Neuer Bundestrainer Der Masterplan mit Julian Nagelsmann
Der DFB entscheidet sich für Julian Nagelsmann und Helfer aus der jüngeren Generation, um bei der Heim-EM eine Aufbruchsstimmung zu wecken. Das ergibt durchaus Sinn.
Manchmal lernt auch Rudi Völler noch bei einer Pressekonferenz dazu. Gerade hatte Julian Nagelsmann die Frage aus dem digitalen Raum erreicht, ob er seinen Arbeitsplatz auf dem Campus des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) vielleicht auch wie einst das Vereinsgelände beim FC Bayern mit dem Longboard ansteuere - was der neue Bundestrainer sofort verneinte – als der in Ehren ergraute Sportdirektor stutzte. "Longboard?" Solche neumodischen Fortbewegungsmittel bleiben Völler wohl zu Lebzeiten fremd. "Erkläre ich später!", sagte Nagelsmann.
Ein Dialog bei der Vorstellungsrunde am Freitag, der viel über den Hintergrund verriet, Nagelsmann den verantwortungsvollsten Trainerposten des Landes anzuvertrauen. Es soll ein frischer Wind bei der A-Nationalmannschaft für die Heim-EM 2024 wehen. Und dafür kommen dynamische Männer ans Ruder: Dem 36-Jährigen assistieren mit Sandro Wagner und Benjamin Glück zwei Assistenten, die nur ein Jahr jünger bzw. älter sind. Vom bloß bis zum 31. Juli 2024 laufenden Vertrag geht eine klare Botschaft aus: Weiter als bis zum Heimturnier reicht der Masterplan erstmal nicht – und vielleicht genügt das ja auch.
Nur Otto Nerz als erster Nationaltrainer war jünger
Nach dem Blitzlichtgewitter richtete Nagelsmann aus, dass er den Job als zwölfter Bundestrainer der DFB-Geschichte - nur der Volksschullehrer Professor Otto Nerz als erster Trainer der Nationalelf 1926 war noch jünger - als "extremen Anreiz und große Herausforderung" begreife. Er wolle in der Zusammenarbeit mit der Mannschaft "nichts verkomplizieren", aber dennoch "attraktiven Fußball" anbieten. Sein Versprechen: "Wir werden keine 14 verschiedenen Grundordnungen spielen – keine Sorge."
Weil er nicht täglich mit den Spielern arbeiten könne, werde sein Plan "nicht so komplex" sein. Eine griffige Philosophie hatte der selbstbewusst, aber nicht überdreht wirkende "Bauchgefühlsmensch" (Nagelsmann) auch parat: "Eine gesunde Aggressivität Richtung gegnerisches Tor – nicht nur im eigenen Ballbesitz." Hörte sich gut an. Genauso wie sein Versprechen: "Wir wuppen das!"
Die kurze Laufzeit seines neuen Arbeitsvertrags ist eine von vielen Lehren, die Nagelsmann aus München mitnimmt. Nächsten Sommer werde man gemeinsam Bilanz ziehen, ob genügend Vertrauen, aber auch Spaß mitgespielt hat: "Wenn es befruchtend für beide Seiten ist, dann ist nichts ausgeschlossen." Sonst war es halt für alle nur ein Erfahrungsprozess. Diese Konstellation könnte tatsächlich helfen, Druck und Erwartungen abzufedern.
Entgegenkommen beim Geld
DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Sportchef Völler hatten sich am Dienstag mit dem im Frühjahr beim FC Bayern freigestellten Wunschkandidaten in Köln getroffen - Strippenzieher Hans-Joachim Watzke als Liga-Aufsichtsratschef, DFB-Vize und BVB-Boss war wegen des Champions-League-Spiels in Paris nicht dabei. Der flotten Einigung war sehr zuträglich, dass sowohl der Coach als auch dessen früherer Arbeitgeber um die finanzielle Schieflage des Verbandes wussten.
"Julian selbst und sein Management sind uns unglaublich entgegengekommen", verriet Völler, auch der FC Bayern habe "wunderbar mitgespielt". Kolportiert wird für Nagelsmann aber immer noch ein sehr ordentliches Monatsgehalt von rund 400.000 Euro - in München hätte ihm aber bis 2026 fast das Doppelte der Summe zugestanden.
"Ich bin mir völlig bewusst, dass mein Job nach wie vor ein Privileg ist und ich genügend Geld verdiene", kommentierte der aus Landsberg am Lech stammende Coach den Umstand, dass er deutlich billiger ist als sein Vorgänger Hansi Flick, dem noch unter der Ägide von Oliver Bierhoff ein Gehalt von rund 6,5 Millionen Euro zugesichert wurde.
Völler nannte es einen "Glücksfall", dass solch eine begehrte Lösung auf dem Markt gewesen sei. Den gereift redenden Nagelsmann erinnert die Krise der DFB-Auswahl gerade ein bisschen an seinen Einstand im Winter 2016, als er als jüngster Bundesligacoach bei der TSG Hoffenheim ins kalte Wasser geworfen wurde. "Ganz so düster wie damals sieht es nicht aus“, sagte er. Überhaupt habe er "keinen Bammel", sondern "Vertrauen in die Mannschaft, ins Trainerteam - und ich definiere mich nicht nur über den Job als Fußballtrainer."
Ilkay Gündogan bleibt Kapitän - und bald geht es in die USA
Sein Kapitän soll übrigens Ilkay Gündogan bleiben, diese Entscheidung sei auch mit dem Mittelfeldspieler vom FC Barcelona persönlich besprochen. Joshua Kimmich bleibt also gewissermaßen degradiert. Ansonsten freut sich der Bundestrainer angeblich auf die Zusammenarbeit mit den Stützen des FC Bayern. Die Aufgabe mit der noch unter Flick gegen Japan (1:4) so verstörend auftretenden und dann unter Völler gegen Frankreich (2:1) so überzeugend auftrumpfenden Nationalelf für ein "Sommermärchen 2.0" gehe er mit einem "bunten Mix aus Vorfreude" an.
Er findet auch gar nicht schlecht, dass es gleich am 9. Oktober auf eine USA-Reise geht, wo Länderspiele gegen die USA in East Hartford (14. Oktober) und gegen Mexiko in Philadelphia (17. Oktober) verabredet sind. Die Tage werde er nutzen, um alle Protagonisten richtig kennenzulernen, erklärte Nagelsmann. Dort könnte er an einer Strandpromenade auch Völler mal zeigen, wie cool es eigentlich ist, mit einem Longboard voranzukommen.