Der Schweizer Marco Kohler hat Schwierigkeiten sich auf den Beinen zu halten

Hahnenkammrennen in Kitzbühel Kitzbühel - "Jenseits von Gut und Böse"

Stand: 23.01.2025 13:01 Uhr

Die Debatte über Sicherheit im Alpinen Skirennsport hat Fahrt aufgenommen. Nun steht das Hahnenkammrennen in Kitzbühel an - das Rennen, das seinen Mythos auch durch spektakuläre Stürze erlangte.

Schon den gesamten Weltcupwinter wird - zum Teil aufgeregt - über die Sicherheit im Alpinen Skirennsport debattiert. Viele Stürze und schwere Verletzungen, gerade auch von Topstars wie jüngst Vinzenz Kriechmayr und Cyprien Sarrazin oder zuvor Aleksander Aamodt Kilde haben die Diskussion angefacht.

Spektakel vs. Gefahr - ein schmaler Grat

Airbagpflicht ja oder nein? Verbot der sogenannten Carbon-"Stutzen" - Spezialsocken, die es ermöglichen, noch engere Radien zu fahren. Verzicht auf oder zumindest Abschwächung von spektakulären, aber gefährlichen Sprüngen. Strengere Vorgaben bei der Taillierung der Skier oder der Auswahl der Rennanzüge - es ist einiges in Bewegung gekommen. Einerseits.

Andererseits steht an diesem Wochenende das berühmt-berüchtigte Hahnenkammrennen auf der Streif in Kitzbühel an - ein Rennen, das sich über sein Spektakel definiert und genau deshalb die Massen anzieht und seinen Mythos auch durch spektakuläre und folgenschwere Stürze erlangte.

Die Streif kennt keine Gnade - Rettungshubschrauber im Dauereinsatz

Die Streif also. Furchterregend. So berühmt wie berüchtigt. Schauplatz fürchterlichster Stürze. Und nach der ruppigen Stelvio in Bormio und der kraftraubenden Lauberhorn-Abfahrt in Wengen die dritte traditionsreiche und spektakuläre Strecke, auf der Ungemach droht. "Die Streif", sagt der ehemalige Rennläufer Aksel Lund Svindal, Olympiasieger, mehrfacher Weltmeister und in "Kitz" dreimal Super-G-Sieger, "ist gnadenlos. Dort geht es ums blanke Überleben."

Der Norweger zog sich 2016 bei einer wahren Sturz-Orgie auf der Streif einen Kreuzbandriss zu, ebenso der Österreicher Hannes Reichelt, Sieger von 2014. Der Rettungshubschrauber war im Dauereinsatz. Diesmal musste er schon beim Training am Mittwoch zweimal aufsteigen und Verletzte vom Berg holen. Unter anderem den 26 Jahre alten Oberfranken Jacob Schramm: Sturz, Gehirnerschütterung, Knie kaputt.

Weltelite ausgedünnt - Große Namen fehlen schon

Wieder zwei Verletzte, diesmal eher Namenlose, aber: Auch die Weltelite ist zunehmend ausgedünnt. Aleksander Aamodt Kilde aus Norwegen fällt seit einem Jahr aus. In Bormio stürzte der Franzose Cyprien Sarrazin schwer. In Wengen erlitt sein Teamkollege Blaise Giezendaner einen Kreuzbandriss, Vincent Kriechmayr, Österreichs Doppelweltmeister 2021, kam dort noch glimpflich davon, wird an diesem Wochenende aber ebenfalls nicht dabei sein.

Sportschau-Experte Neureuther fordert Konsequenzen

"Auf die nächste Saison hin muss definitiv was passieren, wir brauchen unsere Stars, wir brauchen unsere Gesichter", fordert Sportschau-Experte Felix Neureuther. Allein die Abfahrer zählen bereits zwei Dutzend Verletzte seit Saisonstart.

"Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf", so FIS-Renndirektor Markus Waldner in Wengen. Das Material sei "extrem ausgereizt, vielleicht haben wir die Grenze schon überschritten", findet er und betonte: "Es muss wirklich was passieren, kurzfristig und langfristig. Wir müssen an jeder Schraube ein bisschen drehen."

"Jenseits von Gut und Böse"

Der letzte Schrei sind sogenannte Carbon-"Stutzen". "Die sind wie Socken aus festem Material, die auch die geringste Bewegung des Fußes im Skischuh verhindern", erklärt der österreichische Ex-Weltmeister Hannes Trinkl, Waldners rechte Hand bei der FIS. Spitzenfahrer könnten damit "unglaubliche Linien fahren, aber mit so einem Setup bewegt man sich in Wirklichkeit jenseits von Gut und Böse".

Der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier forderte gerade in Wengen, die Fehler der Athleten müssten "verzeihbar" werden, das sei aktuell aber nicht der Fall. Und, sagte er: "Es ist nicht ein Teil allein, es sind mehrere Teile, die zusammenwirken, um das zu erreichen, was wir aktuell haben: einen extrem gefährlichen Sport."

"Runder Tisch" während der WM in Saalbach geplant

Wie auch immer: "Es müssen Regeln her", fordert Neureuther. Das Problem: Erst am Rande der WM in Saalbach-Hinterglemm (4. bis 16. Februar) soll es einen runden Tisch geben, einen weiteren beim Weltcup-Finale im März in Sun Valley. 

Für Kitzbühel kommt derlei zu spät. Auf der Streif, von oben bis unten abgesichert mit Kilometern von Netzen und Planen, lauert die Gefahr nahezu überall: Mausefalle, Steilhang, Hausbergkante, Traverse. Als er im vergangenen Jahr das erste Mal dort runter sollte, habe er "die Hosen voll" gehabt, bekannte die deutsche Nachwuchshoffnung Luis Vogt, aber die Strecke mache ja trotzdem "Spaß".  Im Gegensatz zu Kollege Jacob Schramm ist Vogt bislang auch immer heil unten angekommen.