Andreas Wellinger

Skispringen Andreas Wellinger - bereit für den letzten Schritt?

Stand: 12.11.2024 14:03 Uhr

Andreas Wellinger ist zweifacher Olympiasieger und stand auch schon bei Weltmeisterschaften ganz oben auf dem Podest. Im vergangenen Winter sprang er die konstanteste Saison seiner Karriere und beendete ihn als Dritter der Gesamtwertung. Doch eine Sache fehlt dem Bayern noch, die seine Bedeutung für die ruhmreiche Geschichte des deutschen Skispringens noch mal vergrößern würde: der Sieg bei der Vierschanzentournee. Der Goldene Adler bleibt das Sehnsuchtsobjekt der Deutschen.

Was war das für ein Auftakt in die 72. Vierschanzentournee kurz vor dem Jahreswechsel 2023/24: Vor 25.000 frenetischen Fans sprang Andreas Wellinger im schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer von Oberstdorf zu seinem ersten Sieg bei der prestigeträchtigen deutsch-österreichischen Veranstaltung und bescherte dem deutschen Team drei Jahre nach Karl Geigers Triumph mal wieder einen perfekten Tourneestart.

"Vor diesem Publikum zu gewinnen, ist unglaublich, das kann man mit Worten gar nicht beschreiben. Es macht mich nach den letzten Jahren einfach extrem stolz und gehört sicher zu den größten Momenten, die ich erlebt habe", erklärte der überglückliche Sieger anschließend. Wellinger, vor Oberstdorf Zweiter des Gesamtweltcups hinter dem Österreicher Stefan Kraft, hatte sich im Vorfeld perfekt auf das Highlight eingestellt.

Andreas Wellinger jubelt über seinen Sieg in Oberstdorf.

Andreas Wellinger jubelt über seinen Sieg in Oberstdorf 2023.

Auch in Garmisch-Partenkirchen stand er auf dem Podest und verteidigte zunächst noch seine Gesamtführung in der Tournee-Wertung. Nach zwei fünften Plätzen bei den Springen in Innsbruck und Bischofshofen musste er sich aber mit dem zweiten Platz hinter dem Japaner Ryoyu Kobayashi zufriedengeben.

Wellinger "will das Ding gewinnen"

Nun also ein neuer Angriff. Und Wellinger ist schon vor dem Saisonstart ein klein wenig im Angriffsmodus. "Ich bin letztes Jahr Zweiter geworden, wenn ich jetzt sagen würde, ich will unter die Top 10, dann würde mir das keiner glauben. Logisch will ich das Ding gewinnen", so der 29-Jährige, der in knapp einer Woche mit dem Auftaktspringen in Lillehammer in seine zwölfte Weltcup-Saison startet.

Es hätte eine mehr sein können, aber den Winter 2019/20 verpasste er nach einer schweren Knieverletzung komplett. Auch das folgende Jahr war ein verlorenes. Im Weltcup schaffte er nie die Qualifikation für den zweiten Durchgang und kam so auf 0 Punkte in der Gesamtwertung. Somit durfte er auch nicht zu den Olympischen Winterspielen 2022 nach Peking.

Dabei hatte er an das alle vier Jahre stattfindende Spektakel so gute Erinnerungen. 2014 gewann er in Sotschi an der Seite von Severin Freund, Marinus Kraus und Andreas Wank Team-Gold. Vier Jahre später zitterte er sich in der Kälte von Pyeongchang zum ersten deutschen Einzelolympiasieger seit Jens Weißflog 1994.

Andreas Wellinger (mitte) jubelt über seinen Olympiasieg 2018 in Pyeonchang

2018: Andreas Wellinger (mitte) kann es nicht fassen: Er ist Olympiasieger.

Die neue deutsche Nummer 1

Insgesamt war 2018 ein starkes Jahr für Wellinger, in Südkorea holte er noch Silber von der Großschanze und im Team. Auch bei der Vierschanzentournee war er als Zweitplatzierte hinter dem vierfachen Tagessieger Kamil Stoch aus Polen "best of the rest". Dann aber bekam seine Karriere eine Delle inklusive der langwierigen Verletzung.

Doch in den vergangenen beiden Wintern hat sich der 1,84-Meter-Schlacks aus Ruhpolding davon erholt und zur deutschen Nummer eins gemausert. Die Saison 2022/23 beendete er als Gesamtsiebter, erstmals seit über fünf Jahren konnte er in Lake Placid (USA) wieder einen Weltcup gewinnen. Nur eine Woche später folgte im rumänischen Rasnov der nächste Streich. Und im Jahr darauf machte er einen weiteren Sprung auf Rang drei der Abschlusstabelle.

"Stark bergauf"

Wieder gelangen ihm zwei Siege - neben Oberstdorf war er auch in Willingen nicht zu schlagen. Entsprechend motiviert geht er in den neuen Weltcup-Zyklus. Bei der deutschen Meisterschaft in Oberstdorf untermauerte er seine Ambitionen mit seinem dritten Titel im Einzel und dem Erfolg in der Mannschaft.

Und auch die ersten internationalen Wettbewerbe im Sommer-Grand-Prix lassen, trotz ihrer schwierigen Vergleichbarkeit, auf eine gute Form schließen. In Hinzenbach wurde Wellinger Ende September auf der Normalschanze Zweiter und Erster. Zum Abschluss der Serie im sächsischen Klingenthal gelang ihm von der Großschanze ein achter Platz (Einzel) und der Sieg im Mixed. "In den letzten Wochen ist es stark bergauf gegangen. Ich habe es geschafft, in den Wettkämpfen meine besten Sprüngen zu zeigen", resümierte Wellinger vor den "letzten intensiven Wochen" der Vorbereitung.

Tourneesieg beim Bundestrainer "ganz oben auf der Liste"

So ist die Frage nach einem möglichen Tournee-Sieg aktuell auch noch ein Stück weit weg. Erstmal gilt es, gut in die Saison zu starten und sich Selbstvertrauen und Sicherheit zu holen. "In Oberstdorf kann ich dann sagen: 'Bin ich überhaupt in der Lage, mit um den Gesamtsieg zu kämpfen oder nicht?'", so Wellinger.

Im Vergleich zum Vorjahr habe er bei sich weitere Möglichkeiten zur Feinjustierung ausgemacht, die möglicherweise das letzte fehlende Puzzleteil sein könnten. Dann gelte es wie jedes Jahr über zehn Tage volle Konzentration zu zeigen. Oder wie es der Vorjahreszweite mit einem schon häufig gesagten Satz zusammenfasst: "Man kann die Tournee nicht in einem Sprung gewinnen, aber in einem verlieren."

Auch Bundestrainer Stefan Horngacher ist in seinem sechsten Jahr als Cheftrainer der deutschen Skispringer heiß auf den Gesamtsieg. "Irgendwann müssen wir das Ding mal einfahren. Das steht ganz, ganz oben auf der Liste", so der 55-Jährige. Das Ding - dieser Goldene Adler, den der Sieger der Vierschanzentournee bekommt - ist zu einem Sehnsuchtsobjekt im deutschen Skispringen geworden. Seit Sven Hannawalds legendären Grand Slam mit dem erstmaligen Sieg an allen vier Stationen wartet der Deutsche Skiverband auf seinen nächsten Sieger. "Irgendwann werden wir es knacken", prophezeit Horngacher.

Sven Hannawalds Grand Slam bei der Vierschanzentournee 2002

Sportschau, 02.01.2024 17:09 Uhr

Immer wieder nur ein Stück entfernt

In den vergangenen Jahren hatte das deutsche Team immer wieder ein Wörtchen um den Tourneesieg mitgeredet, am Ende aber einem anderen applaudieren müssen. 2016 stand Severin Freund hinter Peter Prevc auf dem Podest, auch für Markus Eisenbichler (Zweiter 2019), Stephan Leyhe (Dritter 2019), Karl Geiger (Dritter 2020 & Zweiter 2021) und zuletzt eben Wellinger reichte es nicht zum ganz großen Wurf.

Wie groß das Verlangen auch bei den deutschen Fans ist, zeigt ein Blick nach Oberstdorf. Schon Mitte September - also drei Monate vor dem Springen - meldete der Veranstalter "ausverkauft". Die 25.500 Tickets für den 29. Dezember waren da alle weg. "Wir sind echt überwältigt. Das ist der Hammer", sagte Georg Geiger, Vorsitzender des Skiclubs Oberstdorf.

Nun liegt es an den deutschen Springern und allen voran wohl Andreas Wellinger, die 23 Jahre währende Durststrecke zu beenden und "das Ding" in den eigenen Trophäenschrank zu stellen. Es wäre eine weitere Premiere. Denn die neue Trophäe mit dem Goldenen Adler auf dem transparenten Sockel wird erst seit 2013 vergeben. Ein Deutscher hatte sie also noch nicht in der Hand.