Englands Trainer Gareth Southgate jubelt nach dem Schlusspfiff
analyse

Sieg im Halbfinale gegen die Niederlande Southgate gibt England den Glauben zurück

Stand: 11.07.2024 10:18 Uhr

Der englische Nationaltrainer Gareth Southgate genießt nach harscher Kritik still, dass er seine Mannschaft ins Finale der EURO 2024 geführt und den Fans den Glauben zurückgegeben hat, selbst gegen Spanien zu bestehen.

Von Marcus Bark, Dortmund

In Dauerschleife sangen sie wieder das Lied, das sie nicht nach Hause wollen, noch nicht wieder zur Arbeit wollen, lieber hier bleiben und jedes Bier mitnehmen wollen, das sie kriegen können. "Don't take me home", schallte es durch die geschlossenen Seitenfenster des großen Raums im Dortmunder Fußballstadion, in dem vorne einer saß, den einige der englischen Fans draußen am liebsten schon nach dem ersten Gruppenspiel zu Hause gesehen hätten, nach dem zweiten wurden es mehr, und das steigerte sich weiter.

Nationaltrainer Gareth Southgate war für viele Fans und auch viele Experten und Reporter die Wurzel des üblen und zynischen Fußballs, mit dem die englische Nationalmannschaft ins Viertelfinale der EURO 2024 gekommen war.

Dann wurde es gegen die Schweiz deutlich besser, und dann wurde es am Mittwochabend (10.07.2024) richtig gut. England gewann durch das sehr späte Tor von Ollie Watkins, den Southgate neun Minuten vorher für Harry Kane eingewechselt hatte, mit 2:1 gegen die Niederlande.

Englands Fans müssen Abbitte leisten

Er habe den Job 2016 angetreten, um den Fußball der in 1966 gefangenen Mannschaft zu verbessern, sagte Southgate, und ein paar Tage vorher hätten sie an den Empfangsgeräten in England bei diesen Worten vermutlich ins Kissen geheult oder vor Wut auf den Tisch geklopft. Aber an diesem Abend mussten sie endgültig Abbitte leisten.

Englische Fans bejubeln den Finaleinzug ihrer Mannschaft

Englische Fans jubeln im Dortmunder EM-Stadion über den Finaleinzug ihrer Mannschaft.

"Wir haben unseren Fans einige der besten Nächte in den vergangenen 50 Jahren gegeben", sagte Southgate. Es waren auch ein paar bittere Nächte dabei, aber immerhin erreichte England auch 2021 das Finale der EM, um es dann dramatisch nach Elfmeterschießen gegen Italien zu verlieren. Drei Jahre zuvor stand Southgate bei seinem ersten großen Turnier im Halbfinale der WM in Russland, England verlor gegen Kroatien. Nur bis ins Viertelfinale ging es bei der WM 2022 in Katar, aber beim 1:2 gegen Frankreich war Southgates Elf zumindest gleichwertig.

Eine Turniermannschaft

Nicht immer schön, manchmal sogar das Gegenteil davon, aber ziemlich erfolgreich ist das sogenannte Mutterland des Fußballs, das unter ihrem 53 Jahre alten Trainer sogar das Elfmeterschießen lernte.

Holger Dahl, Sportschau, 11.07.2024 09:48 Uhr

Es gibt im Englischen einige Vokabeln, die aus dem Deutschen übernommen wurden, wie etwa "Kindergarten" und "Schadenfreude". Es bietet sich an, auch "Turniermannschaft" zu adaptieren.

Es sei besser, sich langsam zu steigern als stark zu starten und dann früh nach Hause zu fahren, hatte die englische Stürmerlegende Gary Lineker im Interview mit dem Sportschau-Experten Thomas Hitzlsperger gesagt. Das geht auch als Binsenweisheit durch, aber mit den Eindrücken aus Dortmund hört es sich sogar als Teil einer Strategie an.

Der beste Kader der Geschichte

Noch ein Sieg gegen Spanien am Sonntag (14.07.2024, live im Ersten) im ersten Endspiel eines großen Turniers mit englischer Beteiligung außerhalb des Wembleystadions in London, dann ist die Sehnsucht gestillt, die seit dem Gewinn der WM 1966 anhält.

"Definitiv", so Lineker, habe England derzeit den besten Kader der Geschichte, und deshalb war auch die Kritik an Southgate so groß, weil der all das Talent und Können so lange verlottern ließ.

In Dortmund war es zu sehen. Der 22 Jahre alte Bukayo Saka spielte auf dem rechten Flügel in der Offensive gut, erledigte seine Aufgabe aber auch am Ende einer Fünferkette mit Klasse. Der 19 Jahre alte Kobbie Mainoo war der Boss im Mittelfeld, in dem die Niederlande teilweise "die Kontrolle verloren" hatten, wie Bondscoach Ronald Koeman zugab. Der 24 Jahre alte Phil Foden dribbelte von der Position des "Zehners" ins Angriffsdrittel, beschleunigte das Spiel und sorgte häufig im Verbund mit Saka auf der rechten Seite für eine Überzahl.

Niederlande gegen England - die Highlights

Sportschau UEFA EURO 2024, 10.07.2024 16:48 Uhr

Southgate: "Wir sind noch nicht fertig"

Als Southgate ihn zusammen mit dem vielleicht sichersten der sicheren Elfmeterschützen, Harry Kane, auswechselte, runzelten einige Beobachter die Stirn. Aber der eingewechselte, 22 Jahre alte Cole Palmer und eben Watkins (28) sorgten für die Entscheidung und verhinderten eine weitere Verlängerung, die es schon im Achtelfinale gegen die Slowakei (nach Jude Bellinghams Ausgleich in letzter Sekunde durch einen Fallrückzieher) und im Viertelfinale gegen die Schweiz gegeben hatte. "Wir wollten die Entscheidung und nicht schon wieder durch eine Verlängerung", sagte Southgate, der es als großen Nachteil empfindet, nun einen Tag weniger Pause bis zum Finale in Berlin zu haben.

"Aber wir sind noch hier und werden kämpfen. Wir sind noch nicht fertig", versprach der Trainer den englischen Fans, die am Montag wieder nach Hause fahren und zur Arbeit müssen. Das Versprechen, dass zusätzlich zu ihrem Durst auch die Sehnsucht gestillt wird, konnte er ihnen nicht geben. Aber der Glaube, sogar Spanien schlagen zu können, den hat er ihnen wieder geschenkt. Das Lob gab er jedoch weiter: "Wir mussten viele Entscheidungen während des Spiels treffen. Aber letztlich sind es die Spieler, die ihrerseits auf dem Platz entscheiden. Sie haben es brillant gemacht."