Aufschwung durch den DFB-Pokal Das neue Hochgefühl im Saarland
Marcel Gaus küsste auf dem Rasen des Tollhauses Ludwigsparkstadion erst mal Frau und Kinder - später waren auch die Fans an der Reihe. Dass ein 34 Jahre alter Flügelstürmer plötzlich Pokalheld sein würde, der noch vor einiger Zeit um seine Zukunft als Profi bangte, machte den Coup des 1. FC Saarbrücken besonders.
"Letztes Jahr um die Zeit, da war ich ein halbes Jahr zu Hause, hatte keinen Verein", sagte Gaus nach seinem Siegtreffer zum 2:1 (1:1) des Außenseiters gegen den FC Bayern München. "Heute stehe ich hier und habe mit den Jungs zusammen erreicht, was ganz, ganz wenige Mannschaften erreichen." Der Fußballer war nach Ablauf seines Vertrages beim FC Ingolstadt 2022 arbeitslos und wurde Anfang dieses Jahres vom Drittligisten geholt. "Ich glaube, das war für alle Beteiligten ein Spiel für die Geschichtsbücher", sagte Gaus sichtlich ergriffen.
FC Homburg einziger Viertligist
Das Ausrufezeichen aus der saarländischen Landeshauptstadt ereignete sich einen Tag, nachdem der FC Homburg den Zweitligisten Greuther Fürth aus dem Pokal katapultiert hatte. Als einziger Viertligist steht Homburg jetzt im Achtelfinale, in das es nur sechs Bundesligisten geschafft haben. So wenige wie zuletzt 1992/93.
Der 1. FC Saarbrücken stieg erst vor drei Jahren in die dritte Liga auf, als der Klub übrigens auch bis ins Halbfinale des Pokals vorstieß. Damals in der Corona-Zeit noch in seiner Ausweichstätte in Völklingen, weil das Ludwigsparkstadion umgebaut wurde. Ohne Mäzen und Präsident Hartmut Ostermann wäre der Traditionsverein davor längst in der Versenkung verschwunden - nun aber erfüllen sich binnen zwei Tagen im strukturschwachen Saarland auf einmal ganz viele Sehnsüchte.
Profibedingungen im Waldstadion
Denn auch beim FC Homburg werden im alten Waldstadion die Geschichten von früher wieder lebendig: Wie der ehemalige Präsident Manfred Ommer den Kondomhersteller London als Hauptsponsor Ende der 80er Jahre gewann - und damit den DFB vor sich hertrieb. Das legendäre Trikot hängt heute im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund.
Der FC Homburg pendelte Ende der 80er Jahre noch zwischen erster und zweiter Liga, stieg 1987/88 als Tabellenvorletzter ab, nachdem er in Slobodan Cendic, Gerd Schwickert und Uwe Klimaschefski gleich drei Trainer verschliss. Dem unmittelbaren Wiederaufstieg folgte der erneute Abstieg 1990 - und dann langes Siechtum.
Anfang der 2000er spielte der Klub nur noch in der Oberliga Südwest, erst seit kurzem werden wieder höhere Ziele angestrebt. Der Verein aus der 44.000-Einwohner-Stadt zwischen Saarbrücken und Kaiserslautern arbeitet unter Profibedingungen.
Möglich macht es Mäzen Giuseppe Nardi, Gesellschafter der Dr. Theiss Naturwaren GmbH, einem in Homburg ansässigen Unternehmen für Naturprodukte. Der Aufstieg ist als Ziel offensiv ausgegeben worden, doch in der Regionalliga Südwest ist das schwierig. Auf dieser Ebene ist das eine der stärksten Staffeln.
SV Elversberg ist auch ein Aushängeschild
Lange Jahre führte die umstrittene Aufstiegsregel mit den Relegationsspielen dazu, dass seine Meister in diesem Nadelöhr hängen blieben. Inzwischen haben sich einige Südwest-Vertreter oberhalb der Regionalliga festgesetzt: Waldhof Mannheim spielt seit 2019 drittklassig.
Die SV Elversberg schaffte als Meister 2021/22 sogar den Durchmarsch in die zweite Liga und legt als Aufsteiger bislang eine tolle Saison hin. Der Dorfverein der Gemeinde Spiesen-Elversberg liegt im Landkreis Neunkirchen - und damit ebenfalls im Saarland.
Vergangene Saison schaffte der Traditionsverein SSV Ulm 1846 den Sprung aus der vierten in die dritte Liga, wo die "Spatzen" eine gute Rolle spielen. Aktuell führt mit den Stuttgarter Kickers ein weiterer Ex-Bundesligist die Regionalliga Südwest an.
Das Saarland war in den 50er Jahren autonom
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass ausgerechnet das Saarland in einem vom DFB ausgerichteten Wettbewerb aufmuckt. Denn einige Zeit der Nachkriegszeit gehörte dieses Fleckchen Erde nicht zu Deutschland, sondern war autonom. Weshalb der Saarländische Fußballbund (SFB) von 1950 bis 1956 eigenständiges Mitglied des Weltfußballverbandes FIFA war und nicht dem DFB angehörte.
So spielte das Saarland auch die Qualifikation für die WM 1954 in der Schweiz. Und wie es der Zufall so wollte, ging es sogar gegen die deutsche Nationalmannschaft. Das erste Spiel ging in Stuttgart mit 0:3 verloren, im Rückspiel unterlag man in Saarbrücken mit 1:3. Immerhin: In der Gruppe konnte man sich dank eines Auswärtssieges in Oslo als Zweiter vor Norwegen behaupten.
Trainer damals: Helmut Schön
Trainer der saarländischen Auswahl war damals der junge Helmut Schön, der 20 Jahre später Deutschland zum WM-Titel 1974 führen sollte. Wichtige Erfahrungen für seine spätere Tätigkeit als Bundestrainer sammelte er im Saarland. Gleichzeitig trug der 1. FC Saarbrücken Anfang der 50er Jahre noch internationale Freundschaftsspiele aus, bezwang als erster deutscher Verein sogar Real Madrid mit 4:0. Der damalige FIFA-Präsident Jules Rimet sollte die Blau-Schwarzen sogar als "interessanteste Fußballmannschaft Europas" bezeichnen.
Der 1. FC Saarbrücken gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga, spielte aber nur fünf Jahre im Oberhaus. Die letzte Saison 1992/93 verantwortete ein gewisser Peter Neururer, der eine Truppe aus schrägen Typen trainierte: Wolfram Wuttke, Stefan Brasas, Thomas Stickroth, Arno Glesius, Stephan Beckenbauer oder den ersten US-Amerikaner in der Bundesliga, Eric Wynalda. Als Höhepunkt der Vereinsgeschichte galt immer der 16. April 1977.
Damals waren die Bayern in der Bundesliga zu Gast. Etliche sahen aus Bäumen, wie Roland Stegmayr vier Tore beim 6:1-Kantersieg schoss, obwohl alle Stars von Sepp Maier, Georg Schwarzenbeck, Franz Beckenbauer über Gerd Müller angetreten waren. Nun allerdings ist ein weiteres Spiel hinzugekommen, von dem nicht nur Gaus glaubt, "dass die Leute noch in Jahrzehnten davon erzählen".