Italienische Nationalmannschaft Mancini - "Ich habe doch niemanden umgebracht"
Der überraschende Rücktritt von Italiens Nationaltrainer Roberto Mancini ist ein Lehrstück über das falsche Timing richtiger Entscheidungen. Rufschädigend für den einstigen Liebling des Landes ist vor allem die 75 Millionen Euro schwere Offerte aus Saudi-Arabien.
Ein "Blitz aus heiterem Himmel" sei der Rücktritt, schrieb die "Gazzetta dello Sport", und legte später mit dem Begriff "Erdbeben" nach. Ganz heiter war der Himmel der Azzurri vorher allerdings nicht. Tief saß der Schmerz nach der verpassten WM-Qualifikation 2022. Da bereits hätte Mancini den Hut nehmen sollen, sagen jetzt viele, von denen einige immerhin auch zugeben, dass sie in dieser Krisensituation selbst für eine Fortsetzung des Wegs unter Mancini waren. Denn der war ja der Held der Euro, hatte Italien nach vollzogenem Generationenwechsel den Titel beschert.
Dann aber folgte das Quali-Debakel gegen Nordmazedonien. Mancini stand damals kurz vor dem Rücktritt, wie er jetzt in einem Interview mit der Tageszeitung "Repubblica" erklärte. Verbandspräsident Gabriele Gravina wollte ihn aber halten. Der wiederum soll nun der Auslöser des Rücktritts gewesen sein. So jedenfalls stellt es Mancini in der "Repubblica" dar.
Streit mit dem Verband um Trainerstab und Misserfolgsklausel
Ein Streitpunkt waren Gravinas Eingriffe in den Trainerstab Mancinis. Langjährige Co-Trainer wurden als Chefs der Nachwuchsteams abgeordnet. Die Verbandsführung wollte damit eine kontinuierliche Spielidee von der Jugend bis in das A-Team implementieren. "Es ist keine Revolution, sondern eine Evolution. Wir wollen neue Wege gehen und Erkenntnisse des internationalen Fußballs nutzen“, erklärte Gravina vor nicht einmal zwei Wochen.
Evolutionsführer von Gravinas Gnaden wollte Mancini aber nicht sein. "Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Verbandspräsident den Stab seines Cheftrainers ändert. Seit einem Jahr wollte er das schon. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass das nicht geht. Aber dann hat er das Auslaufen einiger Verträge ausgenutzt“, erklärte Mancini seinen Ärger.
Ebenfalls verärgerte ihn, dass der Verband eine Misserfolgsklausel nicht aus dem Vertrag nehmen wollte. Die sieht ein Ende der Tätigkeit bei Nicht-Qualifikation für die Euro 2024 vor. Mancini, der schon die WM verpasst hatte, traute seinem aktuellen Kader offenbar den Sprung zur Endrunde nicht zu. Sich selbst wollte er Spielraum im Falle des Scheiterns verschaffen.
Ein geübter Abgeher
Jetzt ärgert er sich über den Aufruhr, den er verursacht hat. Er sei entsetzt, was über ihn zu lesen sei, sagte er: "Ich habe doch niemanden umgebracht." Nein, er hat nur gemacht, was er früher auch gerne tat. Der brüske Abgang gehört zu seinen Spezialitäten. 2002 trat er beim AC Florenz zurück, nachdem ihm Ultras des Klubs nach einer Niederlage vor dem Haus aufgelauert hatten. Im März 2008 kündigte er nach dem enttäuschenden Ausscheiden von Inter Mailand aus der Champions League gegen Liverpool eine vorzeitige Vertragsauflösung an.
Und 2016, nach einer 1:6-Niederlage im Freundschaftsspiel gegen Tottenham, stieg er ein zweites Mal bei Inter aus. Wenn es ihm nicht mehr passt, geht er. Dieser Eigensinn macht den 58-Jährigen im knallharten Fußballgewerbe sogar ein wenig sympatisch. Er versucht, selbst Herr seines Schicksals zu sein.
Lockende Petrodollars im Land der 196 Exekutionen
Jetzt stimmt das Timing aber gar nicht. Der Rücktritt ist zu nah dran an den nächsten Qualifikationsspielen zur EM Anfang September. Und im Hintergrund lauert der Vorwurf, Mancini ginge nur wegen des Geldes – Geld, das ihm Saudi-Arabien verspricht. Auf etwa 25 Millionen Euro pro Jahr bezifferte der "Corriere della Sera“ das letzte, auf drei Jahre bezogene Vertragsangebot des saudischen Verbands.
Vertraute des saudischen Verbandspräsidenten versicherten der Zeitung, dass Mancini die Nummer eins auf der Wunschliste sei - nach Absagen unter anderem von José Mourinho (derzeit AS Rom) und Luciano Spalletti, der sich nach dem Meistercoup mit dem SSC Neapel in einem Sabbatjahr befindet.
"Unentschuldbar"
Mancini bestätigte mittlerweile auch, Vertragsangebote aus Saudi-Arabien erhalten zu haben. Völlig unlogisch wäre sein Engagement dort nicht einmal. Seit seiner Zeit bei Manchester City, als er dem von Abu Dhabi aus finanzierten Klub die erste Meisterschaft seit Jahrzehnten bescherte, gilt er als Scheich-Versteher. Zudem verfügt die aktuelle Nationalmannschaft Saudi-Arabiens ebensowenig über einen treffsicheren Mittelstürmer wie die italienische. Im Lösungen suchen ist Mancini also erprobt.
Ein Novum ist aber, den eigenen Verband als Nationaltrainer im Stich zu lassen, um bei einem anderen anzuheuern. Vor allem wegen des falschen Timings und dem lockenden Vertrag aus dem Wüstenstaat mit den Exekutionskommandos – 196 Hinrichtungen laut Amnesty International allein im vergangenen Jahr - wird Mancini mittlerweile sogar von Medien, die ihm lange gewogen waren, kritisiert. Die "Gazetta dello Sport" zum Beispiel hält sein Verhalten für "unentschuldbar".