Chelsea-Logo auf einer Eckfahne

Viertelfinale der Champions League FC Chelsea - Mit Rekordausgaben ins Nichts

Stand: 11.04.2023 14:36 Uhr

Mehr als 600 Millionen Euro gab der FC Chelsea in dieser Saison für neue Spieler aus. Doch die "Blues" rasen ins sportliche Nichts - und in der Champions League wartet am Mittwochabend (21 Uhr/Live-Ticker bei sportschau.de) zum Viertelfinal-Hinspiel Real Madrid.

Wie man es schafft, innerhalb von knapp zwei Jahren alles einzureißen, was einen an die Spitze des europäischen Fußballs gebracht hat, zeigt ein Blick auf zwei Mannschaftsaufstellungen und den zugehörigen Trainerstab. Am 29. Mai 2021 saß Thomas Tuchel auf der Bank des FC Chelsea, als im Estadio do Dragao in Porto mit einer taktisch und mental überragenden Leistung der Triumph in der Königsklasse eingefahren wurde: 1:0 gegen die Superstars von Manchester City mit Pep Guardiola, es war eine Sensation, weil Tuchel das Team erst vier Monate zuvor auf Rang neun in der Premier League übernommen hatte.

In der Startelf standen unter anderem die drei deutschen Nationalspieler Kai Havertz, der das Siegtor schoss, Timo Werner und Antonio Rüdiger. Das Tor hütete Edouard Mendy, das Mittelfeld hielten Jorginho und N'Golo Kanté zusammen, die Abwehr bildeten neben Rüdiger noch César Azpilicueta und Thiago Silva, für den nach dessen Verletzung im ersten Durchgang Andreas Christensen kam.

Zwei Trainer gefeuert, Sturz auf Platz elf

Von den Spielern, denen Tuchel damals einen "unfassbaren Willen" und "große Bereitschaft zu leiden" attestierte, standen am vergangenen Samstag (08.04.2023) bei den Wolverhampton Wanderers nur noch zwei in der Startelf: Havertz und Reece James. Auf der Trainerbank saß sehr überraschend wieder Frank Lampard, der vor Tuchel wegen Erfolglosigkeit und angeblich mangelnder Trainingsqualität entlassen worden war. Lampard kam jetzt für Graham Potter, der trotz eines Fünfjahresvertrags mit angeblich mehr als 20 Millionen Euro Jahressalär auch schon wieder Geschichte beim FC Chelsea ist.

Geschichte sind auch Rüdiger, der inzwischen beim kommenden Gegner Real Madrid spielt, ebenso Christensen (FC Barcelona), Werner (RB Leipzig), Jorginho (FC Arsenal) oder auch Romelu Lukaku (Inter Mailand). Gemeinsam haben sie, dass sie bei ihren Abgängen entweder gar nichts oder nur wenig an Einnahmen gebracht haben, Werner ist mit 20 Millionen Euro der mit Abstand teuerste Abgang gewesen.

Wenig Einnahmen, horrende Ausgaben

20 Millionen sind für das Konsortium um den US-Milliardär Todd Boehly ansonsten eher nicht der Rede wert. Der Nachfolger von Roman Abramowitsch als Eigentümer des Klubs hat in seiner kurzen Amtszeit Geld ausgegeben, als müsste er dringend irgendwelche Konten leeren: Selbst mäßig bekannte Mittelklassespieler wie Malo Gusto von Olympique Lyon kosteten 30 Millionen, Noni Madueke (PSV Einhoven) 35 Millionen, Benoit Badiashile (AS Monaco) und Kalidou Koulibaly (SSC Neapel) jeweils 38 Millionen. Für den lockigen Linksverteidiger Marc Cucurella ließ Boehli horrende 65,3 Millionen nach Brighton überweisen, 80 Millionen gab er für Leicesters Innenverteidiger Wesley Fofana aus, dann nochmal insgesamt 247 (!) Millionen für das Trio Enzo Fernández (Benfica), Mykhaylo Mudryk (Donezk) und Raheem Sterling (Man City).

Die Bilanz des chaotisch anmutenden aktuellen Transferjahres liegt damit bei minus 542,66 Millionen Euro. In der Premier League ist Chelsea durch die Pleite beim 13. Wolverhampton auf Rang elf abgestürzt und wird einen europäischen Wettbewerb wohl verpassen. Im englischen FA Cup war bereits in der 3. Runde nach einem 0:4 bei Manchester City Schluss.

Julian Nagelsmann Kandidat für kommende Saison

Chelsea müsste also schon die Champions League gewinnen, um mit all den teuren Top-Stars, zu denen auch die Atletico-Leihgabe Joao Felix gehört, in der kommenden Saison international vertreten zu sein. Doch dass dieses Gebilde aus elf Einzelspielern ein Viertelfinale gegen Real Madrid übersteht, ist kaum zu erwarten: Die "Königlichen" haben diesen Wettbewerb in den vergangenen neun Jahren fünfmal gewonnen und gerade im heimischen Pokalwettbewerb den FC Barcelona mit 4:0 an die Wand gespielt.

Dass Frank Lampard nicht die Dauerlösung in der Gedankenwelt der Chelsea-Bosse sein wird, ist trotz der netten Begrüßungsworte bei seinem Comeback klar: "Wir freuen uns, Frank wieder an der Stamford Bridge begrüßen zu dürfen. Frank ist eine Legende der Premier League und eine Legende in diesem Verein." Die Wunschlösung soll aber Julian Nagelsmann gewesen sein, der angeblich so kurz nach seiner Entlassung in München noch nicht gleich wieder bereit für den nächsten Schleudersitz war - im Sommer könnte die Welt anders aussehen.

Wo wollen die "Blues" hin?

Sollte sich Nagelsmann ernsthaft mit dieser Herausforderung befassen, stellt sich ihm vermutlich zunächst einmal die Frage nach der Idee, nach der Philosophie dieses Klubs. Bisher ist unter Boehly nur das Bemühen um teure Prominenz erkennbar, eine sportliche Linie fehlt: Während das Mittelfeld um Mateo Kovacic und Enzo Fernández auf Kontrolle und Ballbesitz ausgerichtet ist, stehen Stürmer wie Mudryk, Joao Felix und Havertz für schnelles Umschalten und Blitzkonter.

Ein abschlusstarker Zentralstürmer fehlt seit Lukakus Abgang komplett. In 30 Ligaspielen hat Chelsea erst 29 Tore geschossen, da ist Erling Haaland alleine um einen Treffer besser. In der Torschützenliste steht der beste "Blues"-Spieler Kai Havertz mit sieben erfolgreichen Abschlüssen auf Platz 25, Sterling folgt auf Rang 48 mit vier.

Rüdiger weiß nicht, was er erwarten soll

Antonio Rüdiger warnt seine Kollegen dennoch davor, seinen Ex-Klub zu unterschätzen. "Es ist nicht mehr das Team, für das ich gespielt habe. Es hat sich sehr verändert, und ich weiß nicht wirklich, was ich erwarten soll", sagte der Real-Innenverteidiger. Chelsea habe viele Profis von hoher individueller Qualität und sei "unberechenbar".  

Lampard versucht, mit einem Blick in die Historie seinem Ensemble Mut zu machen und erinnerte an die Erfolgsgeschichte 2012, als er sich als Mittelfeldantreiber mit den "Blues" als krasser Außenseiter ins Finale kämpfte - und am Ende Bayern München im Finale "Dahoam" niederrang. "Eine Mannschaft wird immer durch schwierige Momente gehen, um zu großen Momenten zu gelangen", sagte Lampard. Und mit schwierigen Momenten kennt sich Chelsea inzwischen sehr gut aus.