Nach krasser Fehlentscheidung Frauen-Bundesliga: Hilferuf nach dem VAR
Das Spitzenspiel zwischen Eintracht Frankfurt und VfL Wolfsburg wird von einer krassen Fehlentscheidung überlagert. Braucht es den VAR auch in der obersten Frauen-Spielklasse? Eine Analyse.
Für viele der 13.500 Augenzeugen in der Frankfurter Arena war die Szene am Sonntag (01.10.2023) ebenso eindeutig wie für Eintracht-Trainer Niko Arnautis, der mit erhobenen Armen an den Spielfeldrand eilte.
Das Spitzenspiel zwischen Eintracht Frankfurt und VfL Wolfsburg (2:4) befand sich in der 35. Minute beim Stande von 1:1 in einer entscheidenden Phase, als Nationalstürmerin Nicole Anyomi (Frankfurt) sich den Ball in günstiger Schussposition vorlegte, ehe ihr Nationaltorhüterin Merle Frohms (Wolfsburg) in die Parade fuhr.
Merle Frohms hätte auch Gelb-Rot sehen können
Bei der Bewertung der Szene konnte es keine zwei Meinungen geben: klarer Strafstoß und eigentlich auch Gelbe Karte für die ehemalige Frankfurterin Frohms, die gegen ihren Ex-Klub bereits früh einen von Laura Freigang verwandelten Elfmeter (9. Minute) verursacht hatte, als sie in einer ganz ähnlichen Szene Barbara Dunst von den Beinen holte. Da zeigte Schiedsrichterin Fabienne Michel auf den Elfmeterpunkt, beim zweiten Foul gab es allerdings bloß Eckball.
Zum Unmut der Frankfurter Fans und von Eintracht-Coach Arnautis: "Aus unserer Perspektive sehr schade. Man kann auch darüber nachdenken, ob man nach einem zweiten Elfer nach Foul noch zu elft auf dem Platz steht." Wohl wahr, denn für beide Vergehen hätte es eigentlich Gelb geben müssen. Der Trainer wollte aber nicht als schlechter Verlierer dastehen: "Die Entscheidung bei der zweiten Elfmeterszene ist ärgerlich, aber das gehört dazu und das haken wir ab."
Fabienne Michel gibt Irrtum zu
Fabienne Michel (Gau-Odernheim) war über ihren Irrtum hinterher nicht glücklich, räumte im NDR-Interview ein: "Ich habe es mir inzwischen auch angeguckt, und ich muss sagen: Es tut mir leid. Es war eine Fehlentscheidung, ein Wahrnehmungsfehler von mir. Es hätte Strafstoß geben müssen. Heute hätte ich mir tatsächlich gewünscht, dass wir den VAR da gehabt und es den Eingriff gegeben hätte."
Doch den herbeigesehnten Video Assistant Referee (VAR) gibt es nur im Profifußball der Männer. Vor der Saison hatte die Schiedsrichterin noch gesagt, sie wolle "möglichst viele fehlerfreie Spiele mit guten Entscheidungen pfeifen". Ohne Videobeweis ist das deutlich schwieriger als für die Kollegen in der Männer-Bundesliga.
Die 29-Jährige gilt als eine der besten deutschen Schiedsrichterinnen, die erst im Mai das DFB-Pokalfinale zwischen dem VfL Wolfsburg und SC Freiburg (4:1) leitete, seit 2017 in der Frauen-Bundesliga pfeift und auch in der 3. Liga der Männer eingesetzt wird. Viele trauen ihr eine Karriere wie Bibiana Steinhaus zu, die als bislang einzige Frau in der höchsten deutschen Spielklasse der Männer pfiff.
Rettungsschirm für Unparteiische gewünscht
In der Frauen-Bundesliga wird der Videobeweis nach solch klaren Fehlentscheidungen wie am zweiten Spieltag in Frankfurt zwangsläufig zum Thema. Denn in der Liga mit nur zwölf Klubs sind die direkten Duelle der Spitzenklubs eminent wichtig. Frankfurt ist nach einem Fehlstart mit null Punkten (0:2-Auftaktniederlage bei der SGS Essen) als Champions-League-Anwärter bereits entscheidend im Hintertreffen.
Der DFB teilte am Montag (02.10.2023) auf Sportschau-Anfrage mit: "Grundsätzlich stehen wir der Prüfung eines VAR-Einsatzes in der Frauen-Bundesliga positiv gegenüber und haben das Thema mittel- bis langfristig auf der Agenda. Aufgrund des komplexen Sachverhaltes, nicht zuletzt wegen der technischen Voraussetzungen und damit einhergehender Kosten, bedarf es allerdings einer detaillierten und umfassenden Betrachtung unter Einbindung aller Stakeholder, um zu einer tragfähigen Entscheidung zu kommen."
Interessant, was die betroffene Unparteiische aus Gau-Odernheim vor Saisonstart bei einem DFB-Termin über einen VAR-Einsatz generell sagte: "Ich wünsche mir auch für die 3. Liga einen VAR, da er für mich eine Art Rettungsschirm ist, um Fehler in der Spielführung zu vermeiden, wenn ich etwas nicht sehe. Mit dem Vierten Offiziellen haben wir ab der nächsten Saison ein Augenpaar mehr gegen Fehler. Ich verstehe aber auch, dass von vielen für die Romantisierung und Dramatisierung des Spiels der VAR nicht erwünscht ist."
Es fehlen Kameras - in der 3. Liga und bei den Frauen
Auch in der 3. Liga der Männer, die bei den wirtschaftlichen Kennzahlen noch weit vor der Frauen-Bundesliga liegt, gibt es keinen Videoschiedsrichter. Der ehemalige Bundesliga-Schiedsrichter Florian Meyer, Sportlicher Leiter Schiris 3. Liga, nannte folgendes Argument: "Ich bin ein Verfechter von Hilfsmitteln, bei der 3. Liga muss man aber erstmal schauen, was realistisch ist. Die Anzahl der Kameras ist ganz anders als beispielsweise in der Bundesliga. Man darf keine Erwartungshaltung schüren, die man nicht einhalten kann."
Dasselbe gilt analog für die Frauen-Bundesliga, wo viele Stadien gar nicht die infrastrukturellen Voraussetzungen bieten, um so viele Kameras zu installieren. Das ist übrigens auch ein Hauptgrund, dass in den ersten beiden DFB-Pokalrunden der Männer ohne VAR gespielt wird. In der Männer-Bundesliga wurde die Unterstützung durch den Videoassistent 2017 eingeführt, 2019 zog auch die 2. Bundesliga nach.
Christine Baitinger spricht von einer "Frage der Zeit"
Christine Baitinger, Sportliche Leiterin Schiedsrichterinnen, hatte erst im Sommer gesagt, die Einführung des VAR sei im Frauenfußball "eine Frage der Zeit". Zu bedenken sei: "Letztendlich ist damit ein großer Aufwand finanzieller Art verbunden. Der Frauenfußball wird immer professioneller. Wenn die Liga bereit ist, den VAR einzusetzen, dann sind wir auch bereit." Das allerdings wäre mit erheblichen Kosten verbunden.
Das Fachmagazin "Kicker" berichtete, dass die technische Ausrüstung für VAR und Torlinientechnik die 18 Vereine der Männer-Bundesliga in der ersten Saison insgesamt etwa fünf Millionen Euro gekostet hat. Demnach wurden 2,5 Millionen Euro an Technikkosten beim Videobeweis sowie knapp 300.000 Euro für Glasfaserkosten und 2,2 Millionen Euro für das Hawkeye auf die Klubs umgelegt. Allein die Technikkosten für den VAR würde bei der Frauen-Bundesliga nach Schätzungen mindestens die Hälfte der Summe verschlingen, die der neue Fernsehvertrag pro Saison (5,17 Millionen Euro) einbringt.
Die Vereine können nicht locker sechsstellige Beträge abzweigen
Schwer vorstellbar, dass die Vereine so schnell dafür stimmen würden. Und der DFB kann bei seinen finanziellen Zwängen auch kaum einspringen. Zumal die Frauen-Bundesliga ohnehin ein Zuschussgeschäft ist. In der Saison 2021/2022 machte jeder Klub im Schnitt fast 1,5 Millionen Euro Verlust, die in der Regel von den Lizenzvereinen aufgefangen werden.
Auf der Einnahmeseite standen zuletzt für jeden Verein rund 1,7 Millionen Euro. Auch wenn sich die Zahlen in dieser Saison durch den neuen Medienvertrag und die gestiegene Wahrnehmung bessern, ist kaum vorstellbar, dass die Vereinsvertreter vorerst einen sechsstelligen Betrag für den VAR-Einsatz abzweigen werden.
Bei der WM war der VAR-Einsatz selbstverständlich
Der klappte übrigens bei der Frauen-WM in Australien und Neuseeland vorzüglich. Für den Weltverband FIFA war es selbstverständlich, diese Investition aus dem Grundgedanken des Equal Play umzusetzen und gleiche Bedingungen für Männer und Frauen bei einer WM anzubieten.
Die FIFA-Schiedsrichterkommission unter Pierluigi Collina ging noch einen Schritt weiter und ließ die Schiedsrichterinnen in einem Pilotprojekt per Stadion-Mikro sogar noch erklären, was diese am Kontrollmonitor entschieden hatten.