Nach Schock gegen England "Es tut sehr weh" - Niederlande hadern mit Last-Minute-Aus
Nach dem Last-Minute-K.o. im EM-Halbfinale gegen England (1:2) herrscht Trauer bei den Niederlanden. Es bleibt das Gefühl, eine große Chance verpasst zu haben.
Als Schiedsrichter Felix Zwayer das niederländische EM-Halbfinale gegen England nach etwas mehr als 95 Minuten abpfiff, sanken die Oranje-Spieler zu Boden. Tiefe Traurigkeit und eine große Leere waren Kapitän Virgil van Dijk und Co. nach dem späten Knockout durch den Gegentreffer von Ollie Watkins zum 1:2 (90. Minute) anzusehen. Wenig später, vor den TV-Kameras und in der Mixed Zone, kam dann großer Frust über die Leistung von Referee Zwayer in einigen Schlüsselszenen dazu.
Und mit etwas Abstand dürfte sich eine weitere Emotion in den Köpfen der Niederländer breit machen - nämlich der Ärger darüber, nicht das maximale aus den eigenen Möglichkeiten herausgeholt zu haben. Denn bei der EM 2024 steht für die "Elftal" am Ende nicht nur das Halbfinal-Aus, sondern auch die Erkenntnis, dass eigentlich mehr drin gewesen wäre.
Virgil van Dijk: "Es tut sehr weh"
"Es tut sehr weh, dass wir dieses Gegentor so spät im Spiel kassiert haben und jetzt mit leeren Händen dastehen", analysierte van Dijk nach der dramatischen Partie am ARD-Mikrofon. "Das ist Schmerz pur!" Und weiter: "Man gibt alles, jeder gibt alles, und wenn das Tor so in der letzten Minute fällt, ist das einfach scheiße. Ja, sorry."
Der niederländische Kapitän zeigte sich resigniert - und fatalistisch. "Wir müssen das schlucken, wir haben das zu akzeptieren", sagte er. "Wir können es ja nicht ändern."
Ronald Koeman: "Wir haben gekämpft wie Löwen"
Ähnlich sah es Bondscoach Ronald Koeman. Das glücklichere Team habe in einem "50-50-Spiel" gewonnen: "England hat auf seine Chance gewartet, sie bekommen und das Tor geschossen Das war der Unterschied zwischen England und Holland." Der Europameister von 1988 wollte seinen Spielern keinen Vorwurf machen: "Wir haben gekämpft wie Löwen. Es gibt keine Kritik an der Mannschaft."
Frühes Traumtor von Xavi Simons
Das Spiel hatte gut begonnen für Oranje. Xavi Simons hatte in der siebten Minute den englischen "Ballklauer" Declan Rice in dessen ureigenster Disziplin überlistet und ihm das Leder tief in der englischen Hälfte abgenommen. Anschließend marschierte der Mittelfeldspieler mit einigen schnellen Schritten in Richtung Tor der "Three Lions", zog mit rechts ab und die Kugel schlug links oben im englischen Kasten zum 1:0 für die Niederlande ein. Ein echtes Traumtor, eine frühe Führung - eine Ausgangsposition wie gemalt in diesem Halbfinale.
Doch im Anschluss gaben die Niederlande diese leichtfertig her. Die Mannschaft von Trainer Ronald Koeman agierte zu passiv und ließ England dadurch ins Spiel kommen. Die Konsequenzen waren das 1:1 durch Harry Kane (18., Foulelfmeter nach Videobeweis) und eben das späte 1:2 durch Watkins (90.), auf das die "Elftal" keine Antwort mehr fand.
Die wichtigsten Statistiken sprechen für England
"Wir haben gut angefangen, dann hatte England gute Phasen und dann ging es immer hin und her", sagte van Dijk, der seine Mannschaft in der zweiten Halbzeit "viel besser, auch mit mehr Ballbesitz" gesehen haben wollte. Eine Sichtweise, die durch die Daten nicht belegt wird. Die wichtigsten Statistiken sprechen mit 10:5 Torschüssen, 57 Prozent Ballbesitz und 62 Prozent gewonnenen Zweikämpfen für England.
Van Dijk will Pause zum Nachdenken nutzen
Für van Dijk waren die Niederlande dem Siegtreffer trotzdem näher als der Gegner. "Ich dachte, ein Tor für uns liegt in der Luft. Wenn du dann in der Nachspielzeit eins fängst, dann ist das hart", bilanzierte der Abwehrspieler. "Wir wollten uns so sehr diesen Traum vom Titel erfüllen und haben alles getan, was möglich war. Und trotzdem hat es nicht gereicht. Es ist eine schwere Stunde, durch die wir alle gerade gehen müssen. Ich brauche jetzt erst mal eine Pause zum Nachdenken."
Was bleibt also von Oranje bei dieser EM? Eine durchwachsene Vorrunde mit vier Punkten und Platz drei in der schwierigen Gruppe mit Frankreich, Österreich und Polen, die den Weg in den vermeintlich leichteren unteren Turnierbaum geebnet hatte. In der K.o.-Runde zwei überzeugende Siege gegen Rumänien (3:0) und die Türkei (2:1), die den Traum vom zweiten EM-Titel nährten. Und schließlich das Aus gegen England mit einer seltsam passiven Darbietung nach der frühen Führung.
Dass mehr möglich gewesen wäre, befand auch Koeman. "Wir waren sehr nah dran", analysierte der Coach. "Natürlich gab es Höhen und Tiefen, und man muss bestimmte Dinge verbessern."
Ob er sich da selbst mit einbezogen hatte, ist nicht bekannt. In der Heimat gab es immer wieder auch Kritik an seiner, für viele zu defensiven Spielweise oder an seinem Festhalten an Memphis Depay, der bei der EM 2024 nicht in Form war. Beim niederländischen Sender "NOS" betonte Koeman, dass er gar nicht zu sehr aufs Negative schauen will. "Das ist die Mannschaft", sagte er, womit er auch die Schwächen anerkennt.
Koeman: "Dieses Team ist in der Lage, mehr zu erreichen"
Im Nachhinein ist man bekanntlich ohnehin immer schlauer. Das Warten auf den zweiten großen Titel seit dem EM-Sieg 1988 geht jedenfalls weiter. Damals, vor 36 Jahren in Deutschland, hatten die Niederlande triumphiert. Doch diese Geschichte wiederholt sich nicht. Koemans Gesamtfazit war dennoch positiv, man könne mit erhobenem Kopf nach Hause fahren. "Ich finde, wir können stolz darauf sein, wie wir uns als Nationalmannschaft präsentiert haben Auch wenn wir das Finale nicht erreicht haben. Ich bin von diesem Team überzeugt, es ist in der Lage, mehr zu erreichen", sagte er.
Den Beweis gilt es noch zu erbringen - bei der EM 2024 hat es seine Mannschaft jedenfalls nicht geschafft.