FIFA WM 2022 Kroatiens Trainer Zlatko Dalic - "Aus der Wüste" zum Rekordhalter?
Trainer Zlatko Dalic führte Kroatien bei der WM 2018 in Russland sensationell ins Finale. Auch in Katar 2022 kämpfen die Südosteuropäer um den Titel und stehen unter den besten vier. Was zeichnet den Erfolgscoach aus?
Es ist schon ein Ritual bei der kroatischen Nationalmannschaft: Trainer Zlatko Dalic bittet die Spieler des WM-Halbfinalisten nach so gut wie jeder Trainingseinheit im Sportzentrum Al-Erssal noch zu ihrer Lieblingsdisziplin Elfmeterschießen. Immer sind der Spaß und das Gelächter groß - und erst recht der Ehrgeiz.
Das sorgt nicht nur für Lockerheit, sondern hat auch noch einen nachweisbaren Effekt. Schließlich setzte sich Kroatien im Achtelfinale der WM 2022 gegen Japan im Elfmeterschießen durch - und auch in der Runde der besten acht gegen Brasilien fiel die Entscheidung vom Punkt. Wieder behielten die "Kockasti" (Die Karierten) die Oberhand.
Deutschlands WM-Rekord eingestellt
Das kleine südosteuropäische Land setzte sich somit in allen vier seiner Elfmeterschießen bei einer Weltmeisterschaft durch und zog mit dem bisherigen Rekordhalter Deutschland gleich.
Dalic: "Treffe keine Entscheidungen, ohne mit den Spielern zu reden"
Das fast tägliche Elfmeterschießen ist ein Beispiel für die Mischung aus Fokussierung und Lockerheit, die auch Coach Dalic auszeichnet. Er gibt die Richtung vor, nimmt aber seine Mannschaft mit.
Seinen Führungsstil beschrieb der zweifache Familienvater bereits während der WM 2018, als er Kroatien sensationell ins WM-Finale gegen Frankreich geführt hatte, so: "Ich bin derjenige, der die Entscheidungen trifft, aber die Beziehung zu den Spielern ist von großem Respekt gekennzeichnet. Sie ist sehr ehrlich. Ich treffe keine Entscheidungen, ohne mit den Spielern geredet zu haben."
Allerdings darf diese Lockerheit und Nähe zum Trainer nicht als Einladung, sich über Regeln hinwegzusetzen, angesehen werden. Sonst bekommen die Spieler eine andere Seite ihres Coachs zu spüren. Der 56-Jährige kann auch knallhart sein. Konsequenz ist eine seiner absoluten Handlungsprinzipien.
So schmiss er bei der WM 2018 nach dem kroatischen Auftaktspiel gegen Nigeria (2:0) Stürmer Nikola Kalinic aus dem Kader, weil dieser sich geweigert hatte, sich spät in der Partie einwechseln zu lassen. Eine Maßnahme, die den Zusammenhalt in der Mannschaft stärkte - und Dalics Autorität.
Modric: "Dalic zeigt Größe"
Luka Modric, bereits vor vier Jahren Kroatiens "Herz und Hirn", schwärmte damals von seinem Trainer: "Wir schätzen am meisten seine Ehrlichkeit, Zlatko zeigt Größe nicht nur als Trainer, sondern auch als Person." Die Mannschaft glaubt an Dalic, sie folgt ihrem Trainer.
Plötzlich auf der ganz großen Bühne
Diese Erfolgsgeschichte war nicht unbedingt absehbar, als Dalic im Oktober 2017 nach acht Jahren als Trainer in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten etwas überraschend zum kroatischen Nationalcoach ernannt worden war.
Zuvor waren seine Klubs in den Wüstenstaaten beheimatet und hießen Al-Faisaly, Al-Hilal oder Al-Ain, plötzlich war Dalic auf der ganz großen Bühne. Er überzeugte rasch - und spätestens nach der triumphalen WM 2018 war er ein Nationalheld bei den Südosteuropäern.
Dalic überstand auch Rücktrittsforderungen nach der desaströsen Nations League 2020/21 (drei Punkte, 9:16 Tore), zumal 2021 eine gute EM folgte: Im Achtelfinale gegen Spanien glichen die "Kockasti" in letzter Minute einen 1:3-Rückstand aus, verloren aber nach 120 Minuten mit 3:5. Doch seine Mannschaft hatte erneut bei einem wichtigen Turnier überzeugt. Der Vertrag des Trainers wurde bis 2024 verlängert.
Dalic kann Geschichte schreiben
Das er diesen auch erfüllen wird, scheint nach der erneut starken WM in Katar klar. Damit würde Dalic Geschichte schreiben. Er wäre dann länger auf der Bank als die bisherigen Rekordhalter Miroslav Blazevic (1994 bis 2000) und Slaven Bilic (2006 bis 2012).
Auch abseits des Platzes sehr beliebt
Legendenstatus hat er bereits jetzt in seiner Heimat. Dort ist Dalic auch abseits des Platzes äußert beliebt. Der Patriot meldete sich 1991 im Bürgerkrieg als Freiwilliger, ist verheiratet, hat zwei Söhne, raucht und trinkt nicht und betet bei jedem Spiel einen Rosenkranz.
Der Glaube an sich selbst, seine Mannschaft und die gemeinsame Mission ist es auch, der Dalic durch die WM 2022 trägt. Dort wartet im Halbfinale Argentinien (13.12.2022, ab 20 Uhr in der ARD und im Livestream auf sportschau.de). Nach dem Erfolg gegen Rekordweltmeister Brasilien soll der nächste Coup folgen.
Der Coach sieht seine Mannschaft gegen den zweimaligen Weltmeister psychologisch im Vorteil. "Die vielen Fans, die riesigen Erwartungen - Argentinien ist unter größerem Druck", sagte der 56-Jährige am Montag (12.12.2022).
Dalic bekannte, dass die Partie gegen die Südamerikaner für ihn persönlich die "drittgrößte" seiner Karriere sein wird. Dabei ließ er interessanterweise das WM-Finale 2018 außen vor. Stattdessen nannte er an erster Stelle das damalige Halbfinale gegen England (2:1-Sieg nach Verlängerung), vor dem Brasilien-Spiel 2022. Dahinter setzte er das nun anstehende Halbfinale gegen Argentinien.
"Wir wollen noch mehr"
Schon die erneute Qualifikation für die Runde der letzten vier sei für Kroatien ein außergewöhnlicher Erfolg, so Dalic, "aber wir wollen noch mehr". Eine erneute Finalteilnahme wäre für den Coach "der größte Erfolg in der kroatischen Fußball-Geschichte".
Messi soll keinen Raum bekommen
Für seine Mannschaft werde das Halbfinale ein ähnliches Spiel wie das Viertelfinale, so Dalic: "Wenn wir so verteidigen wie gegen Brasilien, dann wird Messi nicht die Räume bekommen, die er braucht", sagte er. Bei den favorisierten Argentiniern hat er Schwächen ausgemacht . "Gegen die Niederlande haben sie 2:0 geführt und ließen den Gegner zurückkommen. Das zeigt, dass sie verwundbar sind."
"Kroatien ist am besten, wenn es darauf ankommt"
Und so wird er seiner Mannschaft, die in der geliebten Außenseiterolle ins Spiel gehen wird, wieder einen Matchplan mitgeben, der dem Gegner das Leben schwer machen soll. Sein Team, so Dalic, werde gewappnet sein: "Kroatien ist am besten, wenn es darauf ankommt. Dann ist es immer erfolgreich."
Dies wird durch die Statistik belegt. Fünfmal in Folge musste Kroatien in der K.o.-Runde einer WM in die Verlängerung, viermal davon ins Elfmeterschießen. Immer kamen die "Kockasti" weiter.
Wenn es wieder zur Entscheidung vom Punkt käme, hätte Dalic nichts dagegen einzuwenden. Es fühle sich mit Erreichen des Showdowns so an, "als ob wir zu diesem Zeitpunkt schon gewonnen hätten", betonte er.
Dalic: "Bin unbeschreiblich stolz auf Kroatien und mein Team"
Diese Erfolge und dieses Selbstverständnis sind zum Großteil auch Dalics Verdienst. Das alles, bekannte er, habe er sich bei seinem Dienstantritt im Oktober 2017 niemals träumen lassen. "Ich hielt es für unmöglich, in eine solche Position zu kommen. Ich glaubte, dass sei nur für ganz prominente Persönlichkeiten möglich", sagte er.
Doch er hat es wahr werden lassen - obwohl Dalic vor ein paar Jahren noch ein völlig unbekannter Trainer "in der Wüste" war. Jetzt gehört er zu den ganz Großen seiner Zunft. "Nun aber bin ich da", sagte er: "Und ich bin unbeschreiblich stolz auf Kroatien und mein Team."