Deutschlands Dressurreiterin Isabell Werth mit Pferd Wendy
Reportage

Dressur-Gold mit dem Team Isabell Werth schreibt in Versailles Geschichte

Stand: 03.08.2024 19:02 Uhr

Mit fünf Jahren lernte Isabell Werth reiten. Ein halbes Jahrhundert später ist sie Deutschlands erfolgreichste Olympionikin. Und hat noch lange nicht genug.

Von Johannes Kirchmeier, Versailles

Es war so still geworden in diesem Moment, fast war schon jedes Herzklopfen im Reitstadion von Versailles wahrzunehmen - und die Herzklopfer wurden lauter, die Spannung stieg: Schließlich spitzte sich die Entscheidung im Mannschaftswettbewerb in der Dressur zu. Klar war: Es würde extrem knapp werden am Samstagnachmittag (03.08.2024) zwischen der deutschen und der dänischen Mannschaft, deren 235,669 Prozentpunkte bereits bekannt waren.

Die Sekunden zogen sich, bis die Wertung der deutschen Schlussreiterin Jessica von Bredow-Werndl ermittelt war, ihre Kollegen Isabell Werth und Frederic Wandres konnten gar nicht hinschauen, hatten die Arena vorsorglich verlassen, weil sie dachten, es würde nicht für einen deutschen Sieg reichen.

Von Bredow-Werndl ritt ruhig aus dem Viereck, um sie herum ein Nervenkitzel à la Hitchcock. Einige Augenblicke lang, es fehlte nur die dramatische Musik. Ehe die Menschen mit den Deutschland-Fahnen auf den Tribünen losjubelten.

Eine Silbermedaille mehr als die Kanutin Birgit Fischer

Unten links leuchtete auf der Tafel die "1" auf, die deutschen Dressurreiterinnen haben ihr 15. Mannschafts-Gold bei Olympischen Spielen gewonnen. "Da sag' einer: 'Dressursport ist langweilig!'", sagte Isabell Werth und lachte auf. Sie hat damit Geschichte geschrieben - ein Gold-Coup wie gemalt an diesem so besonderen Olympia-Ort: Werth ist nun die olympische Königin Deutschlands, ja, sie ist die Königin am Schloss Versailles.

"Das ist ein bisschen viel Gefühl heute", sagte Werth ungewohnt euphorisch: "Mein Gott, war das spannend." Mit acht Gold- und fünf Silbermedaillen ist die Rheinbergerin nun die erfolgreichste Olympionikin Deutschlands, genau eine Silbermedaille vor der Kanutin Birgit Fischer. "Ich habe das noch nicht so realisiert. Ich werde mit Birgit bald einen trinken gehen. Wir haben, glaube ich, beide echt was hingekriegt."

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Mit fünf Jahren zum Reiten, 1992 zu Olympia

Welche Lebensleistung hinter diesem Erfolg steckt, merkt man erst, wenn man sich die Vita der 55-Jährigen anschaut. Mit fünf Jahren, ganz Pferdemädchen, begann sie zu reiten, da natürlich noch ohne Ambitionen. Die kamen erst später. Mit 23 Jahren feierte sie ihre Olympia-Premiere, 1992 in Barcelona errang sie dann schon Gold mit der Mannschaft und Silber im Einzel.

Und der Goldregen hörte nie auf. Nie kam Isabell Werth ohne Goldmedaille von den Olympischen Sommerspielen nach Hause, das ändert sich auch diesmal nicht, bei ihrer insgesamt siebten Teilnahme. Im deutschen Olympia-Team ist sie neben dem Tischtennis-Spieler Timo Boll die Erfahrenste, Werth verpasste Olympia lediglich 2004 und 2012.

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Auf das Skandal-Video der Britin Charlotte Dujardin reagiert sie mit klarer Haltung

Sie ist älter, routinierter geworden, irgendwo ist sie aber immer auch ein Pferdemädchen geblieben, hat sich ihre kindliche Freude für den Wettbewerb - wie man es am Samstag wieder betrachten konnte, aber auch die Liebe zu den Pferden erhalten.

Daher reagierte sie auf das Skandal-Video der britischen Konkurrentin Charlotte Dujardin zuletzt mit klarer Haltung: "Es macht mich wahnsinnig traurig, mir fallen auch keine Worte dazu ein", sagte sie im Sportschau-Interview. "Es ist so sinnlos und etwas, was ich überhaupt nicht erwartet habe oder in irgendeiner Form verstehen kann." Großbritannien holte am Samstag ohne die gesperrte Dujardin Bronze.

Ein halbes Jahrhundert später ganz oben

Ein halbes Jahrhundert, nachdem sie gestartet ist, ist die 55-Jährige nun die erfolgreichste Olympionikin Deutschlands. Auch das beschreibt sie ja: einfach weiter hartnäckig zu bleiben, zwar Kompromisse zu machen. Aber das nur, um die Ziele zu erreichen. Wenn sie etwas will, dann holt sie sich das - so wie den Medaillenrekord.

"Es hat sich ein bisschen was angesammelt im Laufe der Jahre", sagte sie. "Das ist auf jeden Fall ein Ziel wert - und das wird ein bisschen dauern bei dem einen oder anderen."

Mini-Vorsprung reicht für Werths Rekord

Die schwarz-rot-goldene Serie geht indes weiter: Wie vor drei und vor acht Jahren stehen die Deutschen mit Werth also wieder ganz oben. Doch dieses Mal mit dem Mini-Vorsprung von 0,121 Punkten nach drei Reitern - bei einem Ergebnis von 235,790 Prozentpunkten zu 235,669 also.

"Es war ein mega-super spannender Wettkampf. Ich glaube, das hatten wir lange auch nicht in der Form. Obwohl ich es natürlich gerne ein halbes Prozent leichter hätte", sagte Werth.

Drittstärkste der gesamten Konkurrenz

Sie hatte dazu ja auch ihren Anteil beigetragen, war mit 79,894 Prozent insgesamt die drittstärkste Reiterin im Grand Prix Special hinter der Dänin Cathrine Laudrup-Dufour (81,216 %) und von Bredow-Werndl (79,954 %). In der Form könnte sie auch am Sonntag in der Einzel-Entscheidung eine der größten Herausforderinnen der beiden anderen sein.

Fast ohne Makel kam Werth durch ihre zehnminütige Prüfung. Was sie da mit ihrem Pferd Wendy de Fontaine in einem halben Jahr geschafft hatte, das war kolossal. Ihre Krönungs-Vorstellung in Versailles. "Es ist schon sehr besonders", sagte sie zur Entwicklung, seitdem sie Wendy im Januar übernahm.

In knapp acht Monaten reiten Werth und Wendy zu Gold

In nicht einmal acht Monaten zu Olympia-Gold, das sei "schon ein Geschenk". Von Tag zu Tag gewöhnten sie sich mehr aneinander, sagte die 55-Jährige, die an diesem Nachmittag natürlich nicht mehr aus dem Grinsen herauskam. Nach Gigolo, Satchmo, Weihegold und Bella Rose ist Wendy ihr bereits fünftes Olympia-Pferd.

Vom Alter her könnte die Stute gut und gerne noch zweimal bei Olympischen Sommerspielen antreten. Ob Werth zumindest noch bis Los Angeles 2028 weitermacht, ließ sie am Samstag noch offen. Ihr Fokus gelte dem Wettbewerb am Sonntag.

Ein erneuter Gold-Coup Werths käme dann überraschend, zu stark präsentierten sich von Bredow-Werndl und Laudrup-Dufour in den vergangenen Tagen. Aber überrascht hat Isabell Werth in ihrem halben Reiter-Jahrhundert schon oft, das wissen die beiden natürlich auch.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 04.08.2024 | 08:45 Uhr