Alfred Gislason reagiert am Seitenrand enttäuscht
analyse

Fazit der WM 2025 Was Deutschland von Dänemark lernen kann

Stand: 03.02.2025 11:15 Uhr

Dänemark dominiert den Handball, scheint auch in naher Zukunft unerreichbar. Doch es gibt viel, was Deutschland von den Außerirdischen und auch von einigen anderen Teams lernen kann - ein WM-Fazit.

Einen positiven Aspekt hat das bittere Viertelfinal-Aus der DHB-Auswahl gegen Portugal bei der Weltmeisterschaft in Dänemark, Kroatien und Norwegen vielleicht sogar. Dieser auch von den Spielern selbst immer wieder zitierte "Rucksack" auf ihren Schultern - der wird bei der EM im kommenden Jahr und sehr wahrscheinlich auch bei der WM 2027 in Deutschland deutlich weniger wiegen.

Deutsche Auftritte erstaunlich spaßbefreit

Ganz offenbar haben sich der Druck und die Erwartungshaltung nach Olympia-Silber von Paris nachteilig auf die Auftritte der Deutschen ausgewirkt. In fast jedem der sieben Spiele kam die Mannschaft von Alfred Gislason unheimlich schleppend in ihren Rhythmus, wirkte regelmäßig so, als müsse sie erstmal eine Last abschütteln, mit sich und dem Gegner klarkommen, um dann am Ende in fünf der sieben Fälle ihre Arbeitssiege einzufahren.

Das hat sie gegen Polen, Tschechien, die Schweiz, Italien und Tunesien letztlich zuverlässig getan. Aber das Ganze wirkte weitgehend spaßbefreit. Und das bei einer Weltmeisterschaft mit einem K.o.-Spiel wie gegen Portugal, von dem Linksaußen Lukas Mertens eigentlich gesagt hatte: "Das sind genau die Spiele, für die jeder von uns diesen Sport betreibt". Aber wo war dann die Freude hin, als das Spiel lief?

Klein feiert Italien, Bitter liebt Portugal

ARD-Experte Dominik Klein rätselt im Sportschau-Podcast "Handball auf die 1": "Meine Lieblingsgeschichte bei dieser WM sind die Italiener. Das war Freude pur. Einfach vorbildlich, mit welcher Ausstrahlung und Lockerheit eine Mannschaft bei so einem Turnier plötzlich ganz anders performen kann als mit so einem Rucksack an Erwartungshaltung, wie ihn die Deutschen getragen haben. Das bremst, da fehlt die Unbekümmertheit, frei aufspielen zu können."

Sein Podcast-Partner Johannes Bitter feiert Portugal: "Es war eine unglaubliche Bereicherung, wie diese Mannschaft aufgetreten ist. Sie haben über das ganze Turnier so wunderbar gespielt, mit so viel Emotionen, Spaß, Willen und Mut." All das fehlte ihm bei Deutschland.

Auch Dänemark und Kroatien hatten Druck

Aus DHB-Sicht könnte man dagegenhalten, dass von Italien und Portugal auch nicht viel erwartet wurde: Italien war bis zu diesem Jahr erst einmal für eine WM qualifiziert, Portugal hatte noch nie ein K.o.-Spiel erreicht. Aber hatten die Dänen, gerade als Co-Gastgeber, zuvor Dreimal-in-Serie-Weltmeister und Olympiasieger nicht noch viel mehr Druck als Deutschland? Oder die Kroaten vor ihren eigenen frenetischen Fans?

Festzuhalten bleibt, dass diese Teams anders mit Druck umgehen als die Deutschen. Entweder Dänemark, Kroatien oder auch Frankreich fühlen den Druck erst gar nicht. Oder sie berauschen sich sogar daran, lassen sich von der Favoritenrolle tragen und beflügeln, statt darunter zu leiden: Ein Thema für die Sportpsychologen der Deutschen, vor allem mit Blick auf die Heim-WM.

Gislason sieht in der dänischen Liga ein Vorbild

Was Deutschland aus Sicht des Bundestrainers noch von Dänemark lernen kann, betrifft die heimische Liga. Alfred Gislason erklärt gegenüber der Sportschau einen maßgeblichen Unterschied in der Entwicklung der Spieler so: "Für mich ist das logisch. In Dänemark kommen die Jungs aus der A-Jugend und spielen erstmal zwei, drei, vier Jahre bei ihren Vereinen durch, bis sie dann zum Beispiel nach Deutschland wechseln. Sie spielen und spielen und spielen. Und haben dann natürlich mit 22, 23 Jahren viel mehr Wettkampferfahrung. Das wäre natürlich für die deutschen Jungs wichtig, wenn sie in ihren Vereinen mehr Vertrauen bekämen."

Abgesehen von Ausnahme-Talenten wie Renārs Uščins in Hannover-Burgdorf oder Marko Grgic vom ThSV Eisenach ist es für viele Nachwuchstalente tatsächlich schwierig, in der stärksten Liga der Welt ausreichend Praxis zu bekommen. In Sachen Vertrauen in die Jugend geht Gislason selbst allerdings auch nicht mit dem besten Beispiel voran.

Vertrauen in die Talente ist ausbaufähig

Grgic kam nach seiner 11-Tore-Gala gegen Tunesien anschließend im Viertelfinale nur zu einem Kurzeinsatz in der ersten Halbzeit. Dabei warf er ein Tor und leistete sich einen Patzer, anschließend schmorte er bis zum Ende auf der Bank. Bei Nils Lichtlein lief es ähnlich. Auch ihn ignorierte Gislason in den entscheidenden Momenten, obwohl er gemessen an seiner überschaubaren Einsatzzeit am Ende der WM fast die gleiche Erfolgsquote (knapp alle sieben Minuten ein Treffer) hatte wie Top-Torjäger Uščins.

Der Umgang mit Druck, das Vertrauen in die jungen Spieler sind aber bei weitem nicht die einzigen Aspekte, an denen Deutschland feilen kann. Jogi Bitter: "Gewinner waren für mich unsere beiden Torhüter. Aber enttäuscht war ich vom Zusammenspiel der ganzen Mannschaft, vom Gemeinschafts-Flow, der dich durch so ein Turnier trägt - der war nicht da."

"Wille, Emotionen und Körpersprache haben gefehlt"

Dominik Klein sah spielerische und mentale Probleme: "Die individuellen Stärken haben wir auf der Platte gesehen. Aber jetzt müssen wir auch mal wieder die Außen einbauen, das ist auch eine Frage, wie schnell der Ball im Rückraum gespielt wird. Auch das Spiel über den Kreis war nicht so da. In der Abwehr haben mir die letzte Bereitschaft, der Wille, die Ausstrahlung, die Körpersprache und das Emotionale gefehlt. Das muss bei der Aufarbeitung dieses Turniers noch viel mehr in den Vordergrund gerückt werden."

Mathias Gidsel - "Ich will jede Minute spielen"

Sportschau Handball-WM 2025, 31.01.2025 22:25 Uhr

Auch die Belastungssteuerung ist zu hinterfragen. Gislason sagte nach dem Aus gegen Portugal: "Natürlich wünscht man sich als Trainer viel mehr Vorbereitungezeit mit der Mannschaft. Aber das ist natürlich bei dem engen Terminplan mit Bundesliga und internationalen Wettbewerben schwierig."

Gidsel spielt durch, DHB-Stars pausieren

Zwei Drittel aller Dänen spielen aber auch in dieser Bundesliga. Und während MVP Mathias Gidsel bei der WM neunmal weitgehend durchgeschuftet hat (durchschnittliche Einsatzzeit rund 54 Minuten), schonte Gislason seine Stars im letzten Hauptrundenspiel gegen Tunesien komplett, so dass sie vor dem Portugal-Spiel satte fünf Tage Pause hatten. Frisch wirkten sie trotzdem nicht.