Hindernisläuferin Gesa Krause bei der Leichtathletik-EM in Rom.
analyse

Busemanns EM-Kolumne Am Ende aller Debatten steht Silber für Gesa - danke Sport!

Stand: 10.06.2024 13:46 Uhr

Erst wurde über Hindernisse gelaufen, dann diskutiert, dann disqualifiziert, dann auch noch protestiert - und am Ende die fairste aller Entscheidungen getroffen: Gold für Frankreich, Silber für Gesa Krause. Geht doch. Danke Sport, meint ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann in seiner EM-Kolumne.

Gesa Krause läuft nach ihrer Babypause zu einem unfassbar tollen zweiten Platz im 3.000 m Hindernislauf und komplettiert mit der Silbermedaille ihren EM-Satz. Alles eitel Sonnenschein am dunklen Nachthimmel von Rom. Plötzlich durchzuckt eine Meldung die Szenerie. Die französische Goldmedaillengewinnerin trat wohl zweimal auf eine Linie und wird disqualifiziert.

Recht so, Regel ist Regel, und das muss geahndet und durchgesetzt werden. Sonst bräche ja die leichtathletische Anarchie aus.

Aber war das ein Vorteil? Sie trat auf einem geraden Laufstück direkt nach dem Wassergraben zweimal etwa zwei Zentimeter auf eine weiße Laufbahnmarkierung. Und nun treffen auf diese zwei kleinen Berührungen unzählige Begründungen für oder gegen die Disqualifikation aufeinander.

Ein Vorteil sei es, da sie ins Aus gefallen wäre, wenn sie sich nicht regelwidrig abgefangen hätte. Ein Vorteil sei es, weil sie so eine vor ihr langsamer laufende Läuferin umgehen konnte und nicht so stark abbremsen musste. Ein Vorteil sei es, weil sie schlicht die Regeln nicht eingehalten habe.

Soweit die juristische Sichtweise bei der blanken Betrachtung der vermeintlichen Fakten. Der Fall scheint eindeutig.

Hindernislauf hat mitunter nahkampfähnliche Charakterzüge

Es lässt sich aber auch anders diskutieren: Der Hindernislauf hat mitunter nahkampfähnliche Charakterzüge, bei der von anderen Sportlerinnen immer mal ein Schubs kommen kann. Dazu gibt es keine Anhaltspunkte. Zur Sturzvermeidung im Getümmel am Graben überwiegt der Selbsterhaltungstrieb der Athletin mit indirektem Schutz der Gegnerschaft, da ein Sturz in diesem Gedränge eine Kettenreaktion auslösen würde. Der Tritt auf gerader Strecke auf eine Linie ohne Behinderung der Gegner sollte ungeahndet bleiben. Okay, alles weiche Fakten. Gar nicht Regel-ist-Regel-konform.

Es gibt in Alltag und Beruf unzählige, konstruierte Fälle, die sich so darstellen lassen, dass eine Disqualifikation der Französin logische Konsequenz sein müsste.

Beleuchten wir das aber mal mit einem paar Situationen aus den vergangenen Tagen anders: Eine Hürdenläuferin zieht das Schwungbein an der Hürde "vorbei". Weil sie aber die Höhe beim Überqueren der Hürde hat und auf der Außenbahn läuft, da wo auf den Bahnen eins bis acht eine andere Hürde steht, wird die Disqualifikation zurückgenommen. Es war kein Vorteil.

Ein Halbmarathonläufer tritt kurz vor Schluss des Rennens auf die Umrandung. In der Kurve. Aus 21,0975 Kilometer werden urplötzlich 21,097495 Kilometer. Weil er sich selbst dabei wehtut, ist das also kein Vorteil, sondern soll als Nachteil durchgehen.

100-Meter-Sprinter treten auf die Linie, weil ihnen die 1,20 Meter breite Bahn nicht reicht, aber eine Abkürzung ist das nicht, nichts passiert. Und Hürdenläufer fuchteln mit den Händen im Luftraum des Gegners rum und auch da passiert nichts.

Ich darf meinen Gegner verhöhnen, wenn ich ihn überhole, ich darf aber nicht nicht auf die Klappe fliegen.

So gibt es im buchdicken Regelheft des Leichtathletikverbandes unzählige Eventualitäten, die abgeklärt und geregelt werden wollen, nur manchmal übersieht man den gesunden Menschenverstand.

Zwei marginale Übertretungen der Fahrbahnmarkierung

Der vermeintliche Vorteil von zwei marginalen Übertretungen der Fahrbahnmarkierung auf gerader Strecke lässt sich in Hundertsteln vielleicht gar nicht genau beziffern. Gesa Krause ist als Zweite ins Ziel gekommen und hat eine tolle Silbermedaille gewonnen. Die Französin war besser. Sie ist nicht zu früh losgelaufen, sie hat nicht abgekürzt, sie hat sich nicht den Weg freigeboxt. Sie war nur etwas schneller auf der Strecke als Gesa Krause.

3.000 m Hindernis der Frauen - Das Finale mit Krause, Meyer und Gürth

Sportschau, 09.06.2024 20:15 Uhr

Wenn unser Leben nur noch darin besteht, aus vermeintlichen Fehltritten anderer Profit zu schlagen, dann hat so eine Medaille keinen wert mehr und die Angst wird Athleten lähmen und hindern, weil sie sich nichts mehr trauen und mit einer Fehlervermeidungsstrategie nur noch im Mittelmaß rumdümpeln.

Anerkennen, wenn jemand besser ist

Ja, wir brauchen im Sinne des Sports Regeln und diese müssen auch durchgesetzt und beachtet werden, aber manchmal müssen wir auch genau in diesem Sinne des Sports anerkennen, wenn jemand besser ist.

Und am Ende dieser Zeilen um 1:12 Uhr in der Nacht kommt die endgültige Entscheidung zu diesem Hindernislauf: Alles bleibt, wie es ist. Alle Proteste, Gegenproteste, Gegengegenproteste einkassiert. Gold für Frankreich, Silber für Gesa Krause. Geht doch. Danke Sport.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 09.06.2024 | 08:55 Uhr