Englands Jude Bellingham bei der EM
analyse

England bei der EM Entzaubert

Stand: 26.06.2024 07:52 Uhr

England hat das Achtelfinale erreicht, aber auch gegen Slowenien am Dienstag (25.06.2024) nicht überzeugt. In Richtung des Trainers Gareth Southgate flogen sogar Plastikbecher. Hoffnung machen könnte den Engländern die Erinnerung an die vergangene EM.

Von Tim Beyer, Köln

Gareth Southgate war gekommen, um sich bei den Fans für die Unterstützung zu bedanken. Der Trainer der englischen Nationalmannschaft ist ein höflicher Mensch. Als ihn nur noch wenige Meter vom Fanblock trennten, klatschte Southgate in die Hände. Einmal deutete er mit dem Finger auf die Menge vor ihm. Einige Plätze waren leer. Von denen, die bis zum Ende geblieben waren, applaudierten einige, andere pfiffen. Dann flogen Plastikbecher.

Stunden zuvor, als England bei der EM in Deutschland noch nicht gegen Slowenien enttäuscht und nur 0:0 gespielt hatte, als Southgate noch nicht die Wut einiger Fans zu spüren bekommen hatte, standen Englands Anhänger vor dem Stadion in der Hitze. Einer trug einen Regenschirm, so schützte er sich vor der Sonne. Beliebt waren auch Fischerhüte. Die sind gerade ziemlich angesagt.

Eine Gruppe hatte sich ein besonderes Modell besorgt. Es war von beiden Seiten bedruckt. "It's coming home", das stand auf einer Seite. Auf der anderen stand: "Southgate out." Es steckte eine Menge in diesem Stück Stoff, auch eine Aufforderung: Ein erfolgreiches Turnier soll es werden, am besten der Titel. Oder ein neuer Trainer muss her.

Ein Favorit, der nicht wie einer spielt

England galt vor der EM als Titelfavorit, aber gespielt haben die Engländer in der Vorrunde nicht wie einer. Zwar verloren sie kein Spiel, aber sie überzeugten selten. Auf einen Sieg gegen Serbien folgte ein Remis gegen Dänemark und nun noch eins gegen Slowenien. Das genügte, um in der Gruppe C Erster zu werden und sich für das Achtelfinale zu qualifizieren.

Aber reicht das auch, um in diesem Turnier weit zu kommen? Um gar den Titel zu gewinnen? Eher nicht. Deshalb steht nun das Wirken des Trainers Southgate, 53, unter besonderer Beobachtung.

Kritisch beäugt wird er von einigen Medien, die Southgate für seine vorsichtige Taktik kritisieren. Und manchmal auch, weil er "nicht das Beste" aus den Spielern heraushole. So sieht das zumindest Ex-Nationalspieler Alan Shearer, heute Experte für die "BBC". Kritisch beäugt wird Southgate auch von vielen Fans. Er sagte: "Es ist wichtig, dass die Fans hinter der Mannschaft stehen - egal, was sie über mich denken."

Englands Trainer Gareth Southgate

716 Pässe, 70 Prozent Ballbesitz - und doch nur remis

Als Southgate die Nationalmannschaft 2016 übernahm, war die gerade bei der EM gegen Außenseiter Island ausgeschieden. Er führte England bei der WM 2018 zu Platz vier und bei der EM drei Jahre später ins Finale. Doch ein Held war er deshalb noch nicht, dafür hätte er schon einen Titel gewinnen müssen. Das scheint auch heute möglich - zumindest in der Theorie.

Fußballer wie Jude Bellingham, Harry Kane, Declan Rice oder Phil Foden spielen für England, sie gehören auf ihren Positionen zu den besten Spielern ihrer Zeit. Aber bei diesem Turnier sieht man das selten. Der Torjäger Kane erzielte nur ein Tor, sonst fiel er kaum auf. Der Dribbler Foden lief sich oft fest. Und der Spielmacher Bellingham tauchte mal vor der eigenen Abwehr auf und dann wieder neben Kane im Angriff. Seinem Spiel tat das nicht immer gut.

Das alles wirkt sich auch auf das englische Spiel aus. Es fehlt an Ideen, an Tiefe, an Torgefahr. Gegen Slowenien hatten die Engländer 70 Prozent Ballbesitz, sie spielten 716 Pässe und kamen zu sechs Abschlüssen innerhalb des Strafraums. Aber ein Tor gelang ihnen nicht.

Southgate sagt: "Die Tore werden kommen"

Unzufrieden war der Trainer Southgate mit dem Auftritt seiner Spieler aber nicht. Er sagte: "Ich habe Fortschritte gesehen. Die Tore werden kommen." Vielleicht erinnerte er sich in diesem Moment an jene Szene kurz vor Schluss, in der Kobbie Mainoo mit der Hacke für Kane ablegte, der wiederum Cole Palmer bediente. Nur schoss Palmer genau in die Arme des slowenischen Torhüters Jan Oblak.

Mainoo, 19, und Palmer, 22, hatten in diesem Turnier bislang nur Nebenrollen eingenommen. Das könnte sich ändern. Mainoo war im Mittelfeld nach seiner Einwechslung zur Pause ein belebendes Element. Er spielte einige feine Pässe und öffnete mit seinen Läufen in die Tiefe Räume für seine Mitspieler. Palmer tauchte nach seiner Einwechslung mal links auf dem Flügel auf und dann wieder rechts. Seine Dribblings waren ein Ärgernis für Sloweniens Defensive.

Beiden, Mainoo und Palmer, gelang längst nicht alles. Auch sie verloren mal den Ball. Aber ihr Auftreten machte Hoffnung.

Hoffnung machen könnte den Engländern auch die Erinnerung an die vergangene EM. Vor drei Jahren stand der Trainer Southgate schon einmal in der Kritik. England gewann damals zwar zwei Vorrundenspiele, aber erzielte nur zwei Tore. Harry Kane fiel kaum auf. Später lief es besser, für England und für Kane. Er traf noch viermal, England kam bis ins Finale und war Italien erst nach Elfmeterschießen unterlegen.