verbessert haben", so Southgate, der mit dieser überraschenden Erkenntnis allerdings ein Alleinstellungsmerkmal zu haben scheint.
Der Fußball seiner Mannschaft wirkt über alle drei bisherigen Partien träge, erscheint plan- und konzeptlos und wird von Spielern gespielt, die nicht gerade den frischesten Eindruck nach einer langen Saison in ihren jeweiligen Vereinen machen.
Besserung in Sicht?
Allen voran Jungstar Jude Bellingham, der am Samstag seinen 21. Geburtstag feierte und der zuletzt sogar öffentlich über Müdigkeit klagte. "Ich mache mir keine Sorgen um den physischen Zustand von Bellingham", sagte Southgate und wollte diese Diskussion schnellstmöglich im Keim ersticken. Harry Kane sprang seinem Trainer dann auch zur Seite.
"Im Verlauf des Turniers verbessert man seine eigene Leistung und die der gesamten Mannschaft", sagte der Weltklassestürmer, der bei diesem Turnier bisher erst einmal für sein Team traf und ebenfalls nicht überzeugen konnte.
Der zusätzliche Hinweis, dass kurzfristig bessere Zeiten für die Engländer folgen könnten, durfte natürlich nicht fehlen. "Entscheidungsspiele sind etwas anderes als Gruppenspiele", sagte Kane und richtete seinen Blick dabei wohl vor allem in die Vergangenheit.
Schwere Reise bis zum Ziel
Bei der EM vor drei Jahren hatten die Briten in der Gruppenphase ebenfalls nur zwei Tore erzielt, dann aber Gas gegeben: Ein 2:0 gegen Deutschland, ein 4:0 gegen die Ukraine und ein 2:1 gegen Dänemark führten ins Endspiel, das bekanntlich - und wie sollte es bei England anders sein - im Elfmeterschießen verloren wurde.
Apropos: "Wir haben keine Angst zu verlieren, warum sollten wir uns damit am Abend vor einem Achtelfinale beschäftigen?", fragte Southgate mit sehr ernstem Blick in die Runde. "Es wird eine sehr schwere Reise bis zum Ziel", sagte Kane. Von (Vor-)Freude und Leichtigkeit war an diesem schwül-warmen Gelsenkirchener Abend bei den Engländern jedenfalls nicht die Rede.