Pokal-Wiedersehen mit Wolfsburg Seoane in Gladbach als Bastelkünstler gefragt
Borussia Mönchengladbach wartet seit 28 Jahren auf einen Titel, im DFB-Pokal-Finale 1995 hieß der Gegner VfL Wolfsburg - wie jetzt auch im Achtelfinale am Dienstag (05.12.2023, 20.45 Uhr, Live im Ersten und im Livestream und Live-Ticker bei sportschau.de). Es gibt aber große Personalsorgen, und plötzlich müssen Spieler Verantwortung tragen, die zuletzt völlig außen vor waren.
Wie schnell es im Moment bei der "Elf vom Niederrhein" gehen kann, zeigt das Beispiel von Florian Neuhaus. Der zehnmalige A-Nationalspieler hatte vor dieser Saison nach monatelangen Verhandlungen seinen Vertrag bei den "Fohlen" vorzeitig verlängert, weil er endlich mehr Verantwortung tragen und das im Umbruch befindliche Team stabilisieren und voranbringen wollte.
Sein neuer Trainer Gerardo Seoane zeigte sich darüber sehr erfreut, er schätzt Neuhaus' fußballerische Qualität sehr, wusste aber zuletzt offenbar nicht mehr so recht, wo er sie einsetzen sollte. Das führte am 9. und 10. Bundesliga-Spieltag dazu, dass der Mittefeldtechniker ohne eine einzige Einsatzminute gegen Heidenheim (2:1) und in Freiburg (3:3) blieb, in den beiden Partien danach kam er zu Jokereinsätzen von 13 Minuten gegen Wolfsburg (4:0) und 17 Minuten in Dortmund (2:4). Am vergangenen Samstag beim 2:1 gegen Hoffenheim stand Neuhaus dann plötzlich in der Startelf - und führte die Borussen sogar als Kapitän aufs Feld.
Zehn Spieler verletzt, krank oder angeschlagen
Kurz vor dem Anpfiff hatte sich Julian Weigl mit muskulären Problemen abgemeldet, der trug davor die Binde, allerdings auch nur, weil mit Jonas Omlin der eigentliche Spielführer wegen einer Schulter-Operation mehrere Monate ausfällt. Nicht nur im Mittelfeld muss Seoane derzeit basteln, im Angriff fehlt Stoßstürmer Jordan Siebatcheu mit Muskelfaserriss.
Sein Backup Tomas Cvancara meldete sich gegen Hoffenheim ebenfalls am Spieltag ab, bei ihm gibt es nun aber ebenso wie bei Weigl und Abwehrspieler Maximilian Wöber leichte Hoffnung, dass sie im Pokal-Achtelfinale in den Kader rücken. "Es wird eine Geduldsprobe", sagte Seoane am Montagmittag dazu, die Entscheidung könnte bei allen drei Profis erst kurz vor dem Anpfiff fallen.
Routinier Kramer wird auch wieder wichtig
Schon länger nicht dabei und sicher auch Dienstag nicht einsatzfähig sind Abwehrchef Ko Itakura (Knöchel-OP), Stefan Lainer (Aufbautraining nach Krebserkrankung), Tony Jantschke (Muskelriss), Lukas Ulrich (Schulter-OP) und Hannes Wolf (Meniskusriss).
Seoane ist aber kein Typ, der öffentlich das große Klagelied anstimmen würde, er lobt lieber die Spieler, die jetzt das Ruder übernehmen müssen. Neuhaus war gegen Hoffenheim einer davon, mehr denn je gefragt ist jetzt auch Routinier Christoph Kramer.
Seoane über die Situation des 2014er-Weltmeisters: "Chris hatte in den zurückliegenden Spielen gute Teileinsätze, gerade zuletzt gegen Hoffenheim ist seine Erfahrung in der Schlussphase extrem zum Tragen gekommen. Wenn du ein paar Wochen in der Vorbereitung ausfällst, fehlt dir etwas das Fundament, aber durch das Training und das Testspiel in der Länderspielpause ist Chris wieder in den Rhythmus gekommen und jetzt wieder bei 100 Prozent. Daher ist er momentan immer eine Option für die Startelf."
Talent Chiarodia auf der Überholspur
Auch der erst 19-jährige Fabio Chiarodia, den die Gladbacher in der Sommerpause Werder Bremen abgeluchst haben, steigert sich von Woche zu Woche. "Fabio hat gut zwei Monate gebraucht, um hier richtig anzukommen und sich einen Platz im Team zu erkämpfen. Er ist ein sehr talentierter Spieler, der sowohl mit als auch gegen den Ball Fortschritte gemacht hat. Wenn Fabio spielt, habe ich ein gutes Gefühl", lobt Seoane.
Gereiftes Talent: Fabio Chiarodia (l.) gegen Wout Weghorst im Kopfballduell.
Er gesteht ihm aber auch den Lernprozess auf dem Platz zu: "Ich weiß aber auch, dass ein junger Spieler auch mal einen Fehler machen kann. In der einen oder anderen Situation hatte er im direkten Duell mit erfahrenen Stürmern ein paar Schwierigkeiten. Aber Fabio hat enormes Potenzial, wir sind von seinen Qualitäten absolut überzeugt."
Pléa plötzlich Führungsfigur
Getragen wird die Mannschaft in diesen personell engen Wochen von Ersatzkeeper Moritz Nicolas, Nico Elvedi in der Abwehr, Rocco Reitz im Mittelfeld und Alassane Pléa im Angriff, der in den Jahren zuvor oft sein eigenes Süppchen kochte und seine herausragenden Fähigkeiten nur sehr dosiert einbrachte. Plea glänzte beispielsweise auch vor dreieinhalb Wochen beim klaren Ligaerfolg gegen Wolfsburg, der laut Seoane für das Pokalwiedersehen am Dienstag "ein gutes Gefühl gibt, mehr aber auch nicht".
Dass so ein lockeres 4:0 die Sinnesschärfe schon mal ein wenig trübt, ist in Gladbach ein durchaus bekanntes Phänomen. Doch bei all den Verletzungssorgen verbietet sich Selbstzufriedenheit eigentlich, und gerade der Name Wolfsburg weckt sofort sehr schöne Erinnerungen an eine extrem ehrgeizige Gladbach-Generation und das, was man in diesem Wettbewerb erreichen kann: Am 24. Juni 1995 schlugen Stefan Effenberg, Uwe Kamps, Heiko Herrlich und Co. die "Wölfe" im Pokalfinale in Berlin mit 3:0. Seitdem träumen sie am Niederrhein vergeblich davon, mal wieder etwas Blechernes in den Himmel zu halten, umso größere Hoffnungen liegen jetzt auf den Bastelkünsten von Gerardo Seoane.