Union Berlins neuer Trainer Steffen Baumgart - Wunschtrainer mit Fragezeichen
Die Verpflichtung Steffen Baumgarts als neuer Trainer von Union Berlin gilt als so etwas wie die Rückkehr eines verlorenen Sohnes. Emotional ist der Schritt auch zweifelsohne ein Volltreffer. Fußballerisch hingegen gibt es Fragen.
Würde man vor einem Gericht vorbringen müssen, weshalb es eine gute Idee sei, dass Steffen Baumgart neuer Trainer des Fußball-Bundesligisten 1. FC Union Berlin wird, man dürfte sich auf ein ausführliches Plädoyer einstellen.
In gebührender Kürze: Baumgart war nicht nur Profi bei Union, sondern Kapitän und zwei Mal "Spieler der Saison", er hat einen Wohnsitz in Köpenick, seine Frau Katja leitete einst die Fanshops des Vereins, Unions Sport-Geschäftsführer Horst Heldt holte ihn ehedem schon 2021 zum 1. FC Köln, außerdem kennt Baumgart die Bundesliga und gilt als Menschenfänger und Motivator.
Passt Unions Mannschaft zu Baumgart?
Es dürfte daher als ausgemacht gelten, dass die überragende Mehrheit der Union-Fans mit voller Vorfreude ins neue Fußball-Jahr rutschen wird. Weil Baumgart als Union-Trainer immer so ein wenig als Fieber-Traum über dem Stadion An der Alten Försterei hing, seit dieser sich von 2017 an aufmachte, mit dem SC Paderborn von der dritten in die erste Liga durchzumarschieren und anschließend mit dem 1. FC Köln bis nach Europa.
Doch die Sterne standen nie so recht günstig für dieses mutmaßliche Traumpaar, immer war eine der beiden Parteien gerade zu erfolgreich in einer bereits bestehenden Konstellation. Und so ging Baumgart im Februar 2024 zum Hamburger SV, der seine andere große Liebe ist, neben dem 1. FC Union. Oder war, je nachdem wie gut er sein Aus beim ehemaligen Bundesliga-Dino nach nur 278 Tagen Amtszeit im November verkraftet hat.
Dabei schien Baumgart nahezu ähnlich gut gemacht für den HSV wie nun für Union: Ein riesiger Traditionsverein, im Herzen mit seinem neuen Trainer verbunden, der nur darauf wartet, emotional über die Ziellinie und also zurück in die erste Liga geschubst zu werden. Doch der Plan ging nicht auf. Wohl auch, weil der Kader nicht so recht passte oder zumindest nicht zu Baumgarts Idee von Fußball. Die große Frage lautet deshalb nun: Passt Unions Mannschaft zu Steffen Baumgart?
Seine Spielphilosophie erklärte Baumgart einst im Gespräch mit dem Fachblatt "Kicker" wie folgt: "Lieber gibt es hinten eines mehr und dafür sehen wir vorne viele Tore." Ein Satz, der vielen Fußball-Fans ein Lächeln auf die Lippen zaubern dürfte, der zum 1. FC Union der vergangenen Jahre aber ungefähr so gut passt wie dieser hier: "Die Heimspiele des Vereins werden im Olympiastadion ausgetragen."
Korrigiert der Verein die Versäumnisse des Sommers?
Der ehemalige Stürmer Baumgart steht für fast schon bedingungslose Offensive, intensives Pressing und schnelles Umschaltspiel. Er setzte im Laufe seiner Trainer-Karriere zumeist auf eine Viererkette und klare Zielspieler im Sturm. Würde man eine Merkmal-Liste des Union-Fußballs in den Bundesliga-Jahren erstellen, fände sich davon höchstens das Bestreben nach zügigem Umschaltspiel wieder.
Die Hoffnung der Köpenicker muss daher lauten, dass Unions Verteidigungsqualitäten regelrecht in der Mannschafts-DNA stecken, so dass selbst der vermutlich deutlich offensivere Ansatz Baumgarts nicht zu Lasten der defensiven Stabilität geht. Und dass Baumgart aus den vorhandenen und bislang unglücklichen Stoß- und Zielstürmern wie Jordan, Andrej Ilic und Ivan Prtajin mehr herauszuholen vermag als sein Vorgänger Bo Svensson.
Sich darauf zu verlassen, dass der "rustikale Rhetoriker" (Süddeutsche Zeitung) diese Spieler schlagartig entscheidend verbessert, dürfte dem Verein aber womöglich als zu riskant erscheinen. Und nicht wenigen Experten als nahezu unmöglich.
Korrigiert der Klub seine Versäumnisse aus dem Transfersommer aber mit offensiven Neuverpflichtungen, hätte es auch gute Gründe gegeben, die Zusammenarbeit mit dem Defensiv-Coach Bo Svensson fortzusetzen. Denn warum der Däne ziemlich gut zum 1. FC Union passt, lag vor seiner Verpflichtung auch recht deutlich auf der Hand. Die meisten davon waren, im Gegensatz zu Baumgart, fußballerischer Natur.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.12.2024, 18:15 Uhr