Blindenfußball unter dem Eiffelturm "Pssst ..." - Die leiseste Paralympics-Party von Paris
Die französische Blindenfußball-Nationalmannschaft hat ihr Gruppenspiel bei den Paralympics gegen Brasilien mit 0:3 verloren. Trotzdem hätten die Fans ihr Team gern lautstark unterstützt - doch erst sehr spät hatten viele verinnerlicht, dass das nicht erlaubt ist.
Voller Inbrunst sangen die französischen Fans auf den Tribünen des Stadions am Eiffelturm ihre "Marseillaise". Fast andächtig standen die fünf Nationalspieler unten auf dem Feld. Es folgten fast genauso laute "Allez les bleus"-Rufe. Dann machte ein lautes "Pssst" die Runde - und auf einmal waren alle leise. Fast 13.000 Fans im wohl schönsten Stadion bei den Paralympics schwiegen, gaben keinen Mucks von sich. Das Spiel zwischen der französischen und brasilianischen Blindenfußball-Nationalmannschaft begann.
Anfeuern verboten - aus gutem Grund
Beim Blindenfußball stehen sich Fünfer-Mannschaften gegenüber. Alle Feldspieler tragen Dunkelbrillen, damit auch die Spieler mit Sehrest keinen Vorteil haben. Im Ball sind kleine Metall-Kügelchen, die rasseln, wenn sich der Ball bewegt. Nur die Torhüter können sehen. Zum Beispiel bei Freistößen zeigt ein Teambetreuer durch ein akustisches Signal, wo das Tor steht, indem er mit einem Metallstab gegen die Torpfosten haut. Damit sich die Spieler nicht gegenseitig über den Haufen rennen, rufen sie das international anerkannte "Voi", was so viel wie "Hier komme ich" bedeutet.
Viele Fans werden zu "Störenfrieden"
Deshalb muss es beim Blindenfußball unbedingt mucksmäuschenstill sein. Aber sagen Sie das mal Tausenden Zuschauern, von denen viele zum allerersten Mal bei so einer solchen Veranstaltung dabei sind.
Immer wieder gab es - nicht nur bei Fans des normalen Fußballes - reflexhaft "Aaaahs" und "Oooohs" von der Tribüne. Sofort folgte dann von anderen Fans die akustische Ermahnung der "Störenfriede": Frankreichs Martin Baron lief nach einem Pressschlag frei aufs Tor zu. "Aaaah" - "Pssst". Auch, weil er den Ball vor sich nicht mehr hören konnte, war die Chance dahin (7.). Khalifa Youme brachte Brasiliens Kapitän Ricardo Steinmetz Alves rüde zu Fall. "Ooooh" - "Pssst". Frankreich konnte den Angriff klären (8.).
Ungewohnt: Anfeuern von den Tribünen ist beim Blindenfußball kontraproduktiv.
Ruhig beim Fußball? "Total seltsam!"
"Es ist total seltsam, Fußball zu gucken und dabei ruhig sein zu müssen", sagte Clement, der normalerweise die AS Monaco in der Ligue 1 anfeuert. Chiara und ihre Freundinnen verfolgten das Spiel hingegen eher gebannt: "Es ist wirklich erstaunlich, wie die das machen", sagte die junge Frau aus der Schweiz. "Ich stelle es mir so schwierig vor, Fußball zu spielen, ohne den Ball oder irgendetwas sehen zu können."
Stadionsprecher wird zum pro-französischen Animateur
Den Zuschauenden war die Erleichterung regelrecht anzuhören, wenn es ihnen dann doch mal erlaubt war, Radau zu machen. War das Spiel nach einer gelungenen Aktion kurz unterbrochen, brach prompt lauter Jubel los. Auch wenn die Aktion unter normalen Umständen wohl kaum zu solch einem Gefühlsausbruch geführt hätte.
Man braucht zum Spielen all seine Sinne.
Und wenn der Stadionsprecher, der an diesem Abend eher ein pro-französischer Animateur war, die Zuschauenden über die Lautsprecher zum Klatschen aufforderte, klatschen alle sofort bereitwillig in die Hände.
Aber es blieb ein schwieriges Unterfangen. Als Baron Sekunden vor der Halbzeit wieder frei aufs Tor zulief, machten es ihm die Zuschauer wieder mit einem langen "Ooooh" praktisch unmöglich, ein Tor zu schießen.
Die Brasilianer kennen sich mit Jubelszenen beim Blindenfußball bestens aus.
Brasilianer zaubern, auch wenn sie nicht sehen können
Unter den Zuschauern war aber auch Papa - und er war extra gekommen, um zu sehen, wie es die besten Blindenfußballer machen: "Ich habe es vor einiger Zeit mal selbst ausprobiert. Ich weiß, wie sehr man sich konzentrieren muss, um zu wissen, wo der Ball ist. Man braucht zum Spielen all seine Sinne. Aber wie die heute spielen - fast so, als ob sie gucken könnten."
Weil seine Freundin aus Brasilien stammt, verfolgte der Mann aus Paris das Spiel im gelben Trikot der "Selecao", und die ist auch im Blindenfußball eine ganz große Nummer. Seit das Spiel im Jahr 2004 ins paralympische Programm aufgenommen worden ist, hat Brasilien immer Gold gewonnen.
Am Ende schwappt schweigend La Ola durchs Stadion
Brasiliens Kapitän zeigte beim 1:0 eine solche Aktion, die auch Sehende kaum besser spielen könnten. Ricardo Steinmetz Alves dribbelte sich an gleich drei Gegenspielern vorbei oder um diese herum und ließ mit seinem Schuss dann Torhüter Benoit Chevreau de Montlehu keine Chance - 1:0 (13.). Zwei Minuten später verwandelte Jardiel Vieira Soares einen Strafstoß zum 2:0-Pausenstand. Raimundo Nonato Alves Mendes traf schließlich vier Minuten vor dem Ende zum 3:0.
So konnte sich Papa im kanariengelben Trikot schließlich zusammen mit seiner Liebsten über einen Sieg der Brasilianer freuen - auch wenn die an diesem Abend im dunklen Grün aufgelaufen waren.
Und die französischen Fans? Die wurden am Ende noch richtig kreativ. Da ging La Ola durchs Stadion. Und alle, außer die Blindenfußballer auf dem Feld, waren mucksmäuschenstill.