Deutschland gegen die Türkei Ein politisches Fußballspiel - auch ohne Erdoğan
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan fehlt beim Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen sein Land. Politisch ist die Partie trotzdem.
Hundertschaften der Polizei aus Mecklenburg-Vorpommern parken in der Scharnhorststraße, direkt vor dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Hausherr dort ist Robert Habeck, der Anfang des Monats viel beachtete Reden gehalten hat. Die Botschaft seiner Worte: Die Hamas sei eine Terrororganisation, die "im Grunde zerstört werden muss". Die Hamas kämpfe für "die Zerstörung Israels", nicht "für einen palästinensischen Staat". Auch und gerade die in Deutschland lebenden Muslime fordert Habeck auf, sich von der Hamas zu distanzieren.
Im Invalidenpark auf der anderen Seite der Scharnhorststraße sind viele Demonstranten in die Flagge Palästinas gehüllt, viele tragen ein Palästinensertuch, viele haben Plakate gemalt. Ihre Botschaften, die sie im Chor schreien: "Israel bombardiert, Deutschland finanziert." Und: "Lasst euch nicht belügen, lasst euch nicht betrügen."
Warum schreien sie das? Darauf haben sie auch eine Antwort im Chor: "Deutsche Medien lügen. Kein Wort mit den Medien."
Polizei-Großeinsatz bei mehreren Demos
Knapp sieben Stunden sind es noch bis zum Anpfiff des Länderspiels zwischen Deutschland und der Türkei. Jetzt, auf der Demo, die am Invalidenpark beginnt und an der Siegessäule endet, ist das erstmals an diesem Wochenende zu sehen. Es sind relativ wenige, aber es sind auch türkische Flaggen zu sehen, genau wie Fußballtrikots mit dem Halbmond.
Eine junge Frau mit gelber Ordnerweste spricht mit ihrer Kollegin über den Besuch, der das Länderspiel noch viel mehr hätte politisieren können. "Der Übersetzer war ganz schlimm. Was der übersetzt hat, hat Erdoğan gar nicht gesagt."
Erdoğan nicht im Stadion
Erdoğan hat vieles nicht gesagt am Freitagabend, vor allem hat er auf viele Fragen während der kurzen Pressekonferenz vor dem Abendessen mit Bundeskanzler Olaf Scholz nicht geantwortet. Der türkische Präsident etwa ist die Frage übergangen, ob er Israel ein Existenzrecht zugestehe. Dass er es im Beisein des Kanzlers nicht offen infrage gestellt hat, wie Tage zuvor, wird von Kommentatoren schon als kleiner diplomatischer Erfolg gefeiert.
Erdoğan ist ein großer Fußballfan, er hat früher selber und gut gespielt. Als die Türkei 2010 mit 0:3 im Berliner Olympiastadion verlor, saß er neben Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Hochrangige Vertreter aus der deutschen Politik haben daher schon im Voraus gesagt, dass sie bei der Heimpremiere von Bundestrainer Julian Nagelsmann sieben Monate vor dem Eröffnungsspiel der Europameisterschaft auf den Besuch verzichten werden. Es wäre also vermutlich an Bernd Neuendorf gewesen, sich neben Erdoğan zu setzen.
Mehrere Demonstrationen, großes Polizeiaufgebot
Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes hat am Donnerstag in Berlin Angehörige von deutsch-israelischen Geiseln in den Händen der Hamas getroffen. "Entsetzliches" habe er dabei über die Entführungen erfahren, die der DFB verurteile. Neuendorf wird froh sein, dass es die Fotos mit Erdoğan nicht geben wird.
Nach Polizeiangaben sind 4.000 Demonstranten bei der Kundgebung "Free Palestine" durch Berlin gezogen, vorbei auch am Bundesverkehrsministerium, vor dem Polizisten aus Sachsen-Anhalt die Lage beobachten.
Tausende Beamte aus verschiedenen Bundesländern schieben am Samstag Dienst, an dem es weitere Demonstrationen in der Hauptstadt gibt, etwa die gegen das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK. "Erdoğan Terrorist", wird dort geschrien, schreiben die Agenturen. Mehr als 4.000 Teilnehmer und ein paar Festnahmen meldet die Polizei, die am Theodor-Heuss-Platz im Berliner Westend einen weiteren Einsatz hat.
Türkischer Fanmarsch verläuft friedlich
Die türkischen Fans, von denen Zehntausende im Olympiastadion erwartet werden, haben kurz vor 18 Uhr ihren gemeinsamen Marsch begonnen. Laut Polizeiangaben gingen 1.900 Fans mit, die überwiegend männlichen Fans verhielten sich friedlich. Rufe und Flaggen bezogen sich auf die Türkei. Die Polizei kündigte in einer Durchsage an, dass der Marsch beim Abzünden von Pyrotechnik und bei politischen Botschaften gestoppt werde. Das vereinzelte Abbrennen von Feuerwerkskörpern endete, als auch der Veranstalter nochmal auf diese Regeln hinwies. Im Stadion waren nach Angaben des DFB nur Flaggen der mitspielenden Teams erlaubt, also waren grundsätzliche auch keine palästinensischen Flaggen zugelassen.