Deutschlands Dressurreiterin Isabell Werth mit Pferd Wendy

Olympia-Dressur Werth und Wendy - ein goldenes Experiment

Stand: 04.08.2024 08:16 Uhr

In nicht einmal acht Monaten ist aus der Dressurreiterin Isabell Werth und dem jungen Pferd Wendy de Fontaine ein goldenes Gespann geworden. Zusammen führte die beiden ein Skandal.

Von Johannes Kirchmeier, Versailles

Isabell Werth warf ihre Faust durch die Luft, dann tätschelte sie die gerade einmal zehnjährige Rappstute Wendy de Fontaine im Dressur-Viereck von Versailles. Der Dank gebührte ihrem Pferd, das ihr diesen wunderbaren Olympia-Nachmittag in der beeindruckenden Kulisse und einen Eintrag in die Geschichtsbücher überhaupt erst ermöglicht hat.

Erst seit Januar 2024 sind die beiden ein Team. Die Geschichte von Werth und Wendy ist daher die eines unglaublich schnellen Zusammenwachsens, vielleicht sogar die des schnellsten Zusammenwachsens im eigentlich so komplexen Weltklasse-Dressursport. Zumindest wenn es um den Erfolg, das am Samstag (03.08.2024) nun erreichte Olympia-Gold, geht. Gemeinsam mit Jessica von Bredow-Werndl und Frederic Wandres siegten Werth und Wendy, die deutsche Dressur-Équipe verwies Dänemark mit einem Mini-Vorsprung auf den Silberrang. Werth ist nun Deutschlands Rekord-Olympionikin.

Werth: "Diese Entwicklung ist schon besonders"

"Ein Traum" sei die Stute, sagt Isabell Werth: "Es hat sofort klick gemacht." Da fragt man sich: Wie kann es so schnell ‚klick‘ machen und gleich so gut funktionieren? Ist das dann Liebe auf den ersten Blick?

So würde es Werth in all ihrer Zurückhaltung nicht bezeichnen, aber sie sagt auch: "Es ist schon sehr besonders; diese Entwicklung in der Zeit: Ich habe es ja erhofft. Wir sind nicht umsonst so Feuer und Flamme gewesen, sie im Januar zu übernehmen. Dass das sich dann tatsächlich so entwickelt, ist natürlich ein Geschenk."

Von Tag zu Tag Verbesserungen

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, würden andere sagen. Unmittelbar vor den Olympischen Spielen war der volle Fokus auf Wendy aber durchaus ein Experiment. Schon jetzt präsentiert sich die Stute im Viereck aber sehr souverän. Von Tag zu Tag lernten sie beide dazu, so registriert es Werth - und sie werden dabei auch ein Stück stärker, das zeigt schon die verbesserte Leistung beim Mannschafts-Gold im Vergleich zur "Qualifikation", dem Grand Prix, spricht aber dafür.

Natürlich gibt es da noch kleinere Fehler. Die Taktfehler im Schritt dürften einem Pferd solcher Klasse nicht mehr unterlaufen, auch umgeknickt ist Wendy kurz vor dem Ende. Aber gerade die Piaffe, diese trabartige Bewegung auf der Stelle zum Abschluss des Grand Prix Special, eine Spezialität von Werth, war unerreicht an diesem Samstag. Sie wurde entsprechend belohnt.

"Die Stute ist fantastisch, entwickelt sich jeden Tag weiter. Und das ist das, was ich genieße", sagte Werth. Sie ist noch jung, hat noch Jahre, um dazuzulernen. Gut und gerne zwei Mal könnte das Gespann noch an Olympischen Sommerspielen teilnehmen - wenn Werth denn so lang weiterreiten will.

Helgstrand-Sperre führt Werth und Wendy zusammen

Zu ihr gekommen ist die 55-Jährige aufgrund eines Skandals. Im vergangenen November hatte der dänische Sender TV2 Aufnahmen aus dem Handelsstall des dänischen Reiters Andreas Helgstrand ausgestrahlt.

Gezeigt wurden unter anderem Pferde mit offenen Wunden vom Sporeneinsatz und Striemen von Gerten sowie aggressives Reiten. Helgstrand, der auf den Bildern nicht zu sehen war, zeigte sich in einer offiziellen Stellungnahme "geschockt". Und wurde trotzdem für Olympia gesperrt, bis 2025 ist er in jedem Fall vom dänischen Dressur-Team ausgeschlossen. Helgstrand wurde zudem der Status eines Ausbildungsbetriebes entzogen.

Weitere Vorwürfe gegen Helgstrand

Schon früher hat es immer wieder Vorwürfe gegen Helgstrand wegen der Misshandlung von Pferden gegeben. 2014 etwa sorgten Fotos im Internet für Aufsehen, die eine deutlich violette Verfärbung der Zunge seines Pferdes "Akeem Foldager" zeigten - aufgrund des Einsatzes einer Kandare. Helgstrand selbst wurde auf Wendy auch schon disqualifiziert, weil ein Kampfrichter rosa Schaum im Maul des Pferdes bemerkt hatte.

Nur aufgrund der Vorkommnisse konnte Werths Mäzenin Madeleine Winter-Schulze Anteile an Helgstrands Wendy erwerben. Mit der Stute schaffte die Reiterin nach einer Zitterpartie auf den letzten Drücker durch eine starke Vorstellung beim CHIO in Aachen die Olympia-Qualifikation. Knapp 90 Prozent erreichten die beiden in der dort abschließenden Kür.

Kritik an Geschäft - Werth verteidigt Helgstrands Handelsstall

Dass Werth und ihre Mäzenin mit Helgstrand, einem wegen Tierquälerei gesperrten Athleten Geschäfte machen, das kam natürlich nicht positiv im eh schon von Vorwürfen geplagten Pferdesport an. Die Reitsport-Reporterin Jeannette Aretz sprach nach Angaben des "Tagesspiegels" in einem Video gar von einer "Legitimation von Tierquälerei", die man damit betreibe. Es rücke auch die jüngsten Beteuerungen fürs Tierwohl in neues Licht.

Werth selbst hatte sich übrigens schon nach der Übernahme des Pferdes beim Reit-Magazin "St. Georg" zur Kritik an Helgstrands Stall geäußert: "Ich bin mehrere Male dort gewesen und ich habe keine schlechten Bilder und keine irgendwie diskutablen Situationen erlebt. Ich glaube, es ist ganz wichtig – das habe ich auch schon vorher gesagt –, dass wir das ganz differenziert betrachten", sagte sie.

"Es bedeutet nicht, dass dort jeden Tag und alle Reiter so reiten, wie wir das dort auf dem Video gesehen haben. [...] Alle Pferde, die wir im Stall haben, selbst Pferde von Kunden, auch für Mädchen zu reiten, sind wirklich tolle Pferde und sind weder mit Blessuren noch mit irgendwelchen, ich sage mal reiterlichen Mankos angekommen.“

Von Bredow-Werndl/Dalera und Werth/Wendy - zwei ungleiche Pärchen

Olympia-Gold ist nun der vorläufige Höhepunkt der gemeinsamen Reise von Werth und Wendy - vermutlich war dieses Pferd das bisher größte Olympia-Wagnis der Rekord-Olympionikin bei ihren siebten Spielen. Am Sonntag gewann sie dann noch einmal Silber im Einzel auf Wendy, direkt hinter ihrer Kollegin Jessica von Bredow-Werndl. Die zwei Medaillengewinnerinnen im Einzel sind daher zwei ungleiche Pärchen.

Während von Bredow-Werndl und ihre Dalera über Jahre wuchsen, mit manchen Tiefen zu Beginn und den mittlerweile so vielen Höhen, sich der Weltspitze näherten, Teil dieser wurden und sie dann bestimmten, haben Werth und Wendy bislang noch gar keine großen Tiefen zusammen erlebt.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr