
Leitl-Debüt bei Hertha Leitl-Debüt bei Hertha: Zwischen neuen Stärken und alten Problemen
Hertha BSC hat im ersten Spiel unter Trainer Stefan Leitl zumindest einen Punkt gegen Nürnberg holen können. Der Fiél-Nachfolger hat bereits erste Spuren hinterlassen, könnte allerdings an denselben Stellen Probleme bekommen wie sein Vorgänger. Von Marc Schwitzky
Stefan Leitl hatte als neuer Trainer von Hertha BSC gerade einmal drei Trainingseinheiten, um seine Mannschaft auf das so wichtige Spiel gegen den 1. FC Nürnberg vorzubereiten – denkbar wenig Zeit, um mal eben eine im Abstiegskampf versackte "alte Dame" auf sicheres Geläuf zu hieven. Im Vorfeld der Begegnung erklärte der Nachfolger von Cristian Fiél, die Vorbereitung habe gerade so dafür gereicht, defensiv kleine Anpassungen vorzunehmen – an große Neuerungen im Angriffsspiel war gar nicht zu denken.
So musste die Erwartungshaltung, dass Hertha unter Leitl urplötzlich nicht wiederzuerkennen sein solle, deutlich abgebremst werden. Die Unterschiede zu Vorgänger Fiél mussten im Kleinen gesucht werden – das 0:0 am Freitagabend gegen die Franken lieferte allerdings erste Hinweise darauf, wo es unter dem 47-Jährigen hingehen soll.

Die Prioritäten der 2. Bundesliga
"Wir müssen die Prioritäten der 2. Bundesliga akzeptieren", merkte Leitl auf seiner ersten Pressekonferenz als Berliner Übungsleiter mehrmals an. Es ginge in der 2. Liga nun einmal auch um körperliche Duelle, Kampf, Mentalität und auch das Gespür dafür, zur Not auch mal das Ergebnis mitzunehmen. Zwar betonte auch Vorgänger Fiél ähnliche Attribute immer mal wieder, doch für den 44-Jährigen stand vor allem das Spielerische im Vordergrund. Leitls Pragmatismus könnte auch als direkte Antwort darauf verwendet werden, was den Vereinsverantwortlichen letztendlich bei Fiél gefehlt hatte.
"Am Ende ist Fußball Ergebnissport", betonte auch Sportdirektor Benjamin Weber, der zuvor gemeinsam mit Fiél den edlen Versuch unternommen hatte, den Erfolg im Unterhaus durch dominanten Ballbesitzfußball allererster Güteklasse spielerisch zu erzwingen – doch daran scheiterte. Leitl steht vielmehr für die Koexistenz von Spielphilosophie und nötigem Pragmatismus. "Es ist eine unheimlich intensive und zweikampfstarke Liga, in der viele Mannschaften über das Physische in der Vergangenheit erfolgreich waren. Das muss alles im Einklang sein", erklärte er. Das sollte sich auch bei seinem Debüt gegen Nürnberg zeigen.
"Identität durch Intensität"
Denn vor der Idee mit Ball steht bei Leitl die Arbeit gegen den Ball. In seiner Zeit als Fürther Trainer prägte er den Satz "Identität durch Intensität", bei Hertha knüpfte er im Vorfeld seines Debüt mit der Forderung, die Mannschaft müsse "energetisch ans Limit gehen" an jene Philosophie an. Leitl fordert höchsten Einsatz und maximale Konzentration von seinen Spielern, nur darüber entstünden Ergebnisse, die Zeit für spielerische Entwicklung kaufen.
Diese Forderung erfüllten die Berliner Spieler am Freitagabend. Hertha war gegen Nürnberg unheimlich giftig und griffig. Die Hauptstädter nahmen von der ersten Minute jeden Zweikampf an, schenkten sich keinen Lauf und erkannten die Disziplin gegen den Ball als ihre wichtigste Aufgabe in diesem Spiel an. Besonders in der Anfangsphase presste Hertha beachtlich früh, störte Nürnberg sofort und nahm dem Gegner, die nach drei Siegen infolge mit einer breiten Brust nach Berlin kam, die Spielfreude.

Die wenigen Trainingseinheiten machten sich bezahlt, denn Hertha ließ neben der erhöhten Intensität bereits erste taktische Muster gegen den Ball erkennen. Die Hausherren versuchten stets, das gegnerische Aufbauspiel auf den Außenspieler zu lenken, um dort mit Flügelangreifer- und Verteidiger im Doppel zu attackieren. Jene Pressingfalle ging sehr gut auf, Nürnberg hatte spielerisch immense Probleme. "Wir haben das umgesetzt, was wir uns vorgenommen hatten. Wir wollten übers Pressing hohe Ballgewinne erzielen, das ist uns wirklich gut gelungen", lobte Leitl nach Abpfiff. Dafür rieb sich seine Mannschaft mit 70 Sprints mehr als Nürnberg und insgesamt 121,7 gelaufenen Kilometern imponierend auf.
Die Null steht
Hertha sollte das Spiel auch deshalb ohne Gegentor beenden, weil die Mannschaft auch bei eigenen Ballverlusten konzentriert und mit viel Aufwand agierte. Entweder griff das sofortige Gegenpressing oder aber die Blau-Weißen nahmen die schmerzhaften Sprints in der Rückwärtsbewegung an, um sofort in die eigene Defensivordnung zurückzufinden. Auch das proaktive Verteidigen von Mittelfeldanker Pascal Klemens sowie der Innenverteidigung aus Linus Gechter und Marton Dardai leistete einen wichtigen Beitrag zur Stabilität.
"Wir können es eigentlich sehr viel besser, Umschaltsituationen zu Ende zu spielen, doch da war Hertha richtig gut - auch in den direkten Zweikämpfen. Kompliment an das richtig gute Spiel", adelte Gegnertrainer Miroslav Klose die Berliner Abwehrarbeit nach der Partie. Nürnberg hatte sich gegen Herthas Abwehrbollwerk lediglich drei Schüsse und einen Expected-Goals-Wert von 0,23 erspielt.

"Wir haben nichts zugelassen, das ist ein Schritt nach vorne", resümierte Leitl nach der ersten weißen Weste seiner Mannschaft seit dem 17. Spieltag – und dem erst vierten Spiel ohne Gegentreffer in der laufenden Spielzeit. Leitl hat es in kürzester Zeit geschafft, der zuvor oftmals wankelmütigen Mannschaft erkennbare Härte, Konzentration und klare Pressingmuster für eine stabile Defensive an Hand zu geben. Für drei Trainingseinheiten ein aufbauendes Ergebnis, das zeigt, dass diese Hertha-Mannschaft sehr wohl souverän verteidigen kann.
Altbekannte Probleme
Doch wofür am wenigsten Zeit blieb, bleibt auch weiterhin Herthas wohl noch größeres Problem als die Defensive: das Erzielen von Toren. Auch im ersten Spiel unter Leitl zeigten die Berliner altbekannte Schwächen in der wichtigsten Disziplin dieses Sports. Leitl wird in den kommenden an denselben Offensivproblemen arbeiten müssen wie sein Vorgänger: Entscheidungsfindung im letzten Angriffsdrittel und Strafraumbesetzung.
Personell hatte Herthas neuer Trainer darauf gehofft, dass mit Florian Niederlechner als klarer Mittelstürmer mehr Präsenz im Strafraum entsteht, doch auch der erfahrene Angreifer konnte Herthas Tormangel nicht beheben. Zwar ist der 34-Jährige 1,87 Meter groß, doch als Zielspieler und Knipser für Hereingaben aller Art hat er sich in seiner Karriere kaum profilieren können. Alternativen wie Luca Schuler oder Smail Prevljak haben ebenfalls aufgezeigt, Torschützenkönig Haris Tabakovic nicht ansatzweise ersetzen zu können. So versandet beinahe jedes Zuspiel in den gegnerischen Sechzehner. Hertha hat ein deutliches Qualitätsproblem im Mittelsturm, das bis Sommer nicht mehr mit Transfers angegangen werden kann und jedem Trainer Probleme bereiten würde.
Auch die große spielerische Abhängigkeit von Fabian Reese und Ibrahim Maza ist ein Problem, das Ex-Trainer Fiél nicht beheben konnte und Nachfolger Leitl die meiste Arbeit abverlangen wird. Bereits seit der vergangenen Saison fehlt es Hertha an systematischen Lösungsansätzen dafür, wie Torgefahr entstehen solle, wenn die beiden Unterschiedsspieler fehlen oder einen schlechten Tag erwischen.
Die Entscheidungsfindung der anderen Angreifer reicht bislang nicht aus, um Gegner verlässlich zu knacken. Hier könnte Leitls Ansatz, durch hohe Ballgewinne nur noch möglichst wenige Stationen bis zum Tor zu haben, den Weg also zu vereinfachen, ein probates Mittel sein – aber keine Dauerlösung, weil es auch Ansätze aus dem eigenen Ballbesitz heraus brauchen wird. Ohne neue Lösungen werden Herthas Vorstöße auch unter dem neuen Trainer zäher Natur sein. Gegen Nürnberg waren die Hauptstädter einmal mehr nicht zwingend genug.

Ein guter erster Schritt
Leitl ist es nach nur drei Trainingseinheiten gelungen, einen sichtbaren Effekt auf die Mannschaft zu haben. Sie verteidigte deutlich aggressiver und strukturierter, und zwang so mit Nürnberg die zweitstärkste Rückrundenmannschaft der 2. Bundesliga offensiv in die Knie. Hertha zeigte eine in sich konsistente Leistung ohne große Schwankungen – etwas, das es in der laufenden Saison nur selten gab.
Die Niederlagenserie gestoppt, die Null gehalten und zumindest ein wenig etwas gegen die dramatische Heimschwäche getan haben zu können, ist in jedem Fall ein erster wichtiger Schritt nach vorne, auf dem sich aufbauen lässt. Nun muss es dem neuen Trainerteam gelingen, auch die offensiven Probleme zu lösen und den altbekannten Knoten platzen zu lassen. Nur so wird die Siege regnen lassen, die Hertha aus dem Negativstrudel befreien. Eine Aufgabe, an der sich Vorgänger Fiél die Zähne ausbiss.
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